Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Ungerecht aber ist es, diese damals allgemeinen Anschauungen einer angeblichen persönlichen Beschränktheit Leopolds zur Last zu legen34 oder daraus, daß seine Eindrücke andere waren als die unsrigen, einen Mangel an Aufnahmefähigkeit überhaupt abzuleiten. Das Bild von dem blöden Philister mit seinem halb verträumten, halb närrischen Sohne in der ewigen Stadt mag ruhig modernen Goethekränzchen überlassen bleiben; es ist nicht minder verzeichnet als so manches idealisierende Mozartbild aus den Tagen der Romantik.

      Wolfgang stand natürlich in allen diesen Anschauungen durchaus unter dem Einflusse des Vaters. Wohl haben ihm die Anstrengungen und Arbeiten der Reise zeitweilig stark zugesetzt, dazu näherten sich bei ihm die Entwicklungsjahre, so daß seine ab und zu hervortretende Müdigkeit wohl erklärlich ist. Aber alles das hat doch seine Aufnahmefähigkeit im allgemeinen nicht beeinträchtigt. Seine Briefe an die Schwester sind lebhaft und aufgeweckt, voll von Jugendübermut und gelegentlich recht saftiger Neckerei, und wenn sie sich über Land und Leute außerhalb des rein Musikalischen auch recht kurz fassen, so beweist das doch nicht etwa das Fehlen jeglicher Eindrücke überhaupt. Denn auch die musikalischen Berichte verraten alles eher als einen Freund breiter, begeisterter Ergüsse. Gelobt wird darin nur selten und auch dann äußerst zurückhaltend; was aber am meisten auffällt und durch all die lustigen und oft beißenden Spaße immer wieder hindurchbricht, ist eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe. Jeder Eindruck wirkt schon auf den Dreizehnjährigen gleich nach den verschiedensten Seiten hin, und es liegt ihm nichts ferner, als etwa die eine davon in idealisierender Absicht zugunsten der andern zu unterdrücken. Dieser scharfe, durchdringende Blick, der hinter Menschen und Dingen sofort ein lebendiges Spiel der verschiedenartigsten Kräfte erkennt, verrät den geborenen Dramatiker, er mußte aber gerade im Verkehr mit einem Volke wie dem italienischen besonders geschärft werden. Auf den früheren Reisen war Mozart nur mit einer bestimmten Gesellschaftsschicht in Berührung getreten, jetzt lernte er ein ganzes Volk kennen, von naivem, realistischem Sinn und stets bereit, auch dem Alltagsleben ein Stückchen Dramatik abzugewinnen. Vor allem erkannte er, wie fest die opera buffa auch in ihrer damaligen, verfeinerten Gestalt im Volke wurzelte. Die Welt, die er in der "Finta semplice" noch nach dem Hörensagen hatte schildern müssen, erschloß sich ihm jetzt unmittelbar in der ganzen Fülle ihrer Gestalten, und es ist somit keineswegs bloß das Musikalische, worin die "Finta giardiniera" ihre Vorgängerin überragt.

      So verliefen die italienischen Reisen der Mozarts zwar ohne jeden romantischen Beigeschmack und ohne die heutzutage unvermeidlichen lyrischen Ergüsse, aber in ihrer Art nicht minder gewinnbringend für Wolfgangs spätere Entwicklung. Bezeichnend ist die gänzliche Unbefangenheit, mit der er alle Eindrücke auf sich wirken ließ. Ohne jede Spur von Selbstbetrug, wohl aber mit einer merkwürdigen Neigung zur Ironie spricht er sich auch über anerkannte und gefeierte Größen in Kunst und Leben aus; der Beifall der Menge berührt ihn ebenso wenig wie der päpstliche Orden, dagegen bricht in seinen Briefen die gesunde Liebe zur Heimat und den Seinigen immer wieder hindurch. Mit der Schwester verkehrt er manchmal, als seien sie überhaupt nur wenige Stunden Weges voneinander getrennt. Er unterhält sich mit ihr über Haydnsche Menuette35 und läßt sich von ihr sein Rechenbuch nachschicken36, weil er die alte Lieblingsbeschäftigung auch in Italien nicht missen mag. Auch der Vater, dem Stetigkeit in der Pflichterfüllung über alles ging, hielt streng darauf, daß Wolfgang nach allen Kräften weiter arbeitete; eine ganze Reihe von Kompositionen liefert den Beweis. An literarischen Eindrücken kamen in Italien hauptsächlich dazu die Werke Metastasios, eine italienische Übersetzung von Tausend und einer Nacht, die er in Rom geschenkt bekam und mit großer Freude las37, und der "Télémaque" von Fénélon38.

