Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
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endlich im "Alessandro" die fast romantisch klingende Hauptmelodie des Duettes "Se mai turbo" (I 9):
Auch sonst wird man fast auf Schritt und Tritt an Mozarts Ausdrucksschatz gemahnt, wie z.B. im "Alessandro" II 9 (Digli che son fedele) mit den Skalengängen und dem bei Bach noch häufiger als bei Majo vorkommenden melodischen Quartensprung:
aber auch im "Catone" II 2 (Va ritorna):
Eine weitere Eigentümlichkeit Bachs kündigt sich ebenfalls schon in diesen ersten Opern an: die Vorliebe für Stücke mit obligaten, meist sehr virtuos geführten Bläsern, namentlich Oboen und Fagotten. Von den Seccopartien aber spricht die Tatsache genug, daß sie in den beiden Neapeler Partituren überhaupt nicht aufgezeichnet sind.
Die Londoner Opern setzen das hier Begonnene folgerichtig fort. Die moderneren Arienformen werden häufiger, ohne daß die ältere ganz verschwände. Als weitere kommen seit dem "Caratacco" (1767) das Rondo, seit dem "Temistocle" (1772) größere, dem Buffofinale nachgebildete, allerdings weit mehr rein musikalische als dramatische Ensembles und endlich Chöre, sogar teilweise Gluckschen Stiles, hinzu73. Aber auch der orchestrale Teil wird beträchtlich erweitert, namentlich durch den Hinzutritt der Klarinetten vom "Orione" ab (1763), die Mozart also nicht erst bei seinem Mannheimer Aufenthalt kennenlernte. Bach hat ihre Bekanntschaft wohl auf der Durchreise in Paris gemacht74. Der Charakter des Außergewöhnlichen, der diesem Instrument in seinen ersten Zeiten, z.B. auch in der Buffooper, anhaftet, zeigt sich auch hier noch in besonderen Stimmungsbildern, wie z.B. der Ombraarie "Lucio Silla" I 4, daneben taucht sie freilich auch schon im Tutti rascher Sätze neben den anderen Bläsern auf (Arie "Ah si resta", Tem. III 5; Lucio Silla, erster Satz der Sinfonie). Alle konzertierenden Bläser aber sind mit höchster Virtuosität behandelt, mit der die Singstimme in ihren schweifenden Koloraturen wetteifert, ja, sie haben mitunter sogar schon im Anfangsritornell freie Kadenzen (Tem. I 10, II 5).
Was Bach sehr zu seinem Vorteil von den andern Neuneapolitanern unterscheidet, ist sein gediegener Orchestersatz, wohl das einzige Erbteil aus der Schule seines großen Vaters. Er begnügt sich nicht mit dem einfachen Mitspielen der Gesangsmelodie durch die Instrumente oder mit primitiven harmonischen Begleitungen, sondern er läßt die Instrumente häufig ihren eigenen Weg gehen und strebt auch innerhalb des Orchestersatzes nach einer selbständigen Führung der Mittelstimmen, sei es in Imitationen oder in der malerischen Art, wie z.B. Jommelli die zweiten Violinen behandelt hatte75.
Auch die Themengegensätze der Arienritornelle sind in London insofern noch verschärft worden, als die früher mehr figural gehaltenen zweiten Themen jetzt wirklichen Gesangscharakter erhalten. Da außerdem ihr äußerer Umfang bedeutend gewachsen ist, so gleichen viele davon geradezu den Themengruppen von Bachs Sonaten oder gar den Anfangstutti seiner Konzerte. Allerdings hat man auch hier häufig genug den Eindruck weniger eines Musikdramatikers, der den Inhalt seiner Arien auf die einfachsten Stimmungsgegensätze bringen will, als eines süddeutschen Sinfonikers, dem es um eine Themengruppe mit Haupt- und kontrastierendem Seitenthema zu tun ist. Der Musiker überwiegt auch hier den Dramatiker. Zur Einführung und Beschaffenheit der Gesangsthemen selbst vergleiche man das Ritornell der genannten Arie in "Zanaida":
Als Melodiker hat Bach in London seinen Höhepunkt erreicht. Eine Masse von Themen und melodischen Wendungen von ihm hat in Mozart bis in seine Reifezeit hinein unbewußt nachgeklungen. Nur einige wenige Beispiele:
Auf italienischer Grundlage aber hat Bach in London einen besonderen Satztypus entwickelt, der sich bereits im "Catone" und "Alessandro" ankündigt und dann ebenfalls bis zu Mozart hin verfolgen läßt. Es sind langsame, meist als Largo bezeichnete und in Es-Dur stehende Sätze76 mit schön geschwungener, oft in berückenden Wohllaut getauchter Melodik zum Ausdruck dunklen, schwärmerischen Sehnens oder auch verhaltenen Bangens, Träumereien voll süßer Wehmut mit einem entschieden deutschen Grundton, den weder Majo noch Piccinni, sonst Bachs nächste Geistesverwandte, aufzuweisen haben. Händelsche Eindrücke mögen zugrunde liegen, nur daß bei dem viel weicheren Bach alle herberen und menschenfeindlichen Züge fehlen. Ihre höchste Verklärung haben diese Sätze in Ilias Arie "Se il padre perdei" (II 2) in Mozarts "Idomeneo" und in der Kavatine der Gräfin im "Figaro" gefunden.
