Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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Schlacht von Mohács, bei der ein ungarisches Heer besiegt wurde, belagerte die osmanische Streitmacht das befestigte Wien. Die zahlenmäßig weit überlegenen Angreifer konnten mehrere Breschen in die längst nicht mehr zeitgemäßen Befestigungsanlagen Wiens schlagen. Die Stadtmauern stammten noch aus dem 13. Jahrhundert und waren weitgehend vernachlässigt worden. Trotzdem brachen die Osmanen ihren Feldzug ab. Sie hatten Schwierigkeiten mit dem Nachschub, weil sie die Belagerung zu spät begonnen hatten, und kapitulierten schließlich vor dem schlechten Wiener Herbstwetter – das in der »Kleinen Eiszeit« noch deutlich kühler war als heute. Mit diesem Misserfolg war die Expansion der Osmanen nach Mitteleuropa bis zum Jahr 1683 gestoppt, ehe sie wieder vor Wien auftauchten und den »goldenen Apfel« ein zweites Mal erobern wollten.

      Die Wahl Ferdinands I. zum König von Böhmen und Ungarn mündet aber schließlich in der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie. Die Fundamente für die Vergrößerung der habsburgischen Hausmacht werden unter Kaiser Maximilian I. gelegt: Durch eine strategische Heiratspolitik wachsen dem Haus Habsburg Burgund mit den reichen Niederlanden sowie Spanien, Ungarn und Böhmen zu. Die Familie Habsburg steigt innerhalb weniger Jahrzehnte, und ohne blutige Feldzüge zur Eroberung von Ländern und Staaten zu führen, zur für vier Jahrhunderte bestimmenden Dynastie Europas auf. Die Habsburger begreifen sich schon damals als »Haus Österreich« und verwenden diesen Begriff synonym mit dem »Haus Habsburg«. Es geht um die Familiendynastie und ihre Stärkung durch das Knüpfen eines dichten Netzes verwandtschaftlicher Beziehungen. Da jedoch die Hausmacht des Kaisers ganz wesentlich dessen Einfluss auf die Reichspolitik bestimmt, stärken die Gebietserweiterungen, die ja vor allem auch Einnahmen bringen sollen, die Funktion des römisch-deutschen Kaisers. Dieses Netz aus verwandtschaftlichen Beziehungen legt sich über Europa und mit Karl V. auch darüber hinaus. In dessen Reich ja mit den Besitzungen in Südamerika »die Sonne nie untergeht«.

      Die »Doppelhochzeit« in Wien markiert den Beginn der Weltmachtgeltung einer – wenn auch großen – Familie. Kaiser Maximilian stirbt nur vier Jahre nach seiner stellvertretenden Eheschließung mit der neunjährigen Anna im Stephansdom. Er ist gerade einmal 63 Jahre alt geworden und wird in der Georgskapelle in der Burg von Wiener Neustadt beigesetzt, wie es sein Wunsch war. Die letzten Monate seines Lebens leidet der Kaiser unter Angstvorstellungen. Auf seinen Reisen muss immer sein Sarg mitgeführt werden. Er fürchtet den göttlichen Richterspruch und hat Angst, in die Hölle verdammt zu werden. Maximilian spürt die Notwendigkeit zur Buße. Nach der Letzten Ölung verzichtet er auf alle Titel und verfügt, dass sein Haupthaar geschoren werden soll. Sein toter Leib möge gegeißelt werden, um ihn von aller Schuld zu reinigen. Nach dem Tod tut es nicht mehr weh. Offenbar haben sich in seinem Leben einige Sünden angesammelt, die noch rasch bereut werden müssen.

      1683

      »Never victory of so great importance cost so little blood«

      Wiens Befreiung von der Türkenbelagerung

      Am 12. September 1683 wird zwischen Nußdorf und Ottakring das christliche Abendland gerettet.

      In den frühen Morgenstunden eines wolkenlosen Spätsommertags marschierten von den Höhen des Wienerwalds Zehntausende Berufssoldaten des kaiserlichen Entsatzheeres durch Büsche und Stauden, Hecken und Sträucher, Weingärten und Gehöfte an den Abhängen herab. Es waren Polen, Lothringer, Schwaben, Franken, Salzburger, Bayern, Sachsen und auch ein paar Franzosen und Engländer, die unter der nominellen Führung des polnischen Wahlkönigs Johann III. Sobieski langsam in voller Schlachtordnung gegen das türkische Heer vor Wiens Mauern vorrückten. Bei den kaiserlichen Truppen diente auch ein kleingewachsener Offizier aus Savoyen. Eugenio war erst wenige Tage vor der Befreiung Wiens aus Paris geflüchtet und bot sich an, im kaiserlichen Heer ein Kommando zu übernehmen, weil er – beziehungsweise seine Familie – am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Ungnade gefallen war. Der Großneffe von Kardinal Mazarin und spätere Kriegsheld Eugenio von Savoyen erhielt ein kleines Kommando über vielleicht drei Dutzend Männer. In der Schlachtenchronik wird er nicht weiter erwähnt.

