Der gute Deutsche. Christian Bommarius

Der gute Deutsche - Christian Bommarius


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Banambasi eine Stunde lang, bevor es vom Landungskorps »in Brand gesteckt und vernichtet« wird; einen Tag später wird ein zweites Dorf niedergemacht. Das sind nicht nur erste Erfolge der deutschen Kolonialverwaltung und der deutsch-kamerunischen Handelsbeziehungen. Auch der deutsche Wortschatz profitiert. Der Euphemismus »Strafexpedition« – zutreffend wäre Feldzug oder Überfall – wird zu einem der bedeutsamsten Substantive der deutschen Kolonialpolitik.

      Der Zwischenhandel aber ist damit noch nicht ausgeschaltet, noch reicht die Macht des Gouverneurs nicht weiter als ein Geschützrohr des Kanonenboots. Und nicht nur die deutschen Händler fordern unermüdlich, »den Zwischenhandel der Eingeborenen militärisch wegzumanövrieren«. Auch die Gesellschaft für deutsche Kolonisation (GfdK) propagiert eine expansive Kolonialpolitik. Mit ihrem Präsidenten Carl Peters, dem Gründer Deutsch-Ostafrikas, einem fanatischen Rassisten, hat sie einen angemessenen Repräsentanten. Seine Verbrechen – unter anderem lässt er seine schwarze Konkubine und seinen Diener, die ein Verhältnis miteinander hatten, aufhängen und ihre Heimatdörfer niederbrennen – werden ihm später in Afrika den Rufnamen mkono wa damu (»blutige Hand«) eintragen, in Deutschland wird er als »Hänge-Peters« berüchtigt. In Blättern wie der Kölner Zeitung finden die Forderungen den gewünschten Widerhall: Mit einer »kleinen Schutztruppe ließe sich der ganze Widerstand der Duala brechen, der die Entwicklung unserer wertvollsten Kolonie in Fesseln schlägt.« Der Vertrag mit den Duala, heißt es in einer Denkschrift aus dem Handelshaus Jantzen & Thormälen, sei ohne Bedeutung, und die Deutschen seien nicht nur berechtigt, sich darüber hinwegzusetzen, sondern sogar verpflichtet: »Unsere Stellung zu den Dualas muß eine völlig andere werden. […] Es widerstreitet also dem Grundgedanken der Schutzverträge nicht, wenn wir als Heilmittel der traurigen Lage der Dinge in Kamerun das gewaltsame Durchbrechen des Zwischenhandels der Dualas und ihre durch moralische und physische Machtmittel durchgeführte Erziehung zur Arbeit hinstellen. Der durchzuführende Plan würde etwa folgender sein: Man errichte eine Schutztruppe«. Die Truppe würde Stationen aufbauen, um die Handelswege freizuhalten. »Sobald diese Organisation in die Wege geleitet, wird sich dem Handel ein ganz ungeahnt großes neues Gebiet erschließen.« Mit anderen Worten: Die Handelswege sollen freigeschossen werden.

      Noch ist Berlin dazu nicht bereit. Insbesondere der Reichstag zögert, Geld für die militärische Eroberung der Kolonie bereitzustellen. Und auch Gouverneur von Soden – er beschäftigt sich zeit seines Lebens mit Dante und Homer und fühlt sich von Immanuel Kant inspiriert – möchte vor dem Handelsnetz, das die deutschen Kaufleute in ihren hochfliegenden Plänen bereits über ganz Kamerun spannen, lieber zunächst ein Netz von Schulen über Küste und Urwald legen, Missions-, aber auch Regierungsschulen. Und so betritt nach ruhiger Fahrt an Bord der Ella Woermann im Januar 1887 Theodor Christaller, seit wenigen Tagen 24 Jahre alt, als erster deutscher Reichsschullehrer in Kamerun den Boden Dualas. Als Sohn eines Missionars der Basler Mission hatte Christaller selbst einige Jahre im Basler Stammhaus unterrichtet, bis er wenige Monate zuvor von einem Stuttgarter Prälaten gefragt wurde, ob er die Stelle in Kamerun im Dienst der Reichsregierung antreten wolle. Sein erster Gedanke war »Afrika – ein Todesland!«, kein abwegiger Gedanke, denn nicht nur ein Inspektor der Mission war erst vor kurzem an der afrikanischen Westküste an Malaria gestorben, auch Christallers Mutter war dort von der Krankheit hinweggerafft worden, sein Vater schwer krank nach Deutschland zurückgekehrt. Schließlich aber hatte der junge Mann eingewilligt, erfüllt – wie sein Schwager nach Christallers Tod in einer Lebensbeschreibung beteuerte – »von dem hohen Ziel, deutsche Bildung und Sitte, deutsche Sprache und Glauben in den dunklen Erdteil hinauszutragen, bereit, für dieses hohe Ziel Bequemlichkeit, Gesundheit, ja, wenn es sein soll, das Leben zu opfern.« Tatsächlich wird Christaller neun Jahre später an Schwarzwasserfieber sterben.

