Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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einem geheimen Gipfeltreffen in Mailand ein gemeinsames Vorgehen gegen den Engländer besprochen. Zu diesem Zeitpunkt prügelte sich Richard mit seinen englischen Rittern noch im Morgenland mit den Muslimen unter Sultan Saladin herum.

      Bis Erdberg geht die beschwerliche Reise durch den Winter gut. Bei der Gefangennahme leisten der jähzornige englische Herrscher und sein Gefolge keinen Widerstand, es wäre zwecklos gewesen. Herzog Leopold V. von Österreich hat den Fang seines Lebens gemacht und beginnt sein Spiel. Mit reitenden Boten wird Kaiser Heinrich VI. auf dem Weg von Eger in Nordböhmen nach Regensburg informiert. Er zeigt sich vom eklatanten Rechtsbruch seines Herzogs weder überrascht noch empört. Kaiser Heinrich taxiert die Beute und befindet: »Wertvoller noch denn Gold und Edelgestein.« Das europäische Informationsnetzwerk funktioniert auch im Mittelalter. Der deutsche Kaiser schreibt nur sechs Tage nach der Gefangennahme dem französischen König, schildert die Tat und kriminalisiert den englischen König als »Feind des Reichs und Störer deines Königreichs«. Deutschland und Frankreich verbünden sich gegen England.

      Am gleichen Tag geht auch Post nach Wien ab. Der Kaiser befiehlt seinem Lehensmann, die königliche Geisel zum Hoftag nach Regensburg mitzunehmen und den englischen König dem deutschen Kaiser in Gewahrsam zu geben. Aus Gründen der Ehre, natürlich: »Weil es sich nicht gezieme, dass ein Herzog einen König gefangenhalte, es wäre im Gegenteil nicht ungebührlich, wenn die königliche Würde von der kaiserlichen Erhabenheit bewahrend erhalten werde.«

      Jetzt wird die Sache ernst. Österreichs Herzog kann es machtpolitisch kaum wagen, der »Bitte« des Kaisers nicht zu entsprechen und seine immens wertvolle Geisel auf der Burg Dürnstein in der Wachau zu belassen. Das wäre ein eklatanter Treuebruch und würde zu einem Konflikt mit dem Staufen führen. Der Babenberger Leopold ist zwar mittlerweile ein wichtiger Herzog des Reichs, steht aber machtpolitisch doch noch in der zweiten Reihe der strengen ritterlich-feudalen Ordnung des Mittelalters. Auf eigene Faust und eigene Rechnung kann Leopold die Geiselnahme nicht beenden. König Richard gehört zur »ersten Garnitur« europäischer Macht. Im Vergleich zu Richard ist der Babenberger ein kleines Licht. Ohne Gegenleistung für seine schlaue Aktion will Leopold den englischen König Richard Löwenherz aber auch nicht an den Kaiser ausliefern. Der Herzog lässt die Pferde satteln und beeilt sich mit seiner Geisel von Dürnstein die Donau aufwärts zum Hoftag nach Regensburg. Schon am Dreikönigstag des Jahres 1193 trifft Herzog Leopold mit dem Gefangenen in der Pfalz Regensburg ein. Auf dem Hoftag führt er seinem Kaiser den englischen König Richard als Gefangenen vor. Er weigert sich jedoch, seine Geisel zu übergeben. Der Kaiser und sein Herzog beginnen intensive Verhandlungen über die Modalitäten der Übergabe. Es kommt zu keiner Einigung. Der Babenberger lässt seinen Gefangenen heimlich wieder nach Dürnstein bringen. Leopold fürchtet einen Handstreich des Kaisers. Richard Löwenherz muss wieder nach Dürnstein, in die stattliche Burg Hademars II. von Kuenring, mit ihrem prachtvollen Blick über das Donautal. Hademar ist ein enger Vertrauter von Leopold und sorgt sich um das Wohlergehen seines prominenten »Gastes«. Entgegen den Darstellungen der zeitgenössischen englischen Propaganda muss der mächtige König keineswegs in einem Verlies schmachten. Er darf sich in der Burg und der Umgebung frei bewegen, hält Kontakt zu englischen Emissären und vertreibt sich die Zeit mit Rauf- und Sauf-Wettbewerben. Sein unfreiwilliger Aufenthaltsort ist kein Geheimnis. Im 19. Jahrhundert werden die Haftbedingungen von »Lionheart« als eher kommod beschrieben: »Er durfte sich, von deutschen Rittern gefolgt, frei bewegen. Der Verkehr mit seinen Freunden und Landsleuten, die von England herüberkamen, ihm zu huldigen oder zu raten, wurde nicht gehindert. Nur des Nachts musste er allein sein. Der Frohsinn verließ den König auch hier nicht; wer ihn sah, fand ihn launig und heiter. Die größte Belustigung gewährte ihm, mit den Wächtern sein Spiel zu treiben, sie im Ringkampf mit meisterlicher Gewandtheit zu bewältigen oder im Zechgelage sie sämtlich trunken zu machen und allein obenauf zu bleiben.« Die schöne Sage vom treuen Sänger Blondel, der deutsche Burgen abklappert, vor jeder sein Ständchen singt und endlich aus dem Dürnsteiner Verlies die Stimme seines geliebten Königs vernimmt, ist eben eine Sage: Kein Wort wahr. Der nordfranzösische Troubadour Blondel de Nesle schreibt zwar zwei Dutzend Liebeslieder in picardischer Mundart. Löwenherz begegnet er nie. Vor der Burg Dürnstein singt er nicht.

