Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Un­be­kann­te folg­te sei­nem Füh­rer und ge­lang­te in eine vier­te Ga­le­rie, wo an sei­nen er­mü­de­ten Au­gen in ge­dräng­ter Fol­ge Ge­mäl­de von Pous­sin vor­über­zo­gen, eine herr­li­che Sta­tue von Mi­che­lan­ge­lo, ei­ni­ge ent­zücken­de Land­schaf­ten von Clau­de Lor­rain,38 ein Gérard Dou,39 der wie eine Sze­ne von Ster­ne an­mu­te­te, Rem­brandts, Mu­ril­los,40 Ve­las­que­z’,41 düs­ter und far­ben­reich wie ein Poem von Lord By­ron,42 über­dies an­ti­ke Bas­re­li­efs, Achat­kel­che, sel­te­ne Ony­xe! … Kurzum, es wa­ren Ar­bei­ten, die ei­nem die Ar­beit ver­lei­den konn­ten, Kunst­wer­ke in sol­cher Un­zahl, daß sie ei­nem Wi­der­wil­len ge­gen die Kunst ein­flö­ßen und die Be­geis­te­rung tö­ten muß­ten. Er stand vor ei­ner Ma­don­na von Raf­fa­el, aber er war Raf­faels über­drüs­sig. Selbst für eine Fi­gur von Cor­reg­gio43 hat­te er nicht ein­mal mehr den Blick, den sie er­heisch­te. Eine an­ti­ke Por­phy­r­va­se von un­schätz­ba­rem Wert, de­ren rund­um­lau­fen­des Re­lief die gro­tesk-un­züch­tigs­te al­ler rö­mi­schen Pria­peen dar­stell­te und einst­mals ir­gend­ei­ne Co­rin­na höch­lichst er­götz­te, ent­lock­te ihm kaum ein Lä­cheln. Er er­stick­te un­ter den Trüm­mern fünf­zig ent­schwun­de­ner Jahr­hun­der­te, er war krank von all die­sem mensch­li­chen Ge­dan­ken­gut, er­schla­gen von Pracht und Kunst­wer­ken, er­drückt von die­sen stän­dig neu er­wach­sen­den For­men, die, wie die Aus­ge­bur­ten ei­nes bos­haf­ten Geis­tes, un­abläs­sig aus dem Bo­den schos­sen und ihn in einen schier end­lo­sen Kampf ver­strick­ten.

      Braut die See­le, die in ih­rer Verän­der­lich­keit der mo­der­nen Che­mie gleicht, wel­che die Schöp­fung von ei­nem Gas ab­lei­tet, durch die ra­sche Kon­zen­tra­ti­on ih­rer Genüs­se, ih­rer Kräf­te oder ih­rer Ide­en nicht schreck­li­che Gif­te? Ster­ben vie­le Men­schen nicht an ei­ner mo­ra­li­schen Säu­re, die sich plötz­lich über ihr In­ne­res er­gießt?

      »Was ist denn in die­sem Kas­ten?« frag­te er, als er in ein großes Ka­bi­nett trat, eine letz­te Schatz­kam­mer, die Herr­lich­keit, Meis­ter­wer­ke aus Men­schen­hand, Ku­rio­si­tä­ten und Reich­tü­mer, in Fül­le ent­hielt, und deu­te­te auf einen großen vier­e­cki­gen Ma­ha­go­nisch­rein, der mit ei­ner sil­ber­nen Ket­te an ei­nem Na­gel hing.

      »Oh, Mon­sieur al­lein hat den Schlüs­sel dazu«, sag­te der di­cke Bur­sche ge­heim­nis­voll. »Wenn Sie das Por­trät zu se­hen wün­schen, wer­de ich es wa­gen, Mon­sieur da­von in Kennt­nis zu set­zen.«

      »Es wa­gen!« sag­te der jun­ge Mann. »Ist Ihr Herr ein Fürst?«

      »Schon mög­lich«, ant­wor­te­te der Bur­sche.

      Sie sa­hen sich einen Au­gen­blick an, der eine so er­staunt wie der an­de­re. Der Lehr­ling deu­te­te das Schwei­gen des Un­be­kann­ten als un­aus­ge­spro­che­nen Wunsch und ließ ihn in dem Ka­bi­nett al­lein.


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