Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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Bund. Da es damals zwar Ferntrauungen, aber noch keine Fernzeugungen gab, blieben beide Ehen kinderlos und konnten so – kirchenrechtlich abgesegnet – im Jahr 1500 vom Papst praktischerweise in »einem Aufwasch« am selben Tag geschieden werden. Im europaweit vernetzten Hochadel anno 1500 ließ sich rasch eine neue Gemahlin finden. Mit seiner dritten Frau Anne de Foix-Candale aus einer Nebenlinie des Hauses Navarra klappte das Kinderkriegen dann doch noch. Tochter Anna wurde 1503 in Prag geboren. Die Geburt des ersehnten Thronfolgers Ludwig überlebte die Königin Anne nur um drei Wochen. Sie starb 1506 an den Folgen der Niederkunft in der Prager Residenz. Drei Ehen waren für Vladislav genug. Er suchte keine neue Frau mehr, kümmerte sich aber um adäquate Heiratskandidaten für seine Kinder, die kaum den groben Stoffwindeln entwachsen waren. Da fügte es sich schön, dass Kaiser Maximilian nach dem frühen Tod seines Sohnes Philipp »des Schönen« Vormund seiner Enkelkinder war, die in den spanischen Niederlanden unter der Obhut seiner Tochter Margarete heranwuchsen. Die tüchtige Erzherzogin war zur Generalstatthalterin der Niederlande und Erzieherin der kaiserlichen Enkel befördert worden.

      Die Doppelhochzeit wurde für Sonntag, den 22. Juli 1515 in Wien angesetzt. Eine Woche zuvor trafen einander die beteiligten Herrscher mit großem Gefolge in Sarasdorf bei Trautmannsdorf an der Leitha, angeblich unter einem Birnbaum. Die Wahl des Ortes erfolgte keineswegs, weil die Felder rund um den unbedeutenden Weiler so lieblich gewesen wären. Maximilian war Vladislav und dessen Bruder, König Sigismund I. von Polen, und den bräutlichen Kindern Anna und Ludwig auf halbem Weg nach Preßburg entgegengereist. Die Stadt an der Donau war damals ungarische Hauptstadt, da die Verwaltung des Reichs aus Angst vor den Osmanen möglichst weit in den Westen des Königreichs verlegt worden war. Die gut dreißig Kilometer von der Wiener Burg bis nach Sarasdorf entsprachen einer Tagesreise.

      Für die Habsburger hatte der Wiener Stadtanwalt Johannes Cuspinian die Details des europäischen Fürstentreffens verhandelt. Beide Seiten waren peinlich darauf bedacht, den gleichwertigen königlichen Rang zu wahren. Die Herren waren – für die damaligen Verhältnisse – schon ein wenig betagt und konnten das hohe Ross nicht mehr ohne fremde Hilfe besteigen. Daher begegneten die Könige einander in prunkvollen Sänften und begrüßten sich mit lateinischen Psalmen von Fenster zu Fenster am Straßenrand. So musste keiner vom Pferd absteigen und auf den anderen zugehen. Nach der staatsförmlichen Begrüßung wird es ein wenig heiterer zugegangen sein. Für die Nachtruhe der drei Monarchen war auf freiem Feld ein Zeltlager errichtet worden. Am nächsten Morgen rumpelten der Kaiser und die zwei Könige mit ihrer Begleitung in Wagen über die matschige Straße nach Wien. Es regnete. Das tat der Hochstimmung freilich keinen Abbruch.

      In seinem Tagebuch Diarium (Joannis Cuspiniani) Praefecti urbis Viennensis, de congressu Caesaris Maximiliani Augusti, et trium Regum beschreibt der kaiserliche Berater Cuspinian den »herrlichsten Einzug, den man je gesehen«. Der kaiserliche Hofarzt und Politiker hatte das Ereignis auch diplomatisch vorbereitet und eingefädelt. Cuspinian war zu jener Zeit so etwas wie der »Kabinettschef« des Kaisers, der – wie Zeitgenossen berichteten – »ihn so liebte, dass er halbe Nächte mit ihm durchsprach«. Der bekannt Eloquente war eher profan als Hans Spießheimer im bayerischen Schweinfurt auf die Welt gekommen, ehe er zum kaiserlichen Leibarzt, Rektor der Wiener Universität, Dichter, Humanisten, Politiker und Diplomaten aufstieg, sich dabei ein ansehnliches Vermögen erwarb und mit zwei Frauen acht Kinder zeugte. Dem Vertrauten des Kaisers gehörte – nebst anderem Besitz – in Wien das Haus Singerstraße Nummer 10.

