Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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mit Rea­gen­zi­en be­han­deln. Wir wol­len Ja­phet auf­su­chen, viel­leicht hat die Che­mie mehr Glück als die Mecha­nik.«

      Va­len­tin trieb sein Pferd schnell an, da­mit sie den be­rühm­ten Che­mi­ker Ja­phet noch in sei­nem La­bo­ra­to­ri­um an­trä­fen.

      »Nun, al­ter Freund«, sag­te Plan­chet­te, als er Ja­phet be­grüß­te, der in ei­nem Lehn­stuhl saß und einen Nie­der­schlag be­trach­te­te, »wie geht’s der Che­mie?«

      »Sie schläft ein; nichts Neu­es. Die Aka­de­mie hat al­ler­dings die Exis­tenz des Sa­li­zin an­er­kannt, aber Sa­li­zin, Aspa­ra­gin, Vau­que­lin, Di­gi­ta­lin, das sind al­les kei­ne Ent­de­ckun­gen.«

      »Es scheint«, sag­te Ra­pha­el, »daß Sie, da sich Sub­stan­zen nicht er­fin­den las­sen, dar­auf an­ge­wie­sen sind, Na­men zu er­fin­den.«

      »Das ist bei Gott wahr, jun­ger Mann!«

      »Hier«, sag­te Pro­fes­sor Plan­chet­te zu dem Che­mi­ker, »ver­su­che doch mal, die­se Sub­stanz zu zer­le­gen; wenn du ir­gend­ein neu­es Ele­ment dar­aus ge­winnst, nen­ne ich es von vorn­her­ein Dia­bo­lin, denn als wir sie eben kom­pri­mie­ren woll­ten, ha­ben wir eine hy­drau­li­sche Pres­se zu­schan­den ge­macht.«

      »Schau, schau!« rief der Che­mi­ker ver­gnügt, »das gibt viel­leicht ein neu­es Ele­ment.«

      »Mon­sieur«, sag­te Ra­pha­el, »es ist wei­ter nichts als ein Stück Esels­haut.«

      »Mon­sieur«, woll­te der Che­mi­ker ernst er­wi­dern, aber der Mar­quis gab ihm das Cha­grin­le­der mit der Be­mer­kung: »Ich ma­che kei­nen Spaß.«

      Baron Ja­phet prüf­te das Le­der zu­nächst mit den Pa­pil­len sei­ner Zun­ge, die dar­in ge­übt war, Sal­ze, Säu­ren, Al­ka­li­en und Gase her­aus­zu­schme­cken, und mein­te nach ei­ni­gen Ver­su­chen: »Ge­schmack hat es kei­nen. Nun wol­len wir ihm ein­mal ein biß­chen Fluß­säu­re zu trin­ken ge­ben.«

      Das Le­der wur­de mit die­sem Stoff be­han­delt, das tie­ri­sche Ge­we­be so­fort zer­setzt, wies aber kei­ner­lei Ver­än­de­run­gen auf.

      »Das ist kein Cha­grin!« rief der Che­mi­ker. »Nun wol­len wir die­ses ge­heim­nis­vol­le Un­be­kann­te wie ein Mi­ne­ral be­han­deln und ihm or­dent­lich ein­hei­zen. Tun wir es also in einen Schmelz­tie­gel, in dem ich ge­ra­de rote Pot­ta­sche habe.«

      Ja­phet ging hin­aus und kam bald zu­rück.

      »Bit­te Mon­sieur«, sag­te er zu Ra­pha­el, »las­sen Sie mich ein Stück­chen von die­ser ku­rio­sen Sub­stanz ab­neh­men, sie ist so selt­sam, daß …«

      »Ein Stück­chen?« rief Ra­pha­el; »nicht ein Haar­breit geht da­von ab. Üb­ri­gens«, füg­te er dann mit ei­nem Aus­druck hin­zu, der zu­gleich düs­ter und spöt­tisch war, »ver­su­chen Sie es!«

      Der Ge­lehr­te zer­brach bei dem Ver­such, et­was von dem Le­der ab­zu­schnei­den, ein Ra­sier­mes­ser; er ver­such­te es mit Hil­fe ei­ner star­ken elek­tri­schen La­dung zu zer­tei­len; dann un­ter­warf er es der Wir­kung der Vol­tai­schen Säu­le; kurz, alle Blit­ze sei­ner Wis­sen­schaft wur­den an dem schreck­li­chen Ta­lis­man zu­nich­te. Es war sie­ben Uhr abends. Plan­chet­te, Ja­phet und Ra­pha­el merk­ten nicht, wie die Zeit ent­schwand; sie war­te­ten auf das Er­geb­nis ei­nes letz­ten Ver­su­ches. Je­doch das Cha­grin­le­der ging aus ei­nem furcht­ba­ren An­griff mit ei­ner ge­hö­ri­gen Do­sis Chlor­stick­stoff sieg­reich her­vor.

      »Ich bin ver­lo­ren!« rief Ra­pha­el. »Gott will es. Ich muß ster­ben.« Er ließ die bei­den Ge­lehr­ten be­stürzt zu­rück.

