Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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grüß­te? Ge­gen­über lieb­kos­te zärt­lich eine rö­mi­sche Kö­ni­gin ihre Chi­mära.26 Dort leb­ten all die Lau­nen des kai­ser­li­chen Roms wie­der auf, das Bad, das La­ger, die Toi­let­te ei­ner träu­me­risch trä­gen Ju­lia, die ih­ren Ti­bull er­war­tet. Mit der Macht ara­bi­scher Ta­lis­ma­ne weck­te der Kopf Ci­ce­ros die Erin­ne­rung an das freie Rom in ihm und ließ die Sei­ten des Ti­tus Li­vi­us27 vor ihm ab­rol­len. Der jun­ge Mann las ›Se­na­tus Po­pu­lus­que Ro­ma­nus‹;28 wie ne­bel­haf­te Traum­ge­stal­ten zo­gen der Kon­sul, die Lik­to­ren, die pur­pur­ge­säum­ten To­gen, die Kämp­fe des Forums, das er­zürn­te Volk lang­sam an ihm vor­bei. Schließ­lich über­tön­te das christ­li­che Rom die­se Bil­der. Ein Ge­mäl­de öff­ne­te die himm­li­schen Ge­fil­de, er er­blick­te die Jung­frau Ma­ria in­mit­ten von En­geln auf ei­ner gol­de­nen Wol­ke, den Glanz der Son­ne über­strah­lend, wie sie, die wie­der­er­stan­de­ne Eva, gü­tig lä­chelnd die Kla­gen der Un­glück­li­chen an­hört. Wie er ein Mo­sa­ik­bild be­rühr­te, das aus der ver­schie­den­far­bi­gen Lava des Ve­suv und des Ätna zu­sam­men­ge­setzt war, flog sei­ne See­le in das war­me, heiß­blü­ti­ge Ita­li­en. Er wohn­te den Or­gi­en der Bor­gia29 bei, durch­streif­te die Abruz­zen, warb um die Lie­be ita­lie­ni­scher Frau­en, ent­brann­te in Lei­den­schaft für ihr wei­ßes Ant­litz mit den schwar­zen Man­delau­gen. Er schau­der­te, nächt­li­che Er­fül­lung wur­de von der kal­ten Klin­ge des Ehe­manns jäh un­ter­bro­chen, als er einen mit­tel­al­ter­li­chen Dolch ge­wahr­te, des­sen Griff fein zi­se­liert war und auf dem Rost­fle­cke an Blut ge­mahn­ten. In­di­en und sei­ne Re­li­gio­nen wur­den le­ben­dig in ei­nem chi­ne­si­schen Göt­zen, an­ge­tan mit Gold und Sei­de, ei­nem spit­zen Hut, mit ge­schwun­ge­nen Rau­ten, rund­um mit Glöck­chen be­hängt. Da­ne­ben ström­te eine Bin­sen­mat­te, hübsch wie die Ba­ja­de­re, die sich einst­mals dar­auf zu­sam­men­ge­rollt ha­ben moch­te, noch den her­ben Duft des San­del aus. Ein chi­ne­si­sches Un­ge­heu­er mit ver­dreh­ten Au­gen, ver­zerr­tem Mund, ver­renk­ten Glie­dern bot der See­le neu­en Reiz in der Fin­dig­keit ei­nes Vol­kes, das, des ein­för­mig Schö­nen über­drüs­sig, un­er­schöpf­li­che Freu­den in der Frucht­bar­keit des Häß­li­chen fin­det. Ein Salz­napf aus den Werk­stät­ten des Ben­ve­nu­to Cel­li­ni30 ver­setz­te ihn mit­ten in die Re­naissance, in die Zeit, da Kunst und Hand­werk blüh­ten, da Fürs­ten sich an Fol­te­run­gen er­götz­ten und Kon­zi­le in den Ar­men von Kur­ti­sa­nen lie­gend den ein­fa­chen Pries­tern Keusch­heit vor­schrie­ben. Auf ei­ner Ka­mee sah er die Sie­ge Alex­an­ders; die Massa­ker Pi­zar­ros auf ei­ner Lun­ten­schloß­mus­ke­te; auf ei­nem Helm die wil­den, hit­zi­gen, grau­sa­men Re­li­gi­ons­krie­ge. Dann tauch­ten aus ei­ner präch­tig da­mas­zier­ten, blank­ge­putz­ten mai­län­di­schen Rüs­tung, un­ter de­ren Vi­sier noch die Au­gen ei­nes Palad­ins zu fun­keln schie­nen, die hei­tern Bil­der der Rit­ter­zeit em­por.

      Die­ses Meer von Haus­rat, Er­fin­dun­gen, Mo­den, Kunst­wer­ken und Bruch­stücken bil­de­te für ihn ein end­lo­ses Poem. For­men, Far­ben, Ge­dan­ken, al­les leb­te wie­der auf, doch kein Gan­zes bot sich der See­le dar. Der Dich­ter muß­te die Skiz­zen des großen Ma­lers er­gän­zen, auf des­sen un­ge­heu­rer Pa­let­te die zahl­lo­sen Er­zeug­nis­se mensch­li­chen Le­bens in ver­schwen­de­ri­scher Fül­le acht­los zu­sam­men­ge­wor­fen wa­ren. Nach­dem der jun­ge Mann die Welt ge­schaut, Län­der, Zeit­al­ter, Herr­sche­re­po­chen an sich hat­te vor­über­zie­hen las­sen, wand­te er sich ein­zel­nen Schick­sa­len zu. Er ver­setz­te sich in neue Ge­stal­ten, wo­bei er sich an Ein­zel­hei­ten ori­en­tier­te und das Le­ben der Völ­ker, als zu nie­der­drückend für einen ein­zel­nen Men­schen, bei­sei­te ließ.


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