Der gute Deutsche. Christian Bommarius

Der gute Deutsche - Christian Bommarius


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und schlugen Männer, Weiber und Kinder unterschiedslos nieder […] Fast jeder Soldat brachte zum Andenken ein Bakokohaupt nach der Beach.« Doch ist das nur die für den Dienstgebrauch bestimmte Darstellung. Es fehlen einige interessante Details, mit denen der Regierungsbeamte Wilhelm Vallentin, der sich im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Kamerun befindet, aushelfen kann: »Aus dem unter Führung des Assessor Wehlan unternommenen sogenannten ›Bakokofeldzuge‹ erfahre ich heute wieder verschiedene Einzelheiten. Es soll wirklich grauenhaft gewesen sein. Die Gefangenen sind tagelang in der glühendsten Hitze auf dem Schiffe […] an die Reelings derartig festgeschnürt worden, dass in die blutrünstigen und aufgeschwollenen Glieder Würmer sich eingenistet hatten. Und diese Qual tagelang in der Tropenhitze und ohne jede Labung! Als dann die armen Gefangenen dem Verschmachten nahe waren, wurden sie einfach wie wilde Tiere niedergeschossen.«

      Sofern Häuptlinge der massakrierten Stämme Wehlans Kriegsführung überleben, müssen sie sich nicht nur in »Friedensverträgen« unterwerfen, sondern sich verpflichten, eine bestimmte Menge Elfenbein, Kanus und »Strafarbeiter« zu liefern. Denn Arbeiter sind knapp in der deutschen Kolonie. So schreitet die Erschließung des Landesinnern für Woermann und Jantzen & Thormählen und die Ausschaltung des Zwischenhandels langsam voran.

      III.

      AUS BROCKHAUS’ CONVERSATIONS-LEXIKON VON 1885: »Neger, in der volkstümlichen Sprache Mohr (entstanden aus dem lat. Maurus, wie im Altertum die dunkelfarbigen Bewohner Nordwestafrikas hießen), nennt man die schwarzen, wollhaarigen Bewohner Afrikas. Dieselben werden in allen ethnogr. Systemen als eine Hauptrasse von anderen abgesondert und stehen als schiefzähnige Langköpfe (prognathe Dolichocephalen nach Retzius) neben den Papuas auf der niedersten Stufe der Rassenentwicklung.« Der deutsche Gesetzgeber hat nicht an die »schwarzen, wollhaarigen Bewohner Afrikas« gedacht, als er 1871 die Prügelstrafe aus dem Reichsstrafgesetzbuch strich. Zum einen gilt das Reichsstrafgesetzbuch in den deutschen Kolonien ohnehin nur für die Weißen. Zum anderen gehören die Afrikaner – unabhängig von Alter und Lebenswandel – nach Ansicht der Deutschen naturgemäß einer der Gruppen an, gegen die auch im Kaiserreich der Einsatz von Rohrstock und Peitsche weiterhin erlaubt ist: Kinder und Verbrecher. Der Rohrstock als Erziehungsmittel ist im Klassenzimmer und im Elternhaus ebenso gebräuchlich wie Lederpeitsche und Ochsenziemer zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Zucht- und Arbeitshaus. Wohlmeinende Deutsche, zu denen zum Beispiel Reichsschullehrer Christaller zählt, betrachten »die Neger« als Kinder, ganz gleich, ob sie als Schüler vor ihnen sitzen oder ihnen als ergraute Boys im Haushalt dienen, faul zwar und zuweilen verschlagen, aber mit twenty five on backside problemlos zu dressieren. Hält man sie jedoch, wie zum Beispiel Jesko von Puttkamer die Duala, für »das faulste, falscheste und niederträchtigste Gesindel, welches die Sonne bescheinet, und es wäre sicher am besten gewesen, wenn sie bei der Eroberung des Landes wenn nicht ausgerottet, so doch außer Landes verbracht worden wären«, ist der Gebrauch der Nilpferdpeitsche ein Gebot der Kultur, wie auch ein zeitgenössisches juristisches Lehrbuch bestätigt: »Je niedriger das Kulturniveau, desto mehr Anwendung der Prügelstrafe.« Weil nicht nur die Kolonialbeamten in Duala die Prügelstrafen in schöner Regelmäßigkeit – übrigens von schwarzen Gerichtshelfern – vollziehen lassen, sondern auch die Agenten von Woermann und Jantzen & Thormählen, die Expeditionsführer und Forschungsreisenden sie tagtäglich züchtigen, ist den schwarzen Bewohnern des deutschen Schutzgebiets die Peitsche schon nach wenigen Jahren in Fleisch und Blut übergegangen und Kamerun selbst bei anderen Kolonialmächten als twenty-five country verschrien. Denn fünfundzwanzig Hiebe mit Tauende oder Nilpferdpeitsche sind die Regel.

