Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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bei die­sem Ge­schäft gibt, die­se für dich be­stimmt ist? Ge­hen wir in den Bois de Bou­lo­gne«, sag­te er, »wir wer­den dort dei­ne Com­tes­se se­hen, und ich will dir die hüb­sche klei­ne Wit­we zei­gen, die ich hei­ra­ten soll, eine rei­zen­de Per­son, El­säs­se­rin, frei­lich ein biß­chen fett. Sie liest Kant, Schil­ler, Jean Paul und noch eine Men­ge »was­ser­för­dern­der« Bü­cher. Sie hat die Ma­nie, mich im­mer nach mei­ner Mei­nung zu fra­gen; dann muß ich eine Mie­ne schnei­den, als ver­stün­de ich die­se gan­ze deut­sche Emp­fin­de­lei und kenn­te einen Hau­fen Bal­la­den: lau­ter Dro­gen, die mir vom Arzt ver­bo­ten sind. Ich habe ihr ih­ren li­te­ra­ri­schen En­thu­si­as­mus noch nicht ab­ge­wöh­nen kön­nen, sie heult zum Steiner­wei­chen, wenn sie Goe­the liest, und ich muß aus Ge­fäl­lig­keit ein biß­chen mit wei­nen, denn es ste­hen 50 000 Li­vres Ren­te in Fra­ge, mein Lie­ber, und der nied­lichs­te Fuß, das rei­zends­te Händ­chen der Welt. Ach! wenn sie nicht ›mon an­che‹ sag­te statt ›mon an­ge‹ und ›prou­lier‹ statt ›brouil­ler‹, wäre sie eine voll­kom­me­ne Frau.« Wir sa­hen die Com­tes­se, glän­zend in glän­zen­der Equi­pa­ge. Die Ko­ket­te grüß­te uns sehr herz­lich und warf mir ein Lä­cheln zu, das mir da­mals himm­lisch und vol­ler Lie­be vor­kam. Ach! ich war sehr glück­lich, ich glaub­te mich ge­liebt, hat­te Geld und Schät­ze an Lei­den­schaft. Das Elend war vor­bei. Leich­ten Her­zens, hei­ter, mit al­lem zu­frie­den, fand ich auch die Ge­lieb­te mei­nes Freun­des be­zau­bernd. Die Bäu­me, die Luft, der Him­mel, die gan­ze Na­tur schie­nen mir das Lä­cheln Fœ­do­ras wi­der­zu­spie­geln. Auf dem Rück­we­ge von den Champs-Elysées gin­gen wir zu dem Hut­ma­cher und dem Schnei­der Ras­ti­gnacs. Die Hals­band­ge­schich­te er­laub­te mir, von mei­nem kläg­li­chen Frie­dens­pfad auf einen stol­zen Kriegs­pfad über­zu­wech­seln. In Zu­kunft konn­te ich mich furcht­los mit der Gra­zie und Ele­ganz der jun­gen Män­ner, die Fœ­do­ra um­schwärm­ten, mes­sen. Ich ging nach Hau­se, ich schloß mich ein und saß an­schei­nend ru­hig vor mei­ner Dach­lu­ke; in Wahr­heit aber sag­te ich mei­nen Dä­chern auf ewig Le­be­wohl, leb­te be­reits in der Zu­kunft, mal­te mir mein Le­ben aus, ge­noß im vor­aus die Lie­be und de­ren Freu­den. Oh, wie stür­misch kann das Le­ben zwi­schen den vier Wän­den ei­ner Man­sar­de wer­den! Die mensch­li­che See­le ist eine Fee, sie ver­wan­delt Stroh in Dia­man­ten; un­ter ih­rem Zau­ber­sta­be er­ste­hen die Mär­chen­sch­lös­ser wie die Blu­men des Fel­des un­ter dem war­men Hauch der Son­ne. Am nächs­ten Tage um die