Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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die Com­tes­se dort hin­füh­ren zu kön­nen, woll­te ich den gol­de­nen Rah­men vom Bild mei­ner Mut­ter ver­pfän­den. Das Leih­haus stel­le ich mir von je­her wie eins der Tore zum Ba­gno vor; aber es war im­mer noch bes­ser, so­gar mein Bett da­hin zu tra­gen, als Al­mo­sen zu er­bet­teln. Der Blick ei­nes Men­schen, den man um Geld bit­tet, tut so weh! Man­che Dar­le­hen kos­ten uns un­se­re Ehre, wie manch ab­schlä­gi­ger Be­scheid aus Freun­des­mund uns eine letz­te Il­lu­si­on raubt. Pau­li­ne ar­bei­te­te, ihre Mut­ter hat­te sich zur Ruhe be­ge­ben. Nach ei­nem flüch­ti­gen Blick auf das Bett, des­sen Vor­hän­ge leicht zu­rück­ge­zo­gen wa­ren, glaub­te ich Ma­da­me Gau­din fest ein­ge­schla­fen, da ich ihr gel­bes ru­hi­ges Pro­fil auf dem Kopf­kis­sen wahr­nahm. – ›Sie ha­ben Kum­mer?‹ frag­te Pau­li­ne und leg­te den Pin­sel auf ihre Mal­ar­beit. – ›Gu­tes Kind, Sie kön­nen mir einen großen Ge­fal­len er­wei­sen‹, er­wi­der­te ich ihr. Sie sah mich so be­glückt an, daß ich er­zit­ter­te. ›Soll­te sie mich lie­ben?‹ dach­te ich. ›Pau­li­ne‹, be­gann ich von neu­em und setz­te mich nun nahe zu ihr, um sie aus­zu­for­schen. Sie er­riet, was ich woll­te, so ein­dring­lich fra­gend war mein Ton; sie senk­te die Au­gen, und ich sah sie prü­fend an. Ich glaub­te in ih­rem Her­zen le­sen zu kön­nen wie in mei­nem ei­ge­nen, denn der Aus­druck ih­res Ant­lit­zes war rein und un­schul­dig. – ›Sie lie­ben mich?‹ frag­te ich end­lich. – ›Ein biß­chen, über alle Ma­ßen, gar nicht!‹ rief sie. Sie lieb­te mich nicht. Ihr necki­scher Ton und ihre pos­sier­li­chen Ge­bär­den zeug­ten nur von der mut­wil­li­gen Dank­bar­keit ei­nes jun­gen Mäd­chens. Ich ge­stand ihr also mei­ne schlim­me Lage, die Ver­le­gen­heit, in der ich mich be­fand, und bat sie, mir zu hel­fen. – ›Wie, Mon­sieur Ra­phael‹, rief sie, ›Sie wol­len nicht aufs Leih­haus ge­hen und schi­cken mich!‹ Ich er­rö­te­te. Ihre kind­li­che Lo­gik setz­te mich in Ver­le­gen­heit. Dann er­griff sie mei­ne Hand, als wol­le sie die Wahr­heit ih­res Aus­rufs durch eine Zärt­lich­keit wie­der­gut­ma­chen. – ›Oh!‹ fuhr sie dann fort, ›ich gin­ge schon gern, aber der Gang ist un­nö­tig. Heu­te mor­gen habe ich hin­ter dem Kla­vier zwei 100-Sous-Stücke ge­fun­den, die Sie wohl aus Ver­se­hen zwi­schen Wand und Scheu­er­leis­te rol­len lie­ßen; ich habe sie Ih­nen auf Ihren Tisch ge­legt.‹ – ›Sie wer­den ge­wiß bald Geld be­kom­men, Mon­sieur Ra­phael‹, sag­te nun die gute Mut­ter und steck­te den Kopf durch die Vor­hän­ge, ›ich kann Ih­nen in­zwi­schen gut und gern ein paar Ta­ler lei­hen.‹ – ›O Pau­li­ne!‹, rief ich und drück­te ihr die Hand, ›ich woll­te, ich wäre reich!‹ – ›Bah! Wa­rum denn?‹ rief sie keck. Ihre Hand zit­ter­te in mei­ner und er­wi­der­te alle Schlä­ge mei­nes Her­zens; sie zog ihre Fin­ger rasch zu­rück und be­trach­te­te prü­fend mei­ne Hand. ›Sie wer­den eine rei­che Frau hei­ra­ten‹, sag­te sie dann, ›a­ber sie wird Ih­nen viel Kum­mer ma­chen. O mein Gott! sie wird Sie tö­ten! Das weiß ich si­cher.‹ In ih­rem Auf­schrei lag ein ge­wis­ser Glau­ben an die när­ri­schen Pro­phe­zei­un­gen ih­rer Mut­ter. – ›Sie sind sehr leicht­gläu­big, Pau­li­ne!‹ – ›Oh, ganz si­cher‹, ver­setz­te sie und sah mich ent­setzt an, ›die Frau, die Sie lie­ben, wird Sie tö­ten!‹ Sie griff wie­der zu ih­rem Pin­sel, tauch­te ihn, tief­be­wegt, in die Far­be und sah mich nicht mehr an. In die­sem Au­gen­blick hät­te ich schon an der­lei Hirn­ge­spins­te glau­ben mö­gen. Ein Mensch ist nicht so elend dran, wenn er aber­gläu­bisch ist. Der Aber­glau­be ist oft eine Hoff­nung. In mei­nem Zim­mer sah ich in der Tat zwei präch­ti­ge Ta­ler auf dem Tisch lie­gen, de­ren Da­sein mir un­er­klär­lich schi­en. In den wir­ren Ge­dan­ken wäh­rend des Ein­schla­fens ging ich mei­ne Aus­ga­ben durch, um die­sen un­er­hoff­ten Fund zu recht­fer­ti­gen, aber in ver­geb­li­che Rech­ne­rei­en ver­lo­ren, schlief ich ein. Am nächs­ten Mor­gen kam Pau­li­ne, als ich ge­ra­de aus­ge­hen woll­te, um eine Loge zu be­stel­len. ›Vi­el­leicht rei­chen Sie mit zehn Fran­cs nicht aus‹, sag­te das lie­be, hol­de Kind er­rö­tend, ›im Auf­trag mei­ner Mut­ter soll ich Ih­nen die­ses Geld an­bie­ten. Neh­men Sie, neh­men Sie!‹ Sie leg­te drei Ta­ler auf den Tisch und woll­te ei­ligst hin­aus; aber ich hielt sie fest. Be­wun­de­rung trock­ne­te die Trä­nen, die mir in die Au­gen tra­ten. ›Pau­li­ne‹, rief ich, ›Sie sind ein En­gel! Die­ses Dar­lehn rührt mich nicht so tief wie das Zart­ge­fühl, mit dem Sie es mir bie­ten. Ich sehn­te mich nach ei­ner rei­chen, ele­gan­ten, vor­neh­men Frau. Aber ach, jetzt woll­te ich, ich be­sä­ße Mil­lio­nen und fän­de ein jun­ges Mäd­chen, das arm wäre und ein rei­ches Herz hät­te wie Sie. Dann wür­de ich ei­ner ver­häng­nis­vol­len Lei­den­schaft ent­sa­gen, die mich tö­ten wird. Vi­el­leicht wer­den Sie da­mit recht be­hal­ten.‹


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