Zeit für Märchen. Hansi Hinterseer

Zeit für Märchen - Hansi Hinterseer


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von Bergen, Wäldern und aller Natur bewusst waren.

      So blieb die geplante Traumhochzeit des Elfenkönigs und des Trollherzogs ein Traum – die magischen Nachkommen dieser Märchenwesen erfüllten jedoch ihre Ahnen durch ihre Taten für viele Jahrhunderte mit großem Stolz.

       Eva Mang für Hansi Hinterseer

       Die Frau Hitt

      Vor langer Zeit, als im Tal rund um die Tiroler Hauptstadt Innsbruck noch die Riesen wohnten, lebte ganz hoch droben im Gebirge in ihrem prächtigen Schloss die Riesenkönigin Frau Hitt. Man erzählte sich, die Wände ihres Palastes seien aus reinem Gold, die Fenster aus feinst geschliffenem Bergkristall und an allen Türen wären funkelnde Edelsteine angebracht. Ihren Wohlstand bekam die Frau Hitt aus ihrem blühenden Reich, von dessen Feldern, Wäldern, Höfen und dem Fleiß ihres Volkes.

      Aber die Riesenkönigin war gleichermaßen hochmütig wie hartherzig und wurde von ihren Untertanen wegen ihrer Launen und Eskapaden sehr gefürchtet. Besonders das Personal im Palast litt unter ihrer Bosheit. Ihr müsst wissen, die Frau Hitt badete einmal in der Woche in lauwarmer Ziegenmilch, und das in einer Zeit, wo viele Kinder in ihrem Reich nicht einmal genug zu essen bekamen, weil ihre Familien so arm waren. Wehe der armen Magd, wenn die Temperatur des Milchbades für die Riesenkönigin nicht passte. Schimpfe und Schläge hatte die bösartige Frau jederzeit bereit.

      Eines Tages ritt die Frau Hitt, gehüllt in Samt und Seide, geschmückt mit Gold und Rubinen, auf ihrem prächtigen Pferd einen steilen Bergpfad hoch. Da trat eine arme Bettlerin mit ihrem hungernden Kind an den Wegrand. Die verzweifelte Frau streckte der Königin bittend die Hand entgegen und flehte: »Herrin, habt Erbarmen, schenkt mir bitte ein Stück Brot für mein Kind. Wir haben seit drei Tagen nichts gegessen.«

      Da brach Frau Hitt ein Stück Stein aus dem Fels, gerade so groß wie ein Laib Brot, reichte ihn der Bettlerin und sprach höhnisch: »Da habt Ihr Euer Brot! Lasst es Euch schmecken!«

      Die Bettlerin ließ den Steinbrocken zu Boden fallen und rief verzweifelt, aber auch voller Zorn: »Hart wie Stein ist Euer Herz, Frau Hitt, und zu Stein sollt Ihr werden!«

      Die größenwahnsinnige Riesenkönigin lachte nur über den Fluch, stieß die Bettlerin samt dem kleinen Kind grob zu Boden und ritt unbeeindruckt weiter hinauf zu ihrem Schloss.

      Liebe, Mitgefühl und Zärtlichkeit kannte die grausame Frau nur für ihren Sohn. Er wurde verwöhnt, verhätschelt und durfte den ganzen Tag tun, was er wollte. Eines Tages spielte der Junge nun in Begleitung eines Försters im nahen Bannwald – ihr müsst wissen, ein Bannwald, das ist ein Wald, der in Bergen angepflanzt wird, um die Häuser und Höfe vor Lawinen oder Muren zu schützen –, da entdeckte der Riesenprinz ein besonders schönes, gerade gewachsenes Tannenbäumchen und rief: »Das will ich haben! Daraus machen wir ein Steckenpferd für mich.« Der Förster entgegnete vorsichtig: »Junger Herr, lasst diesen Baum bitte stehen. Dieser Bannwald ist den Bauern heilig. Er schützt ihre Familien und deren bescheidenes Hab und Gut.«

      Das Riesenkind aber schrie seinen Begleiter an: »Halt deinen Mund! Ich bin der Sohn der Königin, und ich tue, was mir gefällt!« Wütend lief der Junge selbst zu dem Bäumchen hin und wollte es mit Gewalt knicken. Doch das biegsame Tannenholz schlüpfte ihm durch die Hände, der Stamm schnellte zurück und schleuderte das ungezogene Riesenkind ins Moor. Klatschnass und über und über von schwarzem, stinkendem Schlamm bedeckt, kroch der böse Königssohn aus dem Sumpfloch und lief jämmerlich heulend und klagend heim zu seiner Mutter. Frau Hitt tröstete das schluchzende Kind und befahl ihren Dienern: »Zieht dem Jungen die schmutzigen Kleider aus und säubert ihn mit weichen Brotkrumen, damit seine zarte Haut nicht wund wird.« Als die Dienstboten erschrocken die Augen aufrissen und ihren Ohren nicht trauen wollten, schrie Frau Hitt wie von Sinnen: »Habt ihr mich nicht verstanden! Holt sofort das Brot, löst aber ja die Rinde ab.« Kaum begannen die Mägde mit der gotteslästerlichen Reinigung des Königssohnes, da erschütterte ein unerhörter Donnerschlag das Riesenschloss. Grelle Blitze durchschlugen die Luft und die Sonne verfinsterte sich. Eine gewaltige Stein- und Schlammlawine ergoss sich von den Bergen herab und begrub das Land. Als der Himmel wieder aufklarte, war aus dem blühenden Reich der Riesenkönigin eine öde, vertrocknete, leere Wildnis geworden.