Mit­tags­stun­de klopf­te Pau­li­ne lei­se an mei­ne Tür und brach­te mir – rate was? – einen Brief von Fœ­do­ra. Die Com­tes­se bat mich, sie im Lu­xem­bourg ab­zu­ho­len und sie ins Mu­se­um und den Jar­din des Plan­tes35 zu be­glei­ten. »Der Bote war­tet auf Ant­wort«, sag­te sie nach ei­nem Mo­ment des Schwei­gens. Ich krit­zel­te ei­ligst einen Dank­brief, den Pau­li­ne mit­nahm. Ich klei­de­te mich an. Im Au­gen­blick, da ich recht zu­frie­den mit mir mei­ne Toi­let­te be­en­de­te, über­lief es mich eis­kalt bei dem Ge­dan­ken: Ist Fœ­do­ra zu Fuß oder im Wa­gen ge­kom­men? Wird es reg­nen, wird es schön sein? Aber gleich­viel, sag­te ich mir, ob zu Fuß oder im Wa­gen, ist man je­mals vor den phan­tas­ti­schen Lau­nen ei­ner Frau si­cher? Sie wird kein Geld bei sich ha­ben und ei­nem klei­nen Sa­voyar­den 100 Sous ge­ben wol­len, weil er in sei­nen Lum­pen so hübsch aus­sieht. Ich be­saß kei­nen ro­ten Hel­ler und soll­te erst am Abend Geld be­kom­men. Oh, wie teu­er zahlt ein Dich­ter in je­nen ent­schei­de­nen Au­gen­bli­cken der Ju­gend sei­ne geis­ti­ge Über­le­gen­heit, die er der Ar­beit und sei­ner stren­gen Le­bens­wei­se ver­dankt! Im Nu schos­sen mir tau­send schmerz­haf­te Ge­dan­ken wie spit­ze Pfei­le durch den Kopf. Ich blick­te durch mein Dach­fens­ter zum Him­mel. Das Wet­ter war sehr un­si­cher. Wenn es not täte, könn­te ich al­len­falls einen Wa­gen für den Tag mie­ten; aber wür­de ich nicht in mei­nem Glück je­den Au­gen­blick zit­tern, Fi­not am Abend nicht an­zu­tref­fen? Ich fühl­te mich nicht stark ge­nug, so vie­le Ängs­te in­mit­ten mei­ner Freu­den aus­zu­hal­ten. Ob­wohl ich ge­wiß war, nichts zu fin­den, un­ter­nahm ich eine aus­ge­dehn­te Such­ak­ti­on in mei­nem Zim­mer, bis in die Tie­fen mei­nes Strohsacks hin­ab forsch­te ich nach nicht vor­han­de­nen Ta­lern, ich kehr­te das Un­ters­te zu­oberst, schüt­tel­te so­gar die al­ten Stie­fel aus. In fie­ber­haf­ter Auf­re­gung starr­te ich auf mei­ne Mö­bel, die ich al­le­samt durch­stö­bert hat­te. Den­ke dir, wie ich au­ßer mir ge­riet, als ich zum sie­ben­ten Male mei­ne Schreib­tisch­schub­la­de mit der Be­harr­lich­keit, die uns die Verzweif­lung ein­gibt, un­ter­su­che und, ge­gen ein Sei­ten­brett ge­lehnt, tückisch ver­kro­chen, aber blank, glän­zend, hell wie ein auf­ge­hen­der Stern ein schö­nes ed­les 100-Sous-Stück ent­deck­te! Ohne von ihm Re­chen­schaft zu for­dern ob sei­nes Schwei­gens, noch ob der Grau­sam­keit, der es sich sei­nes Katz-und-Maus-Spiels we­gen schul­dig ge­macht hat­te, küß­te ich es wie einen Freund in der Not und be­grüß­te es mit ei­nem lau­ten Ruf, der ein Echo fand. Ich dreh­te mich um und ge­wahr­te Pau­li­ne, die ganz blaß war. »Ich habe ge­glaubt«, sag­te