Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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dennoch mit ersten Skizzen zur Seelenmesse für den unbekannten Auftraggeber. Baron von Nissen, den die Witwe Constanze später ehelichen sollte, schreibt die offizielle Version: »Mit inniger Betrübnis sah seine Gattin seine Gesundheit immer mehr hinschwinden. Als sie eines Tages an einem schönen Herbsttage mit ihm in den Prater fuhr, um ihm Zerstreuung zu verschaffen, und sie Beyde einsam saassen, fing Mozart an vom Tode zu sprechen, und behauptete, dass er das Requiem für sich setze. Dabey standen ihm Thränen in den Augen und als sie ihm den schwarzen Gedanken auszureden suchte, sagte er: ›Nein, nein, ich fühle mich zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiss, man hat mir Gift gegeben! Ich kann mich von diesem Gedanken nicht loswinden.‹«

      Der dänische Baron dekoriert mit seiner Erzählung, die auf Constanzes Überlieferung basiert, bereits die Legende. Ein Genie wird auch durch das posthume Marketing zum Superstar. Constanze verwitwete Mozart hatte jedes finanzielle Interesse, das Werk ihres verblichenen Gatten mit geheimnisvollen Geschichten zu überhöhen und ihren Betrug am wahren Eigentümer des Requiem zu verwischen.

      Die Beschreibung der letzten Tage und Stunden von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Munde seiner Constanze entspricht daher eher einer nachträglich konstruierten Legende als den medizinischen Fakten. Laut Constanze habe der Sterbenskranke noch Stunden vor seinem Hinscheiden an der großen »Seelenmesse« in buchstäblich fieberhaftem Eifer gearbeitet. »Er ließ sich die Partitur des Requiems an sein Bette bringen. ›Hab’ ich es nicht vorher gesagt, dass ich diess Requiem für mich schreibe?‹, so sprach er, und sah noch einmal das Ganze mit nassen Augen aufmerksam durch. Es war der letzte schmerzvolle Blick des Abschiedes von seiner geliebten Kunst.«

      Über Mozarts frühen Tod wird seit Jahrhunderten gerätselt. Die offizielle Todesursache »hitziges Frieselfieber« beschreibt keine konkrete Erkrankung. So bleibt viel Raum für Spekulation: Mozart könnte an den Spätfolgen einer Syphilis, an einem rheumatischen Fieber oder an einem Infekt verstorben sein. Vor wenigen Jahren berichtete der niederländische Forscher Richard H. C. Zegers von der Universität Amsterdam im Fachblatt Annals of Internal Medicine über eine Pharyngitis-Epidemie (also eine eventuell bakterielle Entzündung des Rachenraums), die damals in der Kaiserstadt umging. Bei Durchsicht der Sterberegister aus den Dezembertagen 1791 konnten die Forscher eine deutliche Häufung der Todesfälle durch Rachenentzündung feststellen. Zu dieser Spätdiagnose passen Beschreibungen von Zeitzeugen. Mozart habe über eine starke Schwