Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
er werde vor Furcht nicht singen können, um sich den Applaus vom Hofe im voraus zu sichern. Um die de Amicis zu trösten, wurde sie am folgenden Tage zu einer Audienz an den Hof beschieden, und nun erst ging die Oper ganz gut. Nichtsdestoweniger gefiel das Werk gleich, und der Beifall wuchs mit jeder Aufführung. Während sonst die Leute in die erste Oper nicht zahlreich kamen, wenn sie nicht "sonderbaren Beifall hatte", wurde sie mehr als zwanzigmal bei so vollem Hause gegeben, "daß man kaum hineinschliefen konnte". Täglich mußten einige Arien wiederholt werden, bei denen meistens die Primadonna die Oberhand hatte26. So berichtet L. Mozart.
Für Rauzzini schrieb Wolfgang eine Motette "Exsultate" (K.-V. 165, S. III. 22), die am 17. Januar 1773 bei den Theatinern aufgeführt wurde27. Sie ist eigentlich eine dramatische Solokantate. Geistlich ist daran nur der Text, die Musik, die natürlich auf die Stimme des Bestellers Rücksicht nimmt, ist rein opernmäßig, ein weiteres Beispiel für den damals in der Kirchenmusik herrschenden Geist. Bemerkenswert ist die selbständige Rolle, die die Oboen und, namentlich in dem A-Dur-Satz, die Bratschen spielen. Später berichtet der Vater (6. Febr.), daß Wolfgang mit einem Quartett beschäftigt sei.
L. Mozart schob die Abreise immer weiter hinaus, anfangs unter dem Vorwande, daß sie auch die zweite Oper sehen wollten, dann unter dem Vorgeben eines heftigen Rheumatismus, der ihn ans Bett feßle. Er hatte sich nämlich, kräftig unterstützt durch die Empfehlungen des Grafen Firmian, nach Florenz an den Großherzog Leopold, dem er auch die neue Oper zuschickte, mit der Bitte gewandt, Wolfgang an seinem Hofe anzustellen. Der Großherzog ließ sich anfangs gnädig vernehmen, und L. Mozart mußte wünschen, die Verhandlungen von Mailand aus fortzuführen. Als sie schließlich zu keinem günstigen Ergebnis führten, hoffte er wenigstens auf wirksame Empfehlungen von Florenz und richtete seine Gedanken wieder auf eine große Kunstreise. "Thut nur das Geld sparen", schrieb er, "denn Geld müssen wir haben, wenn wir eine Reise vornehmen wollen; mich reuet ein jeder Kreutzer, den wir zu Salzburg ausgeben".
In der letzten Zeit ihres Aufenthalts kam auch ein Kollege aus der Salzburger Kapelle, der Hornist Leutgeb, nach Mailand, der dort sehr gefiel und gute Geschäfte machte.
Anfang März brachen sie endlich auf, denn bis zum Jahrestag der Wahl des Erzbischofs (14. März) mußten sie jedenfalls an Ort und Stelle sein. Am Tage vorher, dem 13. März, trafen sie wieder in Salzburg ein.
Damit schloß Mozarts Tätigkeit für die italienischen Bühnen für immer ab. Er hat keine weitere scrittura mehr erhalten, auch sind seine italienischen Erfolge nicht über die Alpen gedrungen. Gewiß war der neue Herr in Salzburg kein Freund der Kunstreisen seiner Angestellten und hat mit Urlaub gekargt, wo er nur konnte. Andererseits scheint der "Lucio Silla" doch nicht den durchschlagenden Erfolg errungen zu haben, den der gerade hier besonders dick auftragende Vater den Seinen in seinen Briefen vorspiegelt. Ein Blick in die Partitur gibt die Erklärung. Tatsächlich bahnte sich in Mozarts Kunst damals eine Wandlung an, die ihn über den Rahmen der landläufigen opera seria hinausführte. Ihr müssen wir zunächst unser Augenmerk zuwenden.
Nach der neuesten Forschung ist Mozart von seiner letzten italienischen Reise als ausgeprägter "Romantiker" zurückgekehrt, lebhaft berührt von demselben Geiste, der in der gleichzeitigen deutschen Dichtung die Bewegung von Sturm und Drang hervorrief28. Tatsächlich ist allen seinen Werken aus dem Ende dieses Zeitabschnittes ein merkwürdig subjektiver, oft tief leidenschaftlicher und düsterer Grundton gemeinsam; das Gepräge des Selbstbekenntnisses ist ihnen stärker aufgedrückt als ihren Vorgängern. Nur muß daran erinnert werden, daß der Geist von Sturm und Drang mit all seinen Stimmungsgegensätzen Mozart von Hause aus im Blute steckte, und daß die Nachtseiten des Seelenlebens auch seiner älteren Kunst keineswegs fremd waren, wie namentlich sein Schaffen unter Schoberts Einfluß beweist; allerdings hatte ihnen die kindliche Frohnatur des Knaben bisher erfolgreich die Waage gehalten. Wenn sie jetzt mit einem Male stärker hervortreten, so lag der Grund weder in literarischen Einflüssen, denen Mozart damals in Oberitalien nicht erreichbar war, noch in irgendwelchem einschneidenden persönlichen Erlebnis, von dem wir nichts wissen, sondern einfach in der Wucht, mit der die Eindrücke der letzten drei Jahre jetzt, wo der Abschied von Italien bevorstand, auf die Seele des sich der Mannbarkeit nähernden Jünglings einstürmten. Bisher war er über Fülle wechselnder Gestalten kaum zu Atem gekommen, jetzt legten sie sich dem Scheidenden übermächtig auf das junge Herz und preßten ihm Töne von einer Leidenschaft aus, die ihm selbst wohl manchmal wie ein Wunder erschienen.
Gewiß ist der Aufenthalt in Italien für Mozart auch als Menschen bedeutungsvoll geworden. Nur sollte man dabei nicht immer wieder den Schatten Goethes heraufbeschwören. Goethe kam nicht allein sechzehn Jahre später, nicht allein im reifen Mannesalter und mit ganz anderen geistigen Zielen nach Italien; seine ganze Art, Menschen und Dinge zu betrachten, gehörte auch noch zu seiner Zeit zu den Ausnahmen. Vom Standpunkt der modernen romantischen Schwärmerei aus vollends, für deren Abkühlung durch die Ereignisse von 1915 wir den Italienern eigentlich nur dankbar sein können, L. Mozart einen phantasielosen Philister zu schelten, ist seichtester Dilettantismus. Zwischen den italienischen Reisen der Mozarts und der Goethischen liegt vielmehr ein grundsätzlicher Umschwung in unserem ganzen Verhältnis zu fremden Ländern und Völkern, der sich großenteils an den Namen Rousseau knüpft.
Goethes Reisebeschreibung und fast alle späteren beginnen mit mehr oder weniger farbenreichen Bildern aus der Alpenwelt. Davon ist bei den Mozarts mit keinem Worte die Rede, höchstens daß dem Vater die Innsbrucker Gegend "etwas dem Wege nach Hallein bei Kaltenhausen" zu gleichen scheint, sonst "weiß er nichts zu sagen"29. Weit häufiger ist dagegen von den Beschwerden des Alpenübergangs die Rede, von Schnee, Schmutz u. dgl.; Bozen erscheint dem Vater als "traurig", dem Sohne aber geradezu als ein "Sauloch"30. Jeder Schimmer von Gebirgsromantik fehlt, ja die Reisenden stehen noch ganz deutlich unter dem Banne des vorrousseauschen, im Grunde genommen noch antiken Naturgefühls, dem die wilde Schönheit der Berge nur Grauen und Unbehagen einflößte. Das ist auch die Anschauung ihres getreuen literarischen Begleiters, des alten J.G. Keyßler, in seinen Reisebeschreibungen31. Nach dem Abstieg in die Poebene ist von Natureindrücken häufiger die Rede. Schon früher war L. Mozart das schwäbische Land mit seinem lieblichen Gemisch von Wald, Wiesen und Gärten als das "schönste" erschienen, und auch jetzt fesselte ihn an der italienischen Landschaft, wie namentlich sein Lob von Neapel zeigt, vor allem ihr anmutiges, lachendes, gartenhaftes Gepräge; als echter Jünger der Aufklärung vergißt er dabei auch die Fruchtbarkeit nicht32. Dagegen geht z.B. der Vesuv wieder ziemlich eindruckslos an ihnen vorüber, und an den phlegräischen Gefilden bei Neapel sind ihnen Sage und Geschichte wichtiger als die Natur33.
Diese ältere Art des Naturgefühls kommt aber auch in Wolfgangs gesamter Kunst zum Ausdruck. Im Vergleich mit Gluck, Haydn und Beethoven ist ja Mozart an musikalischen Naturbildern überhaupt ärmer, wo sie aber vorkommen, fassen sie, von den herkömmlichen Gewitterbildern u. dgl. abgesehen, die Natur nie von der erhabenen und erschütternden, sondern stets von der lieblichen und idyllischen Seite auf, hierin noch ganz offenbare Absenker des alten italienischen Renaissancegeistes.
Besondere Natureindrücke suchte L. Mozart für sich und die Seinen durch den Ankauf von Kupferstichen und Büchern festzuhalten, und ebenso verfuhr er mit den künstlerischen. Auch hier war Keyßler sein Hauptberater. Eifrig wurden namentlich die antiken Denkmäler studiert. Aber auch hier fehlt alles Gefühlsmäßige und Romantische; das Geschichtliche und Antiquarische herrscht vor, und manchmal wird man an die Kuriositätenfreude der alten "Mirabilien" erinnert. Von den Künsten wird die Architektur bevorzugt, die italienischen Maler dagegen scheinen auf L. Mozart bezeichnenderweise lange keinen solchen Eindruck gemacht zu haben, wie seinerzeit die alten Niederländer.
Im Grunde freilich waren ihm, wie allen Reisenden der damaligen Zeit, Natur und Kunst doch nur Nebendinge, die man sich gerne gefallen ließ, wenn sie am Wege lagen, aber niemals zum Gegenstand besonderer Studien machte. Jenes aufgeklärte Geschlecht erwartete von einer solchen Reise vor allem anderen einen Gewinn für Verstand, Kenntnisse und Sitten, es wollte durch die Bekanntschaft mit Staatsleben, Volk und Gesellschaft des fremden Landes Urteil und Geist bilden und fördern. Diese Dinge haben denn auch bei L. Mozart durchaus den