Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
ich Ihnen versichern, daß ich nie einem Manne angehören werde.‹ – ›Halt‹, unterbrach ich sie; ›Sie lästern Gott und werden dafür bestraft werden! Eines Tages werden Sie auf dem Diwan liegen, kein Geräusch und kein Licht vertragen, werden verdammt sein, in einer Art Grab zu leben und unerhörte Schmerzen zu erdulden. Wenn Sie dann nach der Ursache dieser langsamen rächenden Schmerzen suchen, gedenken Sie des Unglücks, das Sie so verschwenderisch auf Ihren Weg gestreut haben. Sie haben überall Flüche gesät und werden Haß ernten. Wir sind unsere eigenen Richter, die Henker eines Gerichtes, das hienieden sein Urteil spricht und das über dem Gericht der Menschen und unter dem Gottes waltet.‹ – ›Ach‹, erwiderte sie lachend, ›ich bin natürlich eine große Verbrecherin, daß ich Sie nicht liebe! Ist das meine Schuld? Nein, ich liebe Sie nicht; Sie sind ein Mann, das ist Grund genug. Ich bin glücklich, daß ich allein bin; warum sollte ich mein Leben, mein egoistisches Leben, wenn Sie es so nennen wollen, gegen die Launen eines Herrn vertauschen? Die Ehe ist ein Sakrament, das nichts als Kummer bringt. Und überdies, Kinder sind mir lästig. Habe ich Ihnen nicht freimütig meinen Charakter im voraus geschildert? Warum haben Sie sich nicht mit meiner Freundschaft begnügt? Ich möchte Sie gerne für die Qualen, an denen ich schuld bin, weil ich nichts von Ihren Geldkalamitäten wußte, entschädigen; ich sehe wohl, was Sie für Opfer gebracht haben; aber Liebe allein kann Ihre Hingabe und Ihr Zartgefühl lohnen; ich aber liebe Sie so wenig, daß dieser Auftritt mir peinlich ist.‹ – ›Ich weiß‹, antwortete ich sanft und konnte dabei die Tränen nicht zurückhalten, ›wie lächerlich ich mich mache; verzeihen Sie mir! Ich liebe Sie so sehr, daß ich sogar die grausamen Worte, die Sie sprechen, mit Entzücken höre. Oh, ich wollte, ich könnte meine Liebe mit meinem Blut besiegeln!‹ – ›Alle Männer sagen uns in mehr oder weniger schönen Worten diese klassischen Redensarten‹, versetzte sie lachend, ›aber es scheint wirklich schwer zu sein, zu unseren Füßen zu sterben; denn ich begegne derlei Toten überall. Es ist Mitternacht, erlauben Sie, daß ich schlafen gehe.‹
›Und in zwei Stunden schreien Sie wieder auf: Mein Gott!‹ sagte ich. – ›Vorgestern! ja‹, versetzte sie lachend, ›ich dachte an meinen Bankier; ich hatte vergessen, ihm aufzutragen, meine fünfprozentigen Renten gegen dreiprozentige zu tauschen, und an dem Tag waren die dreiprozentigen gesunken.‹ Ich sah sie mit wutfunkelnden Augen an. Oh! manchmal muß ein Verbrechen ein ganzes Poem sein, das begriff ich. Sie war offenbar an die leidenschaftlichen Ausbrüche gewöhnt und hatte meine Tränen und meine Worte schon vergessen. – ›Würden Sie einen Pair von Frankreich heiraten?‹ fragte ich sie kalt. – ›Vielleicht, wenn er Herzog wäre.‹ Ich nahm meinen Hut und verbeugte mich. ›Gestatten Sie, daß ich Sie bis an die Tür meines Zimmers begleite‹, sagte sie mit einer beißenden Ironie in ihrer Geste, der Haltung ihres Kopfes und ihrem Ton. – ›Madame.‹ – ›Monsieur?‹ – ›Ich werde Sie nicht wiedersehen.‹ – ›Ich hoffe es!‹ erwiderte sie und neigte ihren Kopf mit einer impertinenten Miene. – ›Sie wollen Herzogin werden?‹ begann ich erneut, durch ihre Haltung geradezu in Raserei versetzt. ›Sie dürsten nach Titeln und Ehren? Nun, dann lassen Sie sich nur von mir lieben, befehlen Sie meiner Feder, nur für Sie zu schreiben, meiner Stimme, nur für Sie zu ertönen, seien Sie das geheime Prinzip meines Lebens, seien Sie mein Stern! Nehmen Sie mich erst zum Gemahl, wenn ich Minister, Pair von Frankreich, Herzog bin … Ich werde alles werden, was Sie wollen!