Der gute Deutsche. Christian Bommarius
sich 1870 und 1882 Teile Eritreas ein. Mit den »Schutzverträgen« in Lüderitzland, dem späteren Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun tritt Deutschland also mit Verspätung in den Kreis der Kolonialmächte ein. Jahrhundertelang hatte sich der Handel Europas mit den Küsten Afrikas auf Sklaven, Gewürze, Tropenholz oder Elfenbein beschränkt. Aber mit der Industrialisierung ist nicht nur das Interesse an neuen Absatzmärkten gestiegen, zugenommen hat auch die Nachfrage nach Rohstoffen: Palmöl wird zur Herstellung von Kerzen und Schmiermitteln benötigt, Palmkerne für die Fabrikation von Seife und Margarine, und dann natürlich der »Baum, der weint«: Kautschuk. Im Jahr 1839 hatte der Amerikaner Charles Goodyear Schwefelsäure unter Kautschuk gemischt und ihn erhitzt. Dieses Verfahren – die Vulkanisation – veränderte die Konsistenz des Rohkautschuks. Er wurde zu elastischem Material, abriebfest, unempfindlich gegen Kälte und Wärme. Der Kautschuk hatte sich in Gummi verwandelt. Drei Jahre nach der Berliner Konferenz wird der Gummi die ganze Welt verwandeln und sie schlagartig beschleunigen. Denn 1888 kommt der schottische Tierarzt John Boyd Dunlop auf die Idee, Gummireifen mit Luft zu füllen, lässt sie noch im selben Jahr patentieren und gründet wenig später das erste Reifenwerk. »Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.« Nicht jeder versteht die Zeichen der Zeit so schlecht zu lesen wie der deutsche Kaiser Wilhelm II.; der König von Belgien, Leopold II., hat das richtige Gespür. Ihm gelingt es auf der Berliner Konferenz, den anderen Kolonialmächten die Anerkennung des »Unabhängigen Kongostaates« als sein Privateigentum abzuhandeln, was ihm in den nächsten Jahrzehnten ein sagenhaftes Vermögen und zehn Millionen Kongolesen den Tod bringen wird. Keine Kolonialgeschichte wird mit so viel Blut und Tränen geschrieben wie jene Belgiens.
Für Deutschland bedeutet die Konferenz die Anerkennung als Kolonialmacht. Und immerhin bekommt es doch noch einige schöne Flecken Afrikas. Dass auch Togo und Kamerun dazu gehören, ist vor allem das Verdienst des Hamburger Reeders und Übersee-Kaufmanns Adolph Woermann, der seit Jahren an der westafrikanischen Küste in seinen Faktoreien minderwertigen Branntwein, Waffen und Pulver gegen Palmöl und Kautschuk tauscht. Allerdings blickt er mit Unbehagen auf die englische Konkurrenz und das Zwischenhandelsmonopol der Duala. Schon 1883 hat er in einer Denkschrift den Schutz des hanseatischen Handels durch das Deutsche Reich und ein Ende des Zwischenhandels gefordert, zudem die »Erwerbung eines Küstenstriches in West-Afrika zur Gründung einer Handelskolonie Biafra Bai«, die dann Kamerun heißt. Das Schreiben ihres Mitglieds war von der Hamburger Handelskammer angenommen und an die Reichsregierung weitergeleitet worden. Wider Erwarten hat Woermann Erfolg. Obwohl Reichskanzler Bismarck nichts von deutschen Kolonien hält, sie gar für »Schwindel« erklärt, gibt er Woermanns Drängen schließlich nach. Weshalb? Eine Rolle spielt die Überlegung, dass das Deutsche Reich nicht hinter anderen europäischen Großmächten zurückstehen sollte. Zudem ist die Kolonialpolitik hervorragend geeignet, von den wachsenden sozialen Spannungen in der Gesellschaft des Kaiserreichs abzulenken. Und nicht zuletzt macht sich hier der Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen bemerkbar, die insistieren, dass Deutschland eine sichere Rohstoffversorgung benötige und neue Absatzmärkte für die rasant wachsende Industrieproduktion. Der rührigste und gewandteste Lobbyist ist Adolph Woermann selbst, der Bismarck – einen alten Bekannten – in zahlreichen Gesprächen beeindruckt. Dabei will der Reichskanzler nicht von Kolonien sprechen, weshalb er den Begriff »Schutzgebiete« erfindet, und er verlangt, allerdings vergebens, dass die Handelshäuser die Verwaltung vor Ort und auch die Kosten übernehmen. Als im Sommer 1884 die Möwe mit Nachtigal und Buchner an Bord vor der Küste Kameruns aufkreuzt, hat Woermann sein erstes Ziel erreicht: Die englische Konkurrenz ist abgehängt. Wenige Tage nach der Vertragsunterzeichnung zwischen den Deutschen und den Duala geht der britische Konsul Hewett an der Wuri-Mündung vor Anker, um den Duala nun doch noch das englische Protektorat anzubieten, doch da gibt es für ihn nichts mehr zu gewinnen außer dem spöttischen Titel The too late consul.