      Die Doppelhochzeit im Stephansdom sollte der Abschluss und Höhepunkt eines europäischen Fürstenkongresses werden, an dem dreihundert Jahre vor dem »Wiener Kongress« schon einmal die Neuordnung Europas verhandelt und beschlossen wurde. Dafür hatte Kaiser Maximilian tief in die Haushaltskasse greifen müssen. Es war eine teure Hochzeit, immerhin wurde nach der kirchlichen Zeremonie fast eine Woche lang gezecht. Wien hatte schon im Spätmittelalter den Ruf einer eher leichtlebigen und sinnenfreudigen Stadt. Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., beschrieb anno 1438 in einem Brief an einen Freund die Wiener Sittenlosigkeit: »Ein lockeres und schlampiges Volk, groß ist die Zahl der Dirnen, selten ist ein Weib mit seinem Mann zufrieden.« Herr Piccolomini war in Sachen Sittsamkeit ein Experte: Er wurde schließlich zum Papst gewählt. Das Leichtlebige zeigte sich nicht nur in der Völlerei. Stimmen die zeitgenössischen Berichte auch nur einigermaßen, dann war Wien ein regelrechter Sündenpfuhl. Kam hoher ausländischer Besuch in die Stadt, mussten sich die zahlreichen Prostituierten besonders herausputzen, um den Gästen die sinnliche Pracht Wiens augenfällig zu machen. Der Magistrat bezahlte gar die Ausstaffierung von Damen aus dem »Frauenhaus«. Der Aufwand brachte 1515 vielfachen Ertrag. Die Bezahlung der Festivitäten erfolgte auf Kredit. Der Kaiser hatte wieder einmal seinen Hauptfinanzier Jakob Fugger um ein Darlehen ersucht. 54 000 Gulden streckte das Augsburger Bankhaus vor. Es war kein Hochzeitsgeschenk, wohl aber ein gutes Geschäft. Die Fugger erhielten als Kreditbürgschaft für sechs Jahre die Einnahmen der Tiroler Kupferminen.

      Der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger trug seinen Beinamen »der Reiche« nicht ohne Grund. Das Familienunternehmen der Gebrüder war an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert der bedeutendste europäische Konzern. Vom ursprünglichen Baumwollhandel hatte Fugger sein Unternehmen zum größten Rohstoffhändler und Bankhaus seiner Zeit geformt. Die Fugger kontrollierten das Kupfer- und Silbergeschäft und hatten sich mit großem Risiko an Bergwerken und Minen in Tirol und der heutigen Slowakei beteiligt.

      Fugger finanzierte Kaiser Maximilian und er bezahlte auch die Königswahl von dessen Sohn Karl. Die Bestechung der Kurfürsten verschlang Unsummen. Das Bankhaus Fugger finanzierte mit 545 585 Gulden zwei Drittel der rund 800 000 Gulden, die die Wahl Karls I. zum römisch-deutschen König kostete. Mit diesen Summen konnte nicht einmal der französische König mithalten. In den Geschäftsbüchern von Jakob Fugger sind die Beträge auf Gulden und Heller genau angeführt. Das Familienunternehmen hatte sich auf das Bündnis mit den Habsburgern eingelassen und musste im eigenen Interesse deren politische Macht stützen. Jakob Fugger war freilich kein Wohltäter. Er erwartete die Rückzahlung seiner Kredite und ließ sie sich durch die Übertragung von Bergbaurechten und Steuereinnahmen absichern.

      Bei seinem Tod stand Maximilian I. bei Jakob Fugger so tief in der Kreide, dass dem Augsburger Bankhaus gar nichts anderes übrigblieb, als die Habsburger weiter zu finanzieren. Das »Haus Österreich« war »too big to fail« geworden. Maximilian investierte geborgtes Geld in seinen Nachruhm. Als einer der ersten Fürsten erkannte der Habsburger die Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit. So ließ er die besten Dichter, Maler und Humanisten an seinem Ruhm arbeiten und das Bild des heroischen »letzten Ritters« malen. Albrecht Dürer entwarf für Maximilian einen »Großen Triumphwagen« und eine Triumphpforte. Die Bilder Dürers fanden durch die neue Drucktechnik große Verbreitung im ganzen Reich und transportierten das erwünschte Bild eines »idealen Herrschers« im humanistischen Sinn. Peter Altendorfer ließ in seiner Werkstatt auf 109 Pergamentbögen einen mehr als hundert Meter langen Triumphzug malen, den es in Wirklichkeit gar nicht gegeben hatte. Marketing ist eben fast alles.

      Das Hochzeitsfest dauerte bis zum 29. Juli, am 3. August 1515 besiegelten die drei Herrscher einen offiziellen Freundschaftsvertrag. Anna wurde vor Ablauf eines Jahres die Frau von Ferdinand, der nach dem Tod seines Schwagers die Königskrone von Ungarn und Böhmen errang. Damit stieg das Haus Habsburg zu einer der führenden Mächte Europas auf.

      Nach diesem ersten Wiener Kongress war freilich keineswegs fix, dass die Habsburger tatsächlich das Erbe Böhmens und Ungarns antreten würden. Das machte erst elf Jahre später ein unerwarteter Todesfall möglich: Nach dem Hinscheiden seines Vaters Vladislav II. war der zehnjährige Ludwig zum böhmischen und ungarischen König gekrönt worden. Er ertrank aber eher unrühmlich als Zwanzigjähriger nach der Schlacht bei Mohács 1526 gegen die weit überlegenen Türken auf der Flucht. Sein Leichnam wurde erst Wochen später aufgefunden. Nach dem Ende des jungen König Ludwig wären Ungarn und Böhmen – zumindest theoretisch – an die Habsburger gefallen. Aber: Die ungarischen Stände fürchteten um ihre verbrieften Rechte und wählten einen Gegenkönig: So wurden der Habsburger Ferdinand I. und der ungarische Adelige János Szapolyai beide Könige. Ferdinand musste sich in einem langen Bürgerkrieg die Herrschaft über das Land erkämpfen, nur um damit einen fast zweihundert Jahre währenden Konflikt mit dem Osmanischen Reich zu erben. Das türkische Großreich unter Sultan Süleyman dem Prächtigen entwickelte eine


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