      Reichsschulmeister Christaller hat schon länger damit gerechnet, dass die Afrikaner eines Tages zurückschlagen könnten. Als am 15. Dezember 1893 kurz nach der Abendandacht Schüsse den häuslichen Frieden der Familie Christaller stören – seit ein paar Monaten gehört dazu Sohn Rudolf –, vermutet er deshalb sofort den Beginn einer »allgemeinen Erhebung« der Duala, und er weiß, wie sein Schwager berichtet, »wenn es einmal ein Gemetzel gebe, haben sie ihn zuerst«. Denn das Haus der Christallers liegt ein wenig abseits, vom Gouvernementsgebäude durch eine Schlucht getrennt, von der Basler Mission durch einen Sumpf. Aber da eilt unbewaffnet Manga Ndumbe Bell herbei, Sohn des alten King Bell. Er beruhigt Christaller, nicht seine Duala hätten sich erhoben, sondern siebenundvierzig der von Gravenreuth gekauften fünfundfünfzig überlebenden Dahomey-Soldaten und ihre Frauen. Sie haben den Munitionsschuppen aufgebrochen, das Regierungsgebäude angegriffen, einen in der Kantine beim Abendessen sitzenden Beamten erschossen – einen jungen Assessor, den sie mit Vizegouverneur Leist verwechselten – und alle Weißen zur Flucht auf die in der Bucht ankernden Schiffe Nachtigal und Soden getrieben. Obwohl von Manga Ndumbe gewarnt, entkommt auch die Familie Christaller mit ihrem neuen Hausjungen Ngoso nur mit knapper Not in eine englische Faktorei. Unter Lebensgefahr, im Kugelhagel der Dahomey-Soldaten, kehrt Christaller zweimal ins Schulhaus zurück, um Verpflegung und Kleidung für seinen Sohn zu holen, beide Male besteht Adolf Ngoso Din darauf, ihn zu begleiten: »Das war hoch anzuschlagen, denn es bedarf schon eines großen Maßes von Liebe und Dankbarkeit, um die dem Neger angeborene Feigheit zu überwinden.« Adolf Ngoso Din ist elf Jahre alt.

      Am Morgen hatte der stellvertretende Gouverneur Heinrich Leist die Dahomey-Frauen zur Arbeit auf der Kaffeeplantage befohlen. Einige waren vorzeitig zurückgekehrt, um für die Männer das Essen zuzubereiten. Leist tobte und gab Weisung, »die Weiber der schwarzen Soldaten öffentlich peitschen zu lassen, weil sie zu wenig gearbeitet haben«. So berichtet es wenige Wochen später in seinen anonym veröffentlichten Tagebuchblättern der Regierungsbeamte Wilhelm Vallentin: »Während die Soldaten zum Zuschauen in Reih und Glied angetreten waren, erhielten ihre Weiber jedes 10 Hiebe mit der Flußpferdpeitsche, und Herr Leist stand dabei und sah der Exekution zu. Weithin tönte das Geschrei und Geheul der Gezüchtigten.« Leist habe mit dem Ruf »runter mit dem Zeug« angeordnet, »dass die Streiche auf das entblößte Gesäß fielen«, wobei die Frauen »über ein leeres Zementfaß gelegt, an Händen und Füßen gefesselt und mit der einfachen Flußpferdpeitsche gehauen wurden.«

      Christaller vermutet richtig, dass die »höchste Erbitterung« der Dahomey-Soldaten nicht erst durch das Auspeitschen der Frauen bewirkt worden ist, sondern ganz allgemein durch ihre brutale Behandlung, die der Vizegouverneur für angemessen hält. Sie werden nicht bezahlt, ständig misshandelt, ihre Frauen vom Vizegouverneur, Assessor Wehlan und anderen Vertrauten Leists regelmäßig vergewaltigt. King Bell und sein Sohn Manga Ndumbe hatten die Lage der Dahomey zwar bedauert, aber Unterstützung aus Furcht verweigert, die Deutschen gegen sich aufzubringen. Alfred Bell jedoch, der seit seiner Zeit in Hamburg nicht nur Deutsch spricht, sondern sich den Deutschen ebenbürtig fühlt, hatte für die Dahomey im März 1893 einen Protestbrief an Leist aufgesetzt, in dem sie zumindest ein wenig Entlohnung verlangt hatten: »Euer Hochwohlgeboren. Wie Euer Hochwohlgeboren selbst wohl weist [sic], wir alle Dammeleute [Dahomey-Soldaten] sind Ihrer Eigentum. Wir haben keine Eltern und keine Verwandten hier, und wir sind seit zwei Jahren hier und haben bis jetzt niemals Taschengeld bekommen. So bitten wir alle Euer Hochwohlgeboren aufrichtig zu sagen, daß wir sind Ihrer Eigentum, und deshalb bitten wir Ihnen ganz gehorsamst, ob Sie uns nicht mitleiden können und uns etwas Taschengeld geben«. Nachdem Leist den Brief aus den Händen Wehlans empfangen hatte, verwarnte er Alfred Bell und den Sprecher der Dahomey-Soldaten scharf und kürzte anschließend die Tagesrationen (600 Gramm Reis, 200 Gramm Fleisch, 62 Gramm Hartbrot) für die Dahomey.

      Erst acht Tage nach dem Aufstand, am 23. Dezember, und nur mit Hilfe des eilig herbeigerufenen Kanonenboots Hyäne gelingt es, die Dahomey-Soldaten niederzukämpfen. Überlebende werden festgenommen und am Neujahrstag 1894 hingerichtet, die Frauen werden zu Zwangsarbeit auf den Plantagen verurteilt. Die Schäden durch deutsche Granaten sind beträchtlich, Christallers Schulgebäude ist zerschossen, die Joßplatte wieder einmal verwüstet. Das lässt sich in Berlin nur schlecht als erfolgreiche Bilanz deutscher Kolonialverwaltung verkaufen, und so hatte man den Kaiser bislang über den Aufstand nicht informiert. Am Abend des 23. Dezember wird Wilhelm II. bei einer festlichen Gesellschaft von dem Telegramm Heinrich Leists überrascht: »Jossplatte durch Hyäne, Gouvernement und deutsche Kaufleute zurück erobert. Fünf Verwundete.« Sofort diktiert der Kaiser seinem Flügeladjutanten eine Eilnachricht an das Auswärtige Amt: »Seine Majestät erhalten soeben Depeschen aus Kamerun, aus denen hervorgeht, dass die Jossplatte zurückerobert ist. Da darüber hier


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