Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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Doppelhochzeit zu Wien

      Die hohen Herrschaften schwätzen und tratschen. Die Psalme und Huldigungen der höchsten Geistlichkeit sind kaum zu verstehen. Auch die so sorgsam vorbereitete lateinische Hochzeitsrede des Humanisten Riccardus Bartholinus Perusinus geht im Trubel unter. Der gelehrte Herr ist darüber sehr ungehalten. Schließlich wird er am Hofe von Kaiser Maximilian gerade wegen seiner Fähigkeit, schmeichlerische Gedichte auf den Dienstgeber anzustimmen, bezahlt und geehrt.

      In der gotischen Kathedrale St. Stephan zu Wien drängten sich am St.-Magdalenen-Tag die Gesandten aller europäischen Staaten und der Hochadel des Heiligen Römischen Reichs. Die Wienerinnen und Wiener blieben ausgesperrt. Denn die festlich geschmückte Kirche war nur für die »vornehmsten Gäste zugänglich«. Rechts des Chores saßen der römisch-deutsche Kaiser, die Könige von Ungarn und von Polen sowie ein schmaler zehnjähriger Knabe, Prinz Ludwig. Nach dem Hochamt legte der Kaiser seinen prunkvollen Ornat an. Vor dem Altar des Stephansdoms, dessen Kanzel und Orgelfuß eben erst von Dombaumeister Pilgram fertiggestellt worden war, schlossen ein 56-jähriger Kaiser und ein zwölfjähriges Kind unter dem Thronhimmel den Bund der Ehe, der aber keineswegs für die Ewigkeit bestimmt war. Maximilian I. ehelichte vor Gott – so sah man das damals – Anna, die Tochter des mächtigen Jagiellonen-Königs von Ungarn, Böhmen und Kroatien, freilich in Stellvertretung für einen seiner Enkel Karl oder Ferdinand, die erst gar nicht ins ferne Wien gekommen waren. Und noch war nicht klar, welcher der beiden Enkel die junge Anna später tatsächlich ins Brautgemach führen dürfe.

      Die vom Großvater eingefädelte dynastische Verbindung zweier großer europäischer Herrscherhäuser hatte natürlich kaum etwas mit der Ehe als Institution, geschweige denn mit Liebe und Zuneigung zu tun. Maximilian und die Fürsten seiner Zeit betrachteten das »heilige Sakrament« als Besiegelung machtpolitischer Pläne und Allianzen. Kaiser Maximilian, der »letzte Ritter«, setzte seine Enkelkinder Ferdinand und Maria als Figuren auf das europäische Brettspiel. Die Kinder stammten aus der Ehe seines Sohnes Philipp »des Schönen« mit der spanischen Thronfolgerin Johanna, die später von ihren Zeitgenossen den Beinamen »die Wahnsinnige« erhalten sollte: »Wiewohl wir Itzt Euer Liebden das Wort gegeben, daß Ihr Unser Gemahlin sein sollet, so ist doch solches geschehen im Namen Unserer beiden abwesenden Enkel und in der Meinung, Euer Liebden an einen von denselben zu vermählen, den wir auch hiermit Euch ehelich versprechen. Und weil mein Enkel Carl die Königreiche Castillien und Arragonien, sein Bruder Ferdinand aber das Königreich Neapel zu erben und zu erwarten hat, so erklären und nennen wir hiemit Euer Liebden eine Königin, und wollen Euch zu einer solchen gekrönet haben!«

      Mit diesen überlieferten Sätzen hielt Maximilian die Stephanskrone über das kleine Haupt des Kindes und machte Anna damit zur Königin Ungarns. Ihr Vater stand ergriffen daneben. Der verwitwete Habsburger Kaiser hatte sich vor der stellvertretenden Eheschließung verpflichtet, das 44 Jahre jüngere Mädchen Anna notfalls selbst zur Frau zu nehmen, falls seine beiden Enkel ausfallen sollten. Nach der ersten Eheschließung gaben der neunjährige Ludwig, Sohn des Jagiellonen-Königs, und die zehnjährige Maria aus dem Haus Habsburg einander das Ja-Wort. Immerhin waren beide Kinder in der Kirche anwesend.

      Die andächtige Teilnahme an der Stunden dauernden pompösen Doppelhochzeit lohnte sich für alle Anwesenden. Der Bischof gewährte allen Hochzeitsgästen einen Ablass aller ihrer Sünden. Und zum »Drüberstreuen« wurden mehr als zweihundert Herren zu Rittern geschlagen. Die Rückstellung des Sündenkontos auf Null sollte sich bei den anschließenden Festtafeln und einem »babylonischen Festmahl« inklusive eines Turniers auf dem Hohen Markt als günstig erweisen.

      Sechs Tage lang war Wien im Ausnahmezustand. Kaiser Maximilian und seine Berater nutzten die Zeit zu weiteren Verhandlungen und zum Redigieren der Verträge, die von Schreibern in eine würdige Form gebracht werden mussten.

