Märchen aus Frankreich, Band 1. Группа авторов
auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Märchen aus Frankreich - Teil 1
Wie Galopin für Elias von St. Gilles das Wunderpferd Primsaus von Aragon stahl
Elias von St. Gilles ritt, vom Fluche seines Vaters getroffen, in die Welt. Nach mannigfachen Abenteuern überraschte er einst in Spanien vier Räuber beim Mahl; drei davon erschlug er, den vierten, Namens Galopin, einen schlauen und behenden Burschen, nahm er als Diener an. Und bald bedurfte er seiner, denn bei einem Überfall der Sarazenen wurde Elias verwundet. Galopin schleppte seinen Herrn in einen Weingarten und hier erblickte ihn Rosamunde, die Tochter des Heidenkönigs Macabre. Sie pflegte den Wunden und heilte ihn mit kräftigen Tränken.
Ein sarazenischer König, Lubien von Baudas, warb um die Jungfrau und drohte, falls sie ihm verweigert würde, ihren Vater mit Krieg zu überziehen. Schon hatte sein Heer Macabres Burg im Halbkreise umschlossen, doch niemand wagte es, den gewaltigen Heiden zu bekämpfen. Da erbot sich Rosamunde selbst, einen Kämpfer gegen den ungeliebten Werber zu stellen, und sie bat Elias um den Ritterdienst. "O, Herrin," sagte Elias, "wie sollte ich einer Frau dienen, die nicht an meinen Gott glaubt! Aber um dessentwillen, was Ihr an mir getan habt, als ich krank und verwundet dalag, will ich Eurer Bitte willfahren. Gebt mir Roß und Waffen, so will ich hinausgehen und meinen Leib gegen Euren Freier zum Pfande setzen. Bei Gott, ich weiß meine Lanze zu führen, und kein Heide in Spanien, der Euch beleidigt hat, soll sich des Sieges rühmen, wenn wir auseinandergehen." "Herr," sagte die Jungfrau, "Ihr macht mich froh. Um Euretwillen werde ich Mohammed verlassen und mit Euch nach Frankreich gehen. Aber vor einem hütet Euch, wenn Ihr mit dem Emir kämpfen wollt. Der Schurke besitzt ein Streitroß, wie es in Frankreich keines gibt: es heißt Primsaus von Aragon, Oriande war seine Mutter. Wenn in der Schlacht das Gedränge groß ist, dann springt es mit allen vier Beinen auf und schreit und schlägt mit den Füßen um sich und tötet jeden, den es trifft. Jeden, der es beim Zügel nimmt, wirft es zu Boden, er müßte denn trefflich zu turnieren verstehen."
Als Galopin dieses Lob hörte, sprang er auf und trat zu seinem Herrn: "Edler Graf," sagte er, "was zaudert Ihr noch? Bittet die Jungfrau, daß sie Euch Waffen gibt. Ehe nach Mitternacht der erste Hahn kräht, werde ich Euch das Streitroß verschaffen, allen Heiden zum Trotz!" Galopin bekleidete sich mit seinem Mantel – er maß nur drei Fuß – und band sich hundert Denare um.
Er war ein Spitzbube und kannte sein Handwerk. Er schlich sich durch die Hintertür und durchwatete den Bach, der am Schlosse vorbeiströmte; dann eilte er durch den Weingarten und durchmaß das feindliche Lager, bis er zum Zelte des Emirs gelangte. "Der große Mohammed, der die Welt regiert," rief er Lubien zu, der vor seinem Zelte saß, "erhalte den Kaiser und alle, die ihm dienen." "Freund," antwortete der Emir argwöhnisch, "er segne auch dich. Doch sage mir, wer bist du und aus welchem Lande stammst du?" Galopin, der Schlaue, entgegnete ihm: "Herr, von jenseits des Meeres komme ich. Noch gestern abend bei der Vesper war ich ein reicher Kaufmann, ich führte ein Schiff, wie noch kein Mensch eines sah, voll Gold und Silber, Seidenstoff und Tuch; zwanzig Streitrosse waren darauf und zwanzig schöne Maultiere, die sandte Euch der Herr meines Landes, denn er ehrt Euch sehr. Macabre hat mir alles weggenommen, meine Leute hat er mir getötet und mich selbst ins Meer geworfen. Nun komme ich zu Euch, o König, daß Ihr mir mein Recht verschafft." Als der König das hörte, geriet er außer sich, er richtete sich auf und legte die Hand an den Kopf: "Zu seinem Unglück hat das der Schurke erdacht, bei meinem Barte! Ihr werdet Eure Schiffe und Eure Habe wiederbekommen und vom Seinigen noch fünfzehnmal soviel dazu, ehe der Krieg endet." "Herr," sagte der Spitzbube, "an den Waren liegt mir nicht viel, denn ich verstehe es wohl, mir neue zu erwerben; aber die Rosse bekümmern mich, denn eines war darunter, das sehr rühmenswert war: ein prächtiger armenischer Grauschimmel mit schmalem Kopf und offenem, stolzem Auge. Kleine Ohren hatte er und zartes Haar, langbeinig war er und schnellfüßig. Nie war ein besserer Streithengst im Kampf. Wenn er im Schlachtgetümmel einen Ritter am Boden liegen sah, so trat er ihn mit Füßen, bis er zerstampft war." "Schweig, du Schuft," rief der Emir, "ich habe hundert Rosse, die mehr zu schätzen sind. Ich gäbe sie nicht um tausend Pfund lauteren Goldes her. Wenn du alle Pferde Frankreichs zusammenbrächtest, ich möchte sie nicht gegen eines meiner Rosse vertauschen. Aber gleich sollst du es sehen." "Herr," sagte der schlaue Galopin, "warum sollte ich es sehen? Ich verstehe nichts von Pferden. Wenn ich eines schnell laufen sehe, so halte ich es für einen guten Traber. Lieber wäre es mir, Ihr gäbet mir ein wenig zu essen. Lange trieb ich auf dem Meere und der ganze Körper ist mir durchnäßt." "Bei meinem Haupte,"