sie mit be­weg­ter Stim­me, »daß Sie sich weh ge­tan ha­ben. Der Bote …« (sie hielt inne, als müs­se sie nach Luft rin­gen), »mei­ne Mut­ter hat ihn be­zahlt«, sag­te sie noch. Dann eil­te sie hin­aus, ein kind­lich lau­ni­scher Flat­ter­geist. Arme Klei­ne! Ich wünsch­te ihr mein Glück. Im Au­gen­blick schi­en es mir, als trü­ge ich alle Se­lig­keit der Erde in mei­nem Her­zen, und ich hät­te den Un­glück­li­chen den Teil zu­rück­er­stat­ten mö­gen, den ich ih­nen zu steh­len glaub­te. Fast im­mer trifft ein Un­glück, das wir vor­au­sah­nen, ein; die Com­tes­se hat­te ih­ren Wa­gen weg­ge­schickt. Aus ei­ner je­ner Lau­nen, die schö­nen Frau­en meist selbst un­er­klär­lich sind, woll­te sie zu Fuß über die Bou­le­vards zum Jar­din des Plan­tes ge­hen. – ›A­ber es wird reg­nen‹, wand­te ich ein. Es ge­fiel ihr, mir zu wi­der­spre­chen. Zu­fäl­lig blieb es schön, so­lan­ge wir im Lu­xem­bourg spa­zie­ren­gin­gen. Als wir den Park ver­lie­ßen, fie­len aus ei­ner di­cken Wol­ke, de­ren Her­auf­zie­hen mich schon be­un­ru­higt hat­te, ei­ni­ge Re­gen­trop­fen, und wir nah­men einen Wa­gen. Doch hör­te der Re­gen auf, als wir auf den Bou­le­vards an­ge­langt wa­ren; der Him­mel hei­ter­te sich auf. Vor dem Mu­se­um woll­te ich den Wa­gen weg­schi­cken; Fœ­do­ra bat mich je­doch, ihn zu be­hal­ten. Wel­che Qua­len! Aber mit ihr zu plau­dern, wäh­rend ich einen ge­hei­men Aber­witz un­ter­drück­te, der sich auf mei­nem Ge­sicht wahr­schein­lich in ei­nem star­ren, al­ber­nen Lä­cheln spie­gel­te; durch den Jar­din des Plan­tes zu schwei­fen, die schat­ti­gen Al­leen zu durch­wan­dern und ih­ren Arm auf dem mei­nen zu füh­len, in all dem lag et­was un­ge­mein Phan­tas­ti­sches; es war ein Traum am hel­len Tage. Doch hat­ten ihre Be­we­gun­gen, ob wir nun gin­gen oder ste­hen­blie­ben, trotz ih­rer schein­ba­ren Sinn­lich­keit, nichts Hin­ge­ben­des und Sanf­tes. Wenn ich ver­such­te, mich ih­rem in­ne­ren Rhyth­mus ge­wis­ser­ma­ßen an­zu­glei­chen, stieß ich in ihr auf eine ver­bor­ge­ne Hef­tig­keit, et­was ei­gen­tüm­lich Ruck­haf­tes, Ex­zen­tri­sches. Frau­en ohne Herz ha­ben nichts Wei­ches, An­schmieg­sa­mes in ih­ren Be­we­gun­gen. Auch wa­ren wir we­der durch einen glei­chen Wil­len noch durch einen glei­chen Schritt ver­eint. Es gibt kei­ne Wor­te, um die­se kör­per­li­che Dis­har­mo­nie zwei­er We­sen wie­der­zu­ge­ben, denn wir sind noch nicht dar­an ge­wöhnt, aus der Be­we­gung einen Ge­dan­ken ab­zu­le­sen. Die­ses Phä­no­men un­se­rer Na­tur ist nur in­stink­tiv zu füh­len, es läßt sich nicht in Wor­te fas­sen.

      *

      In sol­chen Hoch­ge­füh­len mei­ner Lei­den­schaft«, fuhr Ra­pha­el nach ei­ni­gem


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