      Der Fluch der Bettlerin hatte sich grausam erfüllt. Die herzlose Frau Hitt und ihr verzogener Riesensohn waren zu leblosen, grauen Felsfiguren geworden, die für alle Zeiten als steinernes Mahnmal gegen Geiz und Hartherzigkeit an der Nordkette über Innsbruck thronen. Dieser Berggipfel, der einer Frau auf einem Pferd ähnelt, trägt seit damals den Namen von Frau Hitt.

       Alte Volkssage, mündlich überliefert

       Die Schiederlahn

      Vor mehreren Jahrhunderten stand im Felbertal in Mittersill ein schöner, gut bewirtschafteter Bauernhof, der Schiederhof oder Schied, wie er im Volksmund heute noch heißt. Der Name dürfte wohl in der Abge-schied-enheit des Hofes seinen Ursprung haben. Die Bauersleute gingen jeden Sonn- und Feiertag nach Mittersill hinaus zur Kirche, und es wurde Wert darauf gelegt, dass auch die Dienstboten dem Sonntagsgebot Folge leisteten. Einige der jungen Knechte und Mägde hielten nicht viel von dieser, wie sie sagten, übertriebenen Frömmigkeit und hatten nur verhaltenen Spott für den Glauben anderer Leute übrig.

      So begab es sich einmal am Heiligen Abend, dass die Bauersleute mit ihren Kindern zur Christmette nach Mittersill aufbrachen. Einige der Mägde und Knechte hatten wohl etwas zu viel getrunken und gefeiert und wollten nicht zur Mette gehen. An ihrer statt, sagten sie, solle der Hofhund in die Kirche gehen. Sie selbst feierten unbekümmert weiter. Später begannen sie auch noch damit, um hohe Einsätze Karten zu spielen. Als es um einen ganz besonders hohen Geldbetrag ging und man in der Spannung des Spiels eine Stecknadel hätte fallen hören können, bellte plötzlich der Hund. Kurz darauf war eine ächzende Stimme zu hören: »Schiab å, schiab å, da Hund is von da Mettn då!« Plötzlich hörte man ein Rauschen, das sich zu einem unheimlichen Brausen und Donnern steigerte. Einer der Knechte sprang auf und schrie: »Passt’s auf, des is a Lahn!« Im nächsten Augenblick krachten die Balken und Wände des wohlgezimmerten Hauses, und das ganze Gehöft mit den Leuten, dem Stall und allem Vieh wurde von einer riesigen Lawine weggefegt.

      Eisige Stille legte sich nach kurzer Zeit über die Unglücksstelle in jener Heiligen Nacht, wo unter den festgepressten Schneemassen sich das Leben noch einmal vergeblich aufzubäumen versuchte.

      Nur der Hund schnüffelte winselnd über dem Schnee und bellte laut, als er die Glocken des Pferdeschlittens hörte, mit dem die Bauersleute vom Kirchgang zurückkehrten. Trotz des Unglücks dankten sie Gott, der sie vor dem »weißen Tod« bewahrt hatte.

      Heute steht der Schiederhof an einer sicheren Stelle im Felbertal. Die nicht weit vom Hof entfernte Lawinengalerie über der Felbertauernstraße erinnert jedoch an die Gefährlichkeit der Schiederlahn, die von Zeit zu Zeit immer wieder vom Schiederhörndl ins Tal niedergeht.

       Aus dem Volksmund, Elisabeth Lobenwein nach mündlicher Überlieferung von Arthur Ensmann

       Simeliberg

      Es waren zwei Brüder, einer war reich, der andere arm. Der Reiche aber gab dem Armen nichts, und er musste sich vom Kornhandel kümmerlich ernähren, dabei ging es ihm oft so schlecht, dass er für Frau und Kinder nicht einmal genug Brot hatte. Einmal fuhr er mit seinem alten Karren durch den Wald, da erblickte er an der Seite einen großen, kahlen Berg, und weil er den noch nie gesehen hatte, hielt er still und betrachtete ihn mit Verwunderung. Wie er so dastand, sah er zwölf wilde große Männer daherkommen. Weil er nun dachte, das wären wilde Räuber, schob er seinen Karren ins Gebüsch, stieg auf einen Baum und wartete, was geschehen würde. Die zwölf Männer gingen vor den Berg und riefen: »Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf.« Alsbald teilte sich der kahle Berg in der Mitte und die Zwölfe gingen hinein. Als sie drin waren,


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