‹ ›Sie haben‹, erwiderte sie lächelnd, ›Ihre Zeit beim Anwalt gut verwendet: Sie plädieren sehr warmherzig.‹ – ›Du hast die Gegenwart‹, rief ich, ›und ich die Zukunft! Ich verliere nur eine Frau, du aber verlierst einen Namen, eine Familie. Die Zeit trägt meine Rache im Schoß: dir bringt sie Häßlichkeit und Tod in der Einsamkeit; mir den Ruhm!‹ – ›Vielen Dank für das Finale!‹ erwiderte sie, unterdrückte ein Gähnen und bekundete durch ihre Haltung, daß sie mich nicht länger sehen wollte. Nun schwieg ich, schleuderte ihr meinen Haß in einem einzigen Blick zu und enteilte. Es galt, Fœdora zu vergessen, mich von diesem Wahnsinn zu heilen, meine einsamen Studien wiederaufzunehmen oder zu sterben. Ich erlegte mir also ein gewaltiges Arbeitspensum auf, ich wollte meine Werke vollenden. Vierzehn Tage lang verließ ich meine Mansarde nicht und saß des Nachts über meinen anstrengenden Studien. Trotz meines Mutes und der Kraft der Verzweiflung arbeitete ich schwer und nur sporadisch. Die Muse hatte mich verlassen. Ich konnte das strahlende, spöttische Bild Fœdoras nicht bannen. Jeder Gedanke brütete einen anderen krankhaften Gedanken aus, ein Begehren, so schrecklich quälend wie das Gewissen. Ich folgte dem Beispiel der Einsiedler aus der Thebais. Zwar betete ich nicht wie sie, aber wie sie lebte ich in einer Einöde und höhlte mein Herz aus, wie sie die Felsen höhlten. Ich hätte mir notfalls sogar einen Stachelgürtel angelegt, um den Schmerz der Liebe durch den körperlichen Schmerz zu bändigen. Eines Abends drang Pauline in mein Zimmer ein. – ›Sie richten sich zugrunde‹, sagte sie mit flehender Stimme zu mir, ›Sie sollten ausgehen, Ihre Freunde aufsuchen.‹ – ›Ach, Pauline! Ihre Prophezeiung ist eingetroffen. Fœdora tötet mich, ich will sterben. Das Leben ist mir unerträglich.‹ – ›Gibt es denn nur eine Frau in der Welt?‹ fragte sie lächelnd. ›Warum machen Sie sich dieses kurze Leben zu so maßloser Qual?‹ Ich blickte Pauline wie erstarrt an. Sie ließ mich allein. Ich hatte gar nicht bemerkt, daß sie gegangen war; ich hatte ihre Stimme gehört, ohne den Sinn ihrer Worte zu verstehen. Bald darauf mußte ich das Manuskript der Memoiren zu meinem literarischen Unternehmer bringen. Ich war so von meiner Leidenschaft besessen, daß ich nicht wußte, wie ich ohne Geld hatte leben können; ich wußte bloß, daß ich die 450 Francs, die mir zustanden, ausreichten, meine Schulden zu bezahlen; ich wollte also mein Honorar holen und traf Rastignac. Er fand mich verändert und abgemagert. – ›Aus welchem Hospital kommst du denn?‹ fragte er mich. – ›Diese Frau tötet mich‹, erwiderte ich; ›ich kann sie nicht verachten und nicht vergessen.‹ – ›Da ist es besser, sie zu töten‹, versetzte er lachend; ›vielleicht denkst du dann nicht mehr an sie.‹ – ›Daran habe ich auch gedacht‹, war meine Antwort; ›manchmal erquickte ich meine Seele mit dem Gedanken an ein Verbrechen, Notzucht oder Mord oder beides zusammen; aber ich bin nicht imstande, es wirklich zu begehen. Die Comtesse ist ein entzückendes Ungeheuer, das um Gnade bitten würde, und ich bin kein Othello!‹ – ›Sie ist wie alle Weiber, die wir nicht haben können‹, unterbrach mich Rastignac. – ›Ich bin toll!‹ rief ich; ›ich spüre, wie der Wahnsinn zuzeiten in meinem Hirn rast. Meine Gedanken sind wie geisterhafte Gestalten, sie umgaukeln mich, und ich kann sie nicht fassen. Lieber will ich tot sein, als so weiterleben. Und so suche ich nur nach dem besten Mittel, diesem Kampf ein Ende zu machen. Es handelt