      »Wir wol­len uns hü­ten, die­ses Aben­teu­er der Aka­de­mie zu er­zäh­len, un­se­re Kol­le­gen wür­den sich über uns lus­tig ma­chen«, sag­te Plan­chet­te zu dem Che­mi­ker nach ei­ner lan­gen Pau­se, in der sie ein­an­der an­ge­se­hen hat­ten, ohne daß sie aus­zu­spre­chen wag­ten, was sie dach­ten.

      Die bei­den Ge­lehr­ten ka­men sich wie Chris­ten vor, die aus ih­ren Grä­bern auf­er­stan­den sind und kei­nen Gott im Him­mel ge­fun­den ha­ben. Die Wis­sen­schaft? Ohn­mäch­tig! Die Säu­ren? Kla­res Was­ser! Die rote Pot­ta­sche? Bla­miert! Die Vol­tai­sche Säu­le und der elek­tri­sche Fun­ke? Zwei Gau­kel­männ­chen!

      »Eine hy­drau­li­sche Pres­se zer­bro­chen wie ein Stück Brot!« rief Plan­chet­te.

      Es trat wie­der Schwei­gen ein, dann mur­mel­te der Baron Ja­phet: »Ich glau­be an den Teu­fel!«

      »Und ich an Gott!« ant­wor­te­te Plan­chet­te.

      Sie blie­ben bei­de ih­rer Rol­le treu. Für einen Mecha­ni­ker ist das Uni­ver­sum eine Ma­schi­ne, die einen Ar­bei­ter ver­langt; für die Che­mie, die­ses Werk ei­nes Dä­mons, der al­les zer­setzt, ist die Welt ein Gas, das sich ver­än­dern kann.

      »Wir kön­nen die Tat­sa­che nicht leug­nen«, ver­setz­te der Che­mi­ker.

      »Bah! trös­ten wir uns mit dem ver­schwom­me­nen Grund­satz, den die Dok­tri­näre in die Welt ge­setzt ha­ben: Dumm wie eine Tat­sa­che.«

      »Dein Grund­satz«, ver­setz­te der Che­mi­ker, »scheint mir aber erst recht dumm zu sein.«

      Sie bra­chen in La­chen aus und speis­ten zu Abend wie Män­ner, die in ei­nem Wun­der nur noch ein Phä­no­men der Wis­sen­schaft er­blick­ten.

      *

      Va­len­tin war zu Hau­se an­ge­langt. Eine kal­te Wut hat­te ihn be­fal­len; er glaub­te an nichts mehr; sei­ne Ge­dan­ken strit­ten in sei­nem Hirn, dreh­ten sich und schwank­ten, wie es ei­nem Men­schen geht, der ei­ner un­mög­li­chen Tat­sa­che ins Auge sieht. Er hät­te gern an einen ver­bor­ge­nen Feh­ler in der Ma­schi­ne Spieg­hal­ters ge­glaubt; auch die Ohn­macht der Wis­sen­schaft und des Feu­ers hat­te ihn nicht ge­wun­dert; aber die Ge­schmei­dig­keit des Le­ders, als er es in die Hand nahm, und sei­ne Wi­der­stands­fä­hig­keit, als alle dem Men­schen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zer­stö­rungs­mit­tel ge­gen es ge­rich­tet wur­den, flö­ßten ihm Grau­en ein. Die­se un­be­streit­ba­re Tat­sa­che er­reg­te ihm Schwin­del.

      »Ich bin wahn­sin­nig«, sag­te er sich. »Ich habe seit heu­te mor­gen nichts ge­ges­sen und ver­spü­re trotz­dem we­der Hun­ger noch Durst, und da­bei füh­le ich in der Brust eine bren­nen­de Glut.«

      Er schob das Cha­grin­le­der wie­der in den Rah­men, in dem es bis vor kur­z­em ge­we­sen war, und nach­dem er mit ro­ter Tin­te die au­gen­blick­li­chen Kon­tu­ren des Ta­lis­mans nach­ge­zo­gen hat­te, setz­te er sich in sei­nen Lehn­stuhl.

      »Schon acht Uhr!« rief er. »Die­ser Tag ist wie ein Traum ver­gan­gen.«

      Er leg­te die Arme auf die Ses­sel­leh­ne, stütz­te den Kopf auf die lin­ke Hand und blieb in düs­te­re Be­trach­tun­gen, in jene ver­zeh­ren­den Ge­dan­ken ver­sun­ken, de­ren Ge­heim­nis die zum Tode Ver­ur­teil­ten mit sich neh­men.

      »Ach, Pau­li­ne!« rief er. »Ar­mes Kind! Es gibt Ab­grün­de, die selbst die Lie­be nicht zu über­win­den ver­mag, trotz der Kraft ih­rer Flü­gel.« In die­sem Au­gen­blick hör­te er ganz deut­lich einen un­ter­drück­ten Seuf­zer. Er horch­te auf, und in­fol­ge ei­ner der rüh­rends­ten Vor­zü­ge der Lie­be er­kann­te er den Atem sei­ner Pau­li­ne.


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