      Auf den beschädigten Wiener Stadtmauern drängten sich am Morgen des 12. September Hunderte Schaulustige. Sie wollten die Entscheidungsschlacht vor den Toren ihrer seit 61 Tagen belagerten Stadt beobachten. Die Morgenröte verhieß einen strahlend schönen Tag, nachdem eine Schlechtwetterfront mit Kälte und Regen abgezogen war.

      Auch der kaiserliche Hofkriegsrat Johann Peter von Vaelckeren ließ sich das Ereignis nicht entgehen: »Kaum hatte die Morgenröte hervorgeblickt, da sahen wir das Gebirge überall voller Volks, welches sich in einer langen und breiten Linie mit beständig geschlossenen Gliedern langsam und allgemach herunterließ und überall einige Stücke vor sich her führte und immerzu auf die unten an dem Berg stehenden Türken losbrannte.« Im osmanischen Kriegstagebuch wird der Angriff des kaiserlichen Entsatzheeres dramatischer beschrieben. Die sich anbahnende Niederlage erfordert als Rechtfertigung vor der Geschichte übermächtige Gegner. »Die Ungläubigen tauchten nun mit ihren Abteilungen auf den Hängen auf wie Gewitterwolken, starrend vor dunkelblauem Erz. Es war, als wälzte sich eine Flut von schwarzem Pech bergab, die alles, was sich ihr gegenüberstellt, erdrückt und verbrennt.«

      Aber auch die Angreifer waren von der türkischen Heeresmacht vor den Basteien und Toren Wiens beeindruckt. Ein französischer Artillerieoffizier verlässt am frühen Morgen das Hauptquartier des Herzogs von Lothringen und erinnert sich in seinen Memoiren: »Welch ein Schauspiel bot sich unseren Augen vom Scheitel dieses Berges dar. Der ungeheure Raum von prächtigen Zelten übersät. Das fürchterliche Gedonner aus den Feuerschlünden der feindlichen Batterien und die erwidernden Schüsse von den Stadtmauern erfüllen die Lüfte.«

      Tatsächlich beschoss die türkische Artillerie auch noch am 12. September die schwer lädierten Stadtmauern und Basteien der Residenzstadt. Großwesir Kara Mustafa befahl nur einige kleinere Kanonen abzuziehen und damit die Straße von Wien nach Klosterneuburg zu sichern. Obwohl die Osmanen seit Wochen über das Anrücken einer Armee informiert waren, blieben sie in den Laufgräben vor Wien und versuchten erst gar nicht, die »Ungläubigen« beim Aufmarsch zu behindern. Nicht einmal die Höhen des Wienerwalds waren von osmanischen Truppen besetzt worden.

      So hatte Kara Mustafa die Schlacht schon verloren, ehe sie begann.

      Die Einheiten des Osmanischen Reichs waren ebenso bunt zusammengewürfelt wie die Armee zur Befreiung Wiens. Ägypter und Syrer sollten an der Seite von Kurden, Bosniern, Herzegowinern, aufständischen (christlichen) Ungarn, Janitscharen und Tartaren kämpfen. Die Kommunikation zwischen den Belagerern verlief holprig. Die Loyalität galt in erster Linie immer dem jeweils eigenen Führer. Die berittenen Tartaren, als Plünderer gefürchtet, machten ohnehin, was sie wollten, und riskierten nicht unnötig Leib und Leben. Im entscheidenden Moment galoppierten sie zwar als wilder Haufen gegen die anrückenden Kaiserlichen, drehten dann aber – ohne einen Pfeil abgefeuert zu haben – ab und verschwanden Richtung ungarischer Tiefebene. Sie verhielten sich so, wie dies der Schlachtplan des Herzogs »Carolus« von Lothringen erwartete. Er hatte bewusst vom Westen her angreifen lassen, damit den türkischen Einheiten ein bequemer Fluchtweg nach Osten offen bliebe.

      Die osmanischen Truppen vor Wien kämpften zwar im Namen und unter den flatternden Bannern Allahs, aber es war keineswegs ein »Religionskrieg«. Nach der monatelangen Belagerung in sommerlicher Hitze waren viele der Söldner nicht mehr sonderlich motiviert. Der Großwesir hatte ihnen reiche Beute in Wien, dem »goldenen (eigentlich: roten) Apfel«, versprochen, aber keine monatelange verlustreiche Belagerung. Die auf dem Kriegszug von Edirne bis Wien geraubte Beute lag in den Zelten, die Hoffnung, Wiens Schätze zu erobern, sank mit jedem Tag.

      Während der Belagerung hatte Wiens Stadtkommandant Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg die Verteidigung der Stadt organisiert. Der 46-jährige Adelige aus oberösterreichischer Familie war das, was man heute einen »Profi« nennen würde: Berufssoldat und der jüngste »Feldzeugmeister« der kaiserlichen Armee. Beim Herannahen des osmanischen Heeres hatte ein gutes Drittel der damals 60 000 Wienerinnen und Wiener die Stadt – buchstäblich – »fluchtartig« verlassen. Auch Kaiser Leopold I. ließ am späten Nachmittag des 8. Juli 1683 den kompletten Hofstaat auf 146 Karossen und Leiterwagen packen und floh aus Wien stromaufwärts zunächst nach Korneuburg, weiter nach Linz und später


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