Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
zu ihm gedacht. Dem ersten, wesentlich der Entfaltung der Gesangskunst dienenden Teil gegenüber gelangte hier der Komponist stärker zum Wort, der da besonders seine harmonischen Künste spielen ließ27. Der erste Teil aber gliedert sich wieder in zwei durch einen scharfen Schluß auf der Dominant- oder Paralleltonart mit folgendem Ritornell voneinander geschiedene Abschnitte, von denen der zweite, zugleich gewöhnlich der Haupttummelplatz der Koloratur, mit seinem Durchführungscharakter und seiner Rückkehr zum (verkürzten oder unverkürzten) ersten Abschnitt an den entsprechenden Teil des Sonatensatzes gemahnt; sein Schluß bringt auf der stehenden Formel
den Ruhepunkt für die bekannte freie Kadenz des Sängers. Der Ritornelle waren es in der Regel vier: am Anfang, am Schluß der beiden Abschnitte des ersten Teils und am Schluß des zweiten; sie nehmen ihre Gedanken stets aus dem Themenkreis der Arie selbst. Aber auch während des Gesanges schweigen bei den Neapolitanern die Instrumente nicht, wie noch so oft, natürlich mit Ausnahme des Cembalos, bei den Venezianern. Bald gehen sie mit der Singstimme, bald geben sie, meist in Achteln oder Vierteln, die Harmonie an, bald schlagen sie aber auch selbständige Pfade ein. Scarlatti ist hier oft noch weiter gegangen als sein Nachfolger Hasse: in seinem Orchester konzertieren nicht nur virtuos geführte Saiten- und Blasinstrumente, sondern mitunter sogar ganze Orchestergruppen miteinander. Den Grundstock des neapolitanischen Orchesters bildet das dreistimmige Saitenorchester von zwei Violinen und Baß, von dem sich erst in späterer Zeit die Bratschen und dann die Celli als selbständige Stimmen loslösen. Die harmonische Grundlage geben nach wie vor die Akkordinstrumente, Lauten, Theorben, Harfen oder, wie gewöhnlich, eines oder mehrere Cembali. Der Part dieser Instrumente war nach altem Brauche nicht notiert, sondern mußte von den Spielern, nach dem bezifferten Baß oder oft genug auch ohne Bezifferung, selbständig ausgeführt werden. Vom Cembalo aus leitete auch der Dirigent die ganze Aufführung. Die gewöhnliche neapolitanische Bläserbesetzung bestand aus Oboen und Hörnern, bei deren Mitwirkung ohne weiteres auch die Verstärkung des Basses durch Fagotte anzunehmen ist. Flöten treten nur in bestimmter koloristischer Absicht, in pastoralen und idyllischen Stücken, auf. Alle Bläser aber gehen, falls sie nicht solistisch verwendet werden28, entweder mit den Geigen oder sie dienen der Verstärkung der Harmonie29; sie waren übrigens nicht bloß zweifach besetzt, wie in den modernen Orchestern, sondern chorisch, d.h. ungefähr mit der Hälfte der jeweils vorhandenen Streicherzahl. Auch muß darauf hingewiesen werden, daß die alte Praxis des Konzertierens in der älteren Musik auch noch den dynamischen Vortrag bestimmte: die Piano-Stellen, namentlich beim Eintritt der Singstimme, wurden nicht durch Abdämpfen des gesamten Orchesterklangs, sondern durch Vermindern der Spielerzahl erzielt30.
Trompeten und die mit ihnen meist vereinten Pauken erscheinen für gewöhnlich nur in Szenen festlichen oder kriegerischen Gepräges. Ganz ausnahmsweise tauchen endlich Instrumente wie Englischhorn und Chalumeau, der Vorgänger der Klarinette, auf. Diese selbst erscheint erst nach 1750, und zwar zuerst im Sinfonie-, nicht im Opernorchester31.