      Doch jetzt, im Januar 1887, benötigt der junge Reichsschullehrer erst einmal eine Unterkunft. Und siehe da, in der Basler Mission ist soeben ein Zimmer frei geworden: Ein Missionar und Freund Christallers ist an Malaria gestorben. Im Übrigen aber ist nichts für den jungen Lehrer vorbereitet, kein dauerhaftes Quartier und erst recht keine Schule, und so unterrichtet Christaller anfangs in einer verfallenen Hütte aus Palmrippen und Matten. Unter seinen Schülern sind sieben Söhne King Bells (sieben von siebzig, wie Christaller vermutet) und mindestens ein Enkel: Manga Bell. Christaller, der während der Schiffsreise Duala gelernt hat, zögert nicht, die Kinder mit dem Kernbestand deutscher Kultur bekannt zu machen. Als ein deutscher Offizier eines Tages den Unterricht besucht, singen die Kinder »mit ungeheurer Begeisterung«, wie Christaller bemerkt, zuerst »Lobe den Herren, o meine Seele«. Danach fragt der Lehrer die muntere Schar: »Was wollt ihr singen?« Und wie aus einem Munde erwidern die jung-deutschen Duala: »Ich hatt’ einen Kameraden!« Der kleine Manga Bell singt sicherlich mit. Denn erstens zahlt sein Großvater Schulgeld – er wird auch das hölzerne Fertighaus bezahlen, das Christaller als Schulgebäude in Deutschland bestellt hat –, und zweitens empfiehlt es sich, den Lehrer nicht zu verärgern. Vor allem für enttäuschtes Vertrauen pflegt sich der Schulmeister nachhaltig zu revanchieren. Das bekommt der kleine Konrad zu spüren, den er als Hausjungen zu sich genommen hat. Als er ihn beim Diebstahl erwischt, schleppt Christaller ihn ins Gericht, wo Konrad zu fünfzehn Hieben mit der Nilpferdpeitsche verurteilt wird, danach persönlich ins Gefängnis, wo der Junge gefesselt und derart geprügelt wird, dass ihm »die Haut in Fetzen vom Leibe flog«. Aber er kann unmöglich mehr gelitten haben als sein Lehrer: »Ich hatte ihn so sehr geliebt, geliebt, wie ein deutsches Herz nur lieben kann, und nun ist’s aus.« An Kaisers Geburtstag holt Christaller den Jungen aus dem Gefängnis, nimmt ihn wieder bei sich auf und verspürt das gute Gefühl, verzeihen zu können und nach drei Wochen zum ersten Mal wieder »ausgezeichnet zu schlafen, weil Konrad neben mir auf dem Boden schlief, zwar noch blutig, aber doch neben mir«.

      Zumindest anfangs zweifelt Christaller nicht am Motiv der kleinen »faulen Neger«, die deutsche Sprache zu lernen: »Die Leute zeigten sich begierig, etwas zu lernen, aber wie der Gouverneur mit Recht vermutete, nicht aus Wissensdurst, sondern nur, um andere nachher besser betrügen zu können.« August Manga Ndumbe Bell allerdings hat für seinen Sohn Manga Bell andere Pläne. Der Junge soll in wenigen Jahren nach Deutschland gehen und dort Rechtswissenschaften studieren. Wie wichtig es ist, im Umgang mit den Deutschen das Recht zu kennen, erläutert ihm sein Neffe Alfred Bell in ausführlichen Briefen. Ein Polier der Altonaer Firma Franz Schmidt, die die Fertigteile für das Regierungsgebäude und das Gefängnis in Duala lieferte, hatte Alfred auf Bitten King Bells 1886 mit drei anderen Duala zur Ausbildung mit nach Deutschland genommen. Dort ist Alfred anscheinend mit sozialdemokratischen Gedanken in Berührung gekommen, berichtet davon in den Briefen an seine Familie und zieht sich damit erst den Argwohn, dann den Unmut der Behörden – die seine Post offensichtlich kontrollieren – in Kamerun und Deutschland zu. Aus einem Schreiben des Kameruner Gouvernements an Reichskanzler Bismarck vom 1. Juli 1889: »Euerer Durchlaucht beehre ich mich auf den hohen Erlass vom 29. Mai dieses Jahres Nummer A-21, betreffend Deckung etwa für Alfred Bell infolge seiner jetzigen Unterbringung entstehender bzw. Deckung früher für ihn entstandener Kosten, ganz gehorsamst zu berichten, dass, soviel mir bekannt, der Herr Gouverneur Freiherr von Soden bisher häufig erhebliche Zahlungen für Alfred Bell aus eigener Tasche gemacht, dieselben aber eingestellt hat, als der Knabe Alfred anfing, ihm fürchterlich zu werden, indem er seinen Wohltäter in seinen an die Familie gerichteten Briefen in der Euerer Durchlaucht nunmehr auch bekannten Weise auf das Schamloseste zum Gegenstand seiner Schmähungen machte. Ob der Herr Gouverneur von Soden weiterhin dem Alfred Bell etwas zukommen lassen will bzw. ob andere Mittel eventuell zur Verfügung stehen könnten, darf ich ganz gehorsam bitten, dessen eigener Berichterstattung zu überlassen.«

      Was aber hat Alfred seinem Wohltäter so »fürchterlich« werden lassen? Der junge Duala hat verglichen – die Gerichtsbarkeit, die die Deutschen für die Duala in Kamerun errichtet haben, mit der Justiz, wie sie im kaiserlichen Deutschland funktioniert. In diesem Augenblick hat er den Unterschied von Willkür und Recht erkannt und war zugleich für seinen Wohltäter zum Feind geworden, was ihn folgerichtig nur mehr mäßig interessiert: »Der Gouverneur kann mir nichts thun, weil mich niemand binden kann und nach K.[amerun] schicken, wenn er was von mir will, muß er einen Prozeß anfangen, er kann mich nicht in das Gefängnis thun, außer wenn ich den Prozeß verliere. Er kann einen in Kamerun ins Gefängnis thun wann er will, aber nicht in Deutschland.« Allerdings unterschätzt er die Neigung des in Deutschland geltenden Rechts, sich in Willkür zu verwandeln,


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