      Die kleine Königin Anna wurde nach der pompösen Scheinhochzeit von ihrem Vater in die Obhut Maximilians übergeben, der sie gemeinsam mit Maria, der »Ehefrau« von Annas Bruder Ludwig, so lange unter seinen Fittichen halten würde, bis die beiden Ehen tatsächlich vollzogen werden konnten. Die Hochzeitsnacht zwischen Anna und Ferdinand folgte sechs Jahre später in Linz. Die beiden Ehegatten waren damals fünfzehn Jahre alt und mochten einander – keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen und diesen Kreisen. Der höchst intime Akt des ehelichen Beischlafs war eine öffentliche Staatsaffäre. Erst mit dem Vollzug der Ehe wurde diese – zumindest kirchenrechtlich – geschlossen. Anna und Ferdinand fanden Gefallen aneinander. Sie war klug, sprach vier Sprachen und galt als attraktiv. Ferdinand I. trennte sich selbst auf Reisen kaum von seiner Ehefrau. Ein durchaus unübliches Verhalten. Er »entschuldigte« sich dafür mit dem Satz, es sei besser, die Reisespesen für seine Frau zu verwenden als für eine Geliebte. Anna brachte fünfzehn Kinder zur Welt, die das Paar auch noch selbst betreute und erzog, was ein für Herrscherhäuser gänzlich ungewöhnliches Verhalten war. Die Modernität des Paares ging so weit, dass die kaiserlichen Kinder in Innsbruck eine Schule besuchten.

      So wurde posthum die Übereinkunft der beiden benachbarten Herrscher Maximilian und Vladislav vollendet. Sie hatten den Ehepakt bereits im März des Jahres 1506 bei einem Gipfeltreffen in Wiener Neustadt mit Brief und Siegel vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt war Anna gerade mal drei Jahre alt und ihr Bruder Ludwig ein Säugling. Der Vertrag war ein Zeichen erfolgreicher mitteleuropäischer Nachbarschaftspolitik. Der König von Ungarn aus dem Hause der Jagiellonen durfte zu Beginn des 16. Jahrhunderts stattliche Ländereien sein Eigen nennen. Seine Dynastie beherrschte seit drei Jahrhunderten weite Teile Ostmitteleuropas. Seine Macht reichte von der Ostsee bis zur Adria. Die Jagiellonen regierten halb Europa. Im Vergleich zu diesem polnisch-litauischen Geschlecht waren die Habsburger der damaligen Zeit Armutschkerln, fast.

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      Ein alter Kaiser ehelicht stellvertretend für einen seiner Enkel ein Kind. Die Wiener Doppelhochzeit zu St. Stephan ordnet Europa neu und begründet einen Mythos: Tu felix Austria nube!

      Maximilian hatte schon durch seine erste Eheschließung mit Maria von Burgund eine stattliche Mitgift kassiert und die Besitzungen des reichen Burgunds unter die Fittiche des habsburgischen Adlers geholt. Mit der »spanischen Doppelhochzeit« dehnte sich der Einfluss der einstigen Schweizer Grafenfamilie von der Südspitze der spanischen Halbinsel bis an die Nordsee aus. »Bella gerant alii, tu felix Austria nube – Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate. Denn was Mars den anderen gibt, schenkt dir die göttliche Venus.« Diese Abwandlung eines Satzes des Griechen Horaz passte so perfekt, dass er als Leitspruch für das »Haus Habsburg« übernommen wurde.

      Den 59-jährigen König Vladislav II. plagten anno 1515 Sorgen. Seine Gesundheit war angeschlagen. Im Südosten seines Reiches rückten die Osmanen nahe an seine Grenzen heran und bedrohten Ungarn. Im Osten musste sich der Jagiellonen-König gegen Begehrlichkeiten der Moskowiter behaupten, und an der Ostseeküste hatten sich die Ritter des Deutschen Ordens festgesetzt und bedrohten die Macht seines Bruders Sigismund, der Polen regierte. Da schien es für Vladislav II. durchaus sinnvoll, mit dem Habsburger Maximilian in gutem Einvernehmen zu stehen – und mit seinen beiden Kindern Anna und Ludwig eine Verschränkung der beiden Herrscherhäuser zu besiegeln. 1515 war nicht abzusehen, wer von dem Vertrag und der Doppelhochzeit mehr profitieren würde: das Haus Habsburg oder die Jagiellonen?

      Nach dem Tod des Ungarnkönigs Matthias Corvinus, der Wien und den Osten Österreichs besetzt gehalten hatte, konnte Maximilian die österreichischen Erbländer in einer Hand vereinigen und machte alte vertragliche Ansprüche auf Ungarn geltend, die er freilich nicht durchsetzen konnte. Die ungarischen Stände wollten keineswegs von einem starken Habsburger dominiert werden, noch nicht. Sie wählten den – in Prag regierenden – König Vladislav II. zum ungarischen König. Der »letzte Ritter« war nicht nachtragend, weil auch er etwas bekam. Im Frieden von Preßburg 1491 wurde Maximilian als Trostpflaster die formelle Führung des Titels eines Königs von Ungarn zugestanden sowie die Thronfolge in Ungarn, sollte Vladislav, wie zum damaligen Zeitpunkt, kinderlos bleiben.

      Der Jagiellone hatte mit zwei Frauen gleichzeitig den Bund der kaiserliche Berater Bund der Ehe geschlossen, was eigentlich gar nicht ging und daher heikle Rechtsprobleme aufwarf. Der durchaus fromme Vladislav war trotz formaler Bigamie


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