      Der Musiker Mozart aber, der bisher vorwiegend instrumental erzogen worden war, trat jetzt vollständig unter den Bann der reich entwickelten italienischen Gesangskunst. Gewiß lehren auch die bisherigen Werke, daß die Neigung zum Gesanglichen Mozart angeboren war, aber von jetzt an wird das Verhältnis von Vokal und Instrumental in seiner Kunst nicht etwa ins Gleichgewicht gebracht, sondern zugunsten des Vokalen allmählich verschoben. So bedeutende Instrumentalwerke er auch von jetzt ab noch schaffen sollte, mit dem Herzen steht er doch mehr auf der Seite der Gesangsmusik, ja seine instrumentalen Neuerungen bestehen eben in der Durchdringung der Spielmusik mit gesanglichen Zügen. An diesem Grundzuge seiner Kunst aber hat Italien den entscheidenden Anteil, und wenn er auch später in seinen allgemeinen künstlerischen Grundsätzen bewußt von den Italienern abgerückt ist, ihrem Gesangsstil hat er sich nicht entzogen.

      Aber noch eine zweite Lücke in seinem bisherigen Können wurde in Italien ausgefüllt. Bei Padre Martini ging ihm das lebendige Wesen der Kontrapunktik auf, die er bisher fast nur von der scholastischen Seite kennengelernt hatte, und wiederum war der Gesang der Ausgangspunkt. Jetzt erst lernte er unter Martinis Anleitung die einzelnen Stimmen in ihrem selbständigen melodischen und rhythmischen Leben und damit die poetische Seite des ganzen Stils erfassen, und da Martini zudem als geborener Lehrer in seinem Unterricht von lebendigen Kunstwerken alter Meister ausging, so hatte Mozart außerdem noch Gelegenheit, die ältere italienische Musik kennenzulernen, ein äußerst wirksames Gegengewicht gegen die modischen Operneinflüsse, dessen Segnungen vorher schon so manchem Italiener, z.B. Jommelli39, zugute gekommen waren.

      Der italienische Aufenthalt hat somit nicht allein für den Menschen, sondern auch für den Künstler Mozart die Kindheitsjahre abgeschlossen und zugleich für die nächste Entwicklung des Mannes die Grundzüge festgelegt.

      Fußnoten

      1 B III 102 f.

      2 Wiese-Pèrcopo, Geschichte der ital. Literatur 1899, S. 513 ff. (mit Porträt).

      3 B I 32. Am 24. August schreibt Wolfgang über die Mailänder Wohnung: "Ober unser ist ein Violinist, unter unser auch einer, neben unser ein Singmeister, der Lektion giebt, in dem letzten Zimmer gegen unser ist ein Hautboist. Das ist lustig zum Komponieren! giebt einem viel Gedanken." B I 31.

      4 Der Weg nach Mailand war bei der zweiten und dritten Reise derselbe wie bei der ersten, nur daß die erste Station St. Johann war und die letzte vor Mailand Brescia.

      5 Welchen Eindruck sie auf ihn machte, zeigt eine spätere Äußerung gegen seinen Vater (Mannheim, 19. Febr. 1778): "Wer die Gabrielli gehört hat, sagt und wird sagen, daß sie nichts als eine Passagen- und Rouladenmacherin war; und weil sie sie aber auf eine so besondere Art ausdrückte, verdiente sie Bewunderung, welche aber nicht länger dauerte, als bis sie das viertemal sang. Denn sie konnte in die Länge nicht gefallen; der Passagen ist man bald müde, und sie hatte das Unglück, daß sie nicht singen konnte. Sie war nicht im Stande, eine ganze Note gehörig auszuhalten, sie hatte keine ›messa di voce‹, sie wußte nicht zu souteniren, mit einem Wort: sie sang mit Kunst, aber mit keinem Verstand." B I 167.

      6 Hasse hatte am 23. März 1771 an Ortes geschrieben (Kretzschmar a.a.O. 265): "Der junge Mozart ist für sein Alter sicher ein Wunder und ich liebe ihn wirklich unendlich. Der Vater ist, soweit ich sehe, ewig und mit allem unzufrieden, darüber wird inzwischen auch hier geklagt. Er vergöttert seinen Sohn etwas zu sehr und tut damit was möglich ist, ihn zu verderben, aber ich habe von dem natürlichen Sinne des Jungen eine so gute Meinung, daß ich hoffe, er wird sich trotz der Schmeicheleien des Vaters nicht verderben lassen, sondern ein wackerer Mensch werden."

      7 Carpani, Le Haydine p. 83. Kandler, Cenni int. alla vita del G.A. Hasse p. 27. Mennicke, Hasse und die Gebrüder Graun als Sinfoniker, S. 433 f. bezweifelt die Echtheit des Ausspruchs mit dem Hinweis auf L. Mozarts Schweigen darüber.

      8 Parinis Beschreibung der Festlichkeiten ("Descrizione delle feste celebrate in Milano per le nozze delle L.L.A.A.R.R. l'arcid. Ferdinando e l'arcid. Maria Beatrice") erschien Mailand 1825.

      9 B III 114.

      10 Die Uhr erwarb später ein Kaufmann Jos. Strebl in Wien, der mit Mozart in Mödling zu kegeln pflegte (Südd. MZ 1856, Nr. 1, S. 4). Schließlich kam sie in den Besitz eines Kunsthändlers Jos. Wagner in Pest. Wurzbach, Mozartbuch S. 178. – Leider fehlt auch nicht die Kehrseite dieses


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