Bachs Spuren sind uns bei Mozart bereits mehr als einmal begegnet77. Tatsächlich blieb er Bachs Gesangskunst dauernd verpflichtet, auch als er der modischen Art dieses "galantesten" aller Söhne Sebastians innerlich längst entwachsen war.
So war Mozart der neuneapolitanische Geist bereits längst in Fleisch und Blut übergegangen, als er mit seinen italienischen Vertretern in unmittelbare Berührung trat. Einen der ältesten lernte er gleich in Mailand kennen: G.B. Lampugnani (1706–1781). Soweit seine nur spärlich erhaltenen Opern ein Urteil gestatten, ist das Bild dasselbe wie bei Bach, nur daß die melodische Erfindung nicht so stark und die Orchestration nicht so glänzend ist. Auch was die Themengegensätze anbetrifft, ist Bach entschieden der modernere. Dagegen berühren sich beide in dem verstiegenen Pathos ihrer ernsten Arien und ihren oft ungeheuerlichen Koloraturenketten (häufig auf gleichgültige Weise wie "la", "siete" usw.) mit einem dritten Meister, G. Latilla (1711–1791), der Lampugnani zwar an Phantasie, aber auch an dramatischer Sorglosigkeit übertrifft und überhaupt gerne den Demagogen auf der Opernbühne herauskehrt. Seine beste Oper, der "Antigono" (1775), durchaus modern im Bau der Arien (auch das Rondo taucht auf) und in der reichen Instrumentation verkörpert das Ideal der ganzen Richtung in besonders wirkungsvoller Weise. Noch wichtiger aber ist für Mozart N. Piccinni (1728–1800), der spätere Gegner und schließliche Anhänger Glucks, geworden. Piccinnis Hauptstärke lag freilich auf dem Buffogebiete, aber gerade diese Tatsache hat ihn auch in der opera seria zu einem wichtigen Neuerer gemacht. Schon bei Majo sahen wir einzelne Stilelemente aus der opera buffa auch in die seria eindringen; Piccinni hat aber damit weit mehr Ernst gemacht, als alle seine Vorgänger und Mitbewerber. Das betrifft vor allem die Orchesterbehandlung. Vom Ciro (1759) an neigt er immer stärker dazu, ganze Arienbegleitungen nach Buffoart aus kurzen, plastischen Orchestermotiven herauszuspinnen, die dem seelischen Verlaufe gemäß in der mannigfachsten Art abgewandelt werden. Auch das Verhältnis zwischen Gesang und Orchester beginnt sich dem Buffovorbild entsprechend zu ändern: hier fängt das Orchester ein Zwischenspiel an, in dessen Verlauf die Singstimme ganz überraschend einsetzt, dort schlagen beide zusammen mit großer poetischer Wirkung motivische Brücken über ganze Szenen hinweg (Demetrio II 9, Artaserse III 7 und namentlich Alessandro II 12, wo mit feiner dichterischer Absicht ein Motiv aus II 5 wiederholt wird). Das ist ganz die sinnige Art dieses Meisters, der, vom Dramatiker großen Stils weit entfernt, seine Hauptwirkungen durch solche feinen Einzelzüge erzielt. Seine an der Buffokunst geschulte, außerordentlich schmiegsame Orchesterbehandlung hat ihm aber auch noch weitere orchestrale Fortschritte