An der Berliner Kongokonferenz, die am 15. November 1884 beginnt, nimmt Adolph Woermann nicht nur als Kaufmann teil, sondern auch als frisch in den Reichstag gewählter Abgeordneter von der Nationalliberalen Partei, die eisern zu Bismarck hält und den Imperialismus als Kulturtat betrachtet. Und so erlebt er unmittelbar, wie die Kontinentalmächte die Beute unter sich aufteilen, wobei die jeweilige Gebietsgröße sich nach den Grenzen bestimmt, die auf der Karte Afrikas am Konferenztisch vorläufig markiert werden. Als die Konferenz am 26. Februar 1885 zu Ende geht, umfasst das deutsche Schutz- und Woermanns Handelsgebiet Kamerun 495000 Quadratkilometer. Es ist nur 45858 Quadratkilometer kleiner als das Kaiserreich. Adolph Woermann ist der Aufstieg zum größten deutschen Westafrikakaufmann und mit seiner Woermann-Linie zum größten Privatreeder der Welt nicht mehr zu nehmen.
Die Engländer nennen Westafrika white man’s grave, Buchner nennt es einen der »giftigsten Fieberorte unserer schönen Erde«. Als er im Mai 1885 Duala nach zehn Monaten verlässt, glaubt er sich dem Tod näher als dem Leben, wobei er das Leben in dieser Zeit durchaus als Hölle empfand. Am 17. Mai ankert die Ella Woermann vor Duala. Buchner wird auf einer Bahre an Deck gebracht, schweigend nimmt er Abschied von Natur und Mensch (»Lebt wohl, ihr Ölpalmen und du schnödes Unkrautgesindel«), zurück bleibt sein Hass auf die Duala, »dieses elende Menschenpack«, und eine schöne Erinnerung, ausgerechnet an King Bell und dessen Familie. Von Anfang an hatten King Bells »stattliche Gestalt, seine angenehmen Züge, die fast europäisch waren, würdig, ernst und ruhig«, Buchner beeindruckt, auch sein Benehmen und sein Takt »ließen nichts zu wünschen übrig«. Dass der Deutsche King Bell allerdings für den »besten Negerhäuptling [hielt], mit dem ich je zu tun gehabt habe«, lag vor allem daran, dass King Bell, sehr zum Verdruss vieler Duala, das Wort, das er den Deutschen vertraglich gegeben hatte, gehalten und seine Unterwerfung nie in Frage gestellt hat. Das machte Buchner auch King Bells ältesten Sohn, August Manga Ndumbe Bell, sympathisch, »ein merkwürdig schöner Neger«, der in Bristol erzogen worden war und in »fast vollendetem Englisch« mit Buchner sprach, wenn der von Fieberanfällen ans Bett gefesselt war. Mit Sicherheit hat Buchner auch den ältesten Enkel King Bells, Rudolf Duala Manga Bell, kennengelernt. Er war elf Jahre alt, als Lock Priso mit seinen Leuten Bell-Town, den Wohnsitz von Großvater, Sohn und Enkel Bell, in Schutt und Asche legten. Im Mai 1885 verlässt Max Buchner Kamerun – von chronischem Fieber zermürbt, abgemagert von 140 auf 90 Pfund, aber im Besitz von Lock Prisos Kanuschmuck – an Bord der Ella Woermann.
II.
KAMERUN IST EINE KOKOSNUSS. Wer die Frucht genießen will, muss die Schale sprengen. Und das geht nun einmal nur mit Gewalt. Zumal die Duala kein Entgegenkommen zeigen und ihr Handelsmonopol hartnäckig verteidigen. Sie kaufen europäische Produkte in den Faktoreien von Woermann, Jantzen & Thormählen oder der englischen Händler auf Kredit und bezahlen mit Kautschuk, Palmöl oder Elfenbein, das sie von anderen Stämmen im Landesinnern beziehen, die häufig ihrerseits nur Zwischenhändler sind, ebenfalls für ihr Gebiet auf ihrem Monopol bestehen und den Durchzug von Handelskarawanen mit allen Mitteln verhindern. Weil die ins Inland führenden Flüsse für größere Schiffe unpassierbar sind und der Urwald, der gleich hinter dem Küstenstreifen beginnt, für Karawanen ohne kundige Führung undurchdringlich ist, haben die Agenten von Woermann und Jantzen & Thormählen ein Problem. Aber schon bald haben sie auch eine Idee. Sie erhöhen die Preise für die europäischen Waren und setzen die der Landesprodukte herab. Um das durchzusetzen, verabreden sie mit den englischen Händlern eine gemeinsame Handelssperre. Die Duala antworten mit einer Gegensperre und stellen den Verkauf von Lebensmitteln, Trinkwasser und Feuerholz ein. Eine Pattsituation, die zum Vorteil der Deutschen aufzulösen Julius von Soden, dem ersten deutschen Gouverneur in Kamerun, trickreich gelingt. Soden, von Kaiser Wilhelm I. persönlich im März 1885 zum Gouverneur ernannt, ist Jurist und ein erfahrener Diplomat, zuletzt war er in Sankt Petersburg im Einsatz. Sein Plan benachteiligt zwar die Duala, aber weil die deutschen Agenten – wie vom Gouverneur gewünscht – lauthals zum Schein protestieren, wähnen die Duala sich als Gewinner. Soden meldet nach Berlin: »Ohne diese Komödie wäre es mir nicht gelungen, die Eingeborenen zur Nachgiebigkeit zu bewegen.«
Die Duala versuchen, die niedrigen Preise an ihre Handelspartner im Landesinnern weiterzugeben, stoßen jedoch auf Widerstand. Als Häuptling Money in Bimbia den Deutschen zudem die Gefolgschaft verweigert, schickt der Gouverneur das Kanonenboot Cyclop. Bimbia wird niedergebrannt, Money abgesetzt und ein neuer Oberhäuptling ernannt, der den gouverneurtreuen King Bell als Oberherrn anerkennt. Den Abo und