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      Keine Spur von Bänkelsänger Blondel: Die Burg Dürnstein in der Wachau beherbergt anno 1193 König Richard Löwenherz. Für den Engländer ist dies ein eher längerer und sehr teurer Aufenthalt.

      Vier Wochen verhandeln Kaiser Heinrich VI. und Herzog Leopold V. Mitte Februar wird in Würzburg ein Vertrag geschlossen. Darin einigen sich Lehnsherr und Lehnsmann über die Modalitäten einer europäischen Erpressung. »Ich, Leopold, Herzog von Österreich, werde meinem Herrn, Heinrich, dem Kaiser der Römer, den König von England folgendermaßen und unter der Bedingung übergeben und ausliefern, dass eben dieser König dem Herrn Kaiser 100 000 »Kölner Mark Silber« vergönnen werde. Von welchen ich die Hälfte für die auszustattende Tochter des Bruders des Königs der Engländer halten werde, die einer meiner Söhne in die Ehe führen wird. Diese Tochter des Bruders des Königs der Engländer wird darum zum Fest des Heiligen Michael einem meiner Söhne, den ich hierzu auswählen werde, darzureichen sein.« Neben der ungeheuer hohen Lösegeldsumme von 100 000 »Kölner Mark Silber«, zu bezahlen in zwei Tranchen, will der Babenberger sein Haus mit den englischen Plantagenets durch eine Eheschließung verbinden. Das erpresste Lösegeld würde so offiziell als Mitgift »reingewaschen«. Die 100 000 »Kölner Mark Silber« entsprechen etwa dem Gegenwert von 24 Tonnen Silber. So viel hat Richard I. dem Malteser Ritterorden für den Kauf ganz Zyperns gezahlt.

      Nach heutigem Geldwert, der nicht der Umrechnung des Silberpreises entspricht, erhält der österreichische Herzog etwa drei Milliarden Euro für seinen Gefangenen. In der Summe aller Vertragspunkte ist die Conventio von Würzburg ein schonungsloses Dokument über Politik durch Erpressung. Der Vertrag skizziert auch ein machtpolitisches Konzept, mit dem die Neuordnung zahlreicher europäischer Konflikte versucht wird. Mehr noch als die eher kommode Haft auf der Burg Dürnstein fürchtet Richard Löwenherz die Auslieferung an den französischen König. Während der Verhandlungen wird der König in der Wachau festgehalten. Ob er in der Haft über die Gespräche informiert wird, wissen wir heute nicht. Wahrscheinlich ist es schon. Schließlich bemüht sich der englische Bischof Savary von Bath in die winterlichen deutschen Lande und vertritt als Anwalt die Interessen des englischen Königs beim Kaiser.

      Die Würzburger Conventio dürfte vom engen Vertrauten des österreichischen Herzogs, Ritter Hademar II. von Kuenring, formuliert worden sein, viele Textpassagen sind nur im Interesse des österreichischen Herzogs. Neben einigen kleineren Forderungen, wie etwa der Freilassung weitschichtiger Verwandter seiner byzantinischen Mutter aus dem Gewahrsam der Engländer auf Zypern, erbittet Leopold die Lösung vom Kirchenbann. Der Babenberger versucht sich selbst für das »Jüngste Gericht« entsprechend abzusichern. König Richard hat die zugesagte Fürsprache beim Papst für seinen Geiselnehmer allerdings nicht eingehalten.

      Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Würzburg, der die Aufteilung des erpressten Lösegelds regelt, wird Richard Löwenherz jedenfalls im März 1193 von Dürnstein in die kaiserliche Pfalz nach Speyer gebracht und dort dem deutschen Kaiser übergeben. Nun ist König Richard Gefangener auf standesgemäßem Niveau, gefangen bleibt er. Es dauert fast elf Monate, ehe die Zahlung der für damalige Verhältnisse ungeheuer hohen Summe Lösegeld abgewickelt werden kann. Wie die Welt aus der Sage von Robin Hood erfahren hat, quetschen die Steuereintreiber und Sheriffs jeden Silberling aus der Bevölkerung. In England müssen die Klöster alle Erträgnisse aus der Schafschur eines Jahres abliefern. Kaiser und Herzog teilen halbe-halbe. Leopold V. verwendet »seine« 50 000 Mark Silber für die Erweiterung Wiens und den Bau der Wiener Münzstätte, außerdem investiert Österreichs Herrscher das englische Silber in die Gründung Wiener Neustadts und zur Befestigung der Städte Enns und Hainburg. Die Geiselnahme von Richard Löwenherz in Erdberg bei Wien wird so tatsächlich eine Sternstunde für Österreich, auch wenn sie moralisch im Zwielicht dämmert.

      Englands König Richard konnte erst nach seiner Freilassung am 4. Februar 1194 auf die Insel zurückkehren und sein Reich wieder in Besitz nehmen. Er war fast zwei Jahre lang gefangen.


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