Als Beispiel für die Besetzung und Aufstellung eines Opernorchesters mag die des Dresdeners dienen, die auf Hasse zurückgeht und als musterhaft galt32:
1. Klavier des Kapellmeisters
2. Klavier des zweiten Akkompagnisten
3. Violoncelli
4. Kontrabässe
5. Erste Violinen
6. Zweite Violinen
7. Oboen
8. Flöten
a Bratschen
b Fagotte
c Hörner
d Trompeten und Pauken auf einer Tribüne
Neben den Arien kommen nur noch die kürzeren, häufig mit den begleiteten Rezitativen verbundenen, liedmäßigen Kavatinen in Betracht. Auch die im wesentlichen aus Duetten, weit seltener aus Terzetten33 bestehenden Ensemblesätze tragen Arienform. Eine gegensätzliche dramatische Charakteristik der einzelnen Teilnehmer ist dabei weder vom Dichter noch vom Komponisten beabsichtigt, sehr viele davon unterscheiden sich von den Soloarien eben nur durch Mehrstimmigkeit und volleren Wohlklang34. Erst nach Hasse tauchen unter dem Einfluß der Buffooper individuellere Stücke auf. Der Chor beschränkt sich, wie in Venedig, auf ganz kleine Schlußsätzchen, die die Solisten oft genug allein ausführten; indessen setzt bereits mit Hasse das Bestreben ein, diesen verlorenen Posten nach französischem Muster wiederzugewinnen, ebenso mehren sich die Versuche, dem bisher zwischen die Akte eingeschobenen Ballett und namentlich der selbständigen Orchestermusik, die damals nur auf festliche und kriegerische Märsche beschränkt war, wieder zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Die neapolitanische Einleitungssinfonie unterscheidet sich von der venezianischen wiederum durch die feste, dreisätzige Form. Sie beginnt mit einem Allegro von kräftigem Festcharakter, läßt ihm ein von Hause aus nur als kurzer Übergang gedachtes Andante folgen und schließt mit einem das festliche Wesen des ersten noch überbietenden zweiten raschen Satz ab. Daß in dieser Dreisätzigkeit sowie in der Dreiteilung des ersten Satzes die Keime der späteren klassischen Sinfonie liegen, wurde schon bemerkt. Mit dem Drama selbst aber hatte die neapolitanische Sinfonie, ganz anders als die venezianische, nicht das mindeste zu tun; sie war einfach ein Stück prickelnder, südländischer Festmusik, weshalb denn die Sinfonie der einen Oper anstandslos auch vor einer andern gespielt werden konnte. Auch diese einleitenden Stücke gehörten somit zu denen, die außerhalb des Dramas standen.
Die äußere Ausstattung der Oper war in der neapolitanischen Zeit womöglich noch glänzender, der Kostenaufwand noch größer als in der venezianischen. Dekorationsmaler, Maschinist und Theaterschneider waren kaum minder wichtige Persönlichkeiten als die Ausführenden selbst, ja auch die Textbücher hatten an dem allgemeinen Luxus ihren Anteil. Die größten Summen verschlangen freilich die Sänger, allen voran die beiden Hauptpersonen, die "prima donna" und der "primo uomo", d.h. der Kastrat. Das Kastratentum35, dessen geschichtliche Spuren bis in die beiden letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts zurückgehen, begann um 1650 auch in die Oper einzudringen, nachdem noch Monteverdi und Cavalli in seinen ersten Werken sich der vier natürlichen Stimmlagen bedient hatten36. Seine eigentliche Blütezeit aber erlebte es in der neapolitanischen Oper. Es ist sehr bezeichnend, daß jener Zeit mit ihrem Kultus des Gesanges weder das Anstößige, noch besonders auch das Unnatürliche und Undramatische dieser Einrichtung zum Bewußtsein kam37. Wohl werden die Kastraten in der Literatur und namentlich auch in der Buffooper nach Kräften verspottet38, aber diese Angriffe gelten überwiegend nicht ihrer Gesangskunst, sondern ihrem äußeren Auftreten, ihrer Weichlichkeit und ihrem immer unerträglicher werdenden Dünkel. Ihr Gesang aber, in dem man in idealer Weise die Klangfarbe der Knabenstimme mit der Lungenkraft des Mannes vereinigt glaubte, wurde nach wie vor als der Gipfel aller Gesangsleistung gepriesen39. In weitem Abstand folgten auf diese Hauptdarsteller die Sekundarier, einer oder mehrere Tenöre und Frauenstimmen; Primadonna und Kastrat sorgten schon dafür, daß sie nicht zu große und vor allem nicht zu dankbare Rollen erhielten40. Die Baßstimme war schon in der venezianischen Zeit allmählich aus der ernsten Oper verschwunden.
Gewiß war durch diese Herrschaft der Sänger der Komponist, der für seine Leistung gewöhnlich 100 Dukaten Honorar erhielt, in seinem Schaffen in einer für uns geradezu unerhörten Weise eingeengt. Aber die erhaltenen Werke zeigen doch zur Genüge, daß er es in zahllosen Fällen trotzdem verstand, sei es durch Energie, wie Händel und Gluck, oder durch diplomatisches Geschick jene Gesangs- und Vortragskunst den eigenen Absichten dienstbar zu machen. Für die heutige Zeit sind die ehemals so hochgepriesenen Größen, wie die Kastraten Senesino (Bernardi), Caffarelli (Majorano), Farinelli (Broschi), Crescentini und die Sängerinnen Tesi, Bordoni-Hasse, Cuzzoni, Mingotti, Agujari, Gabrielli usw. zu bloßen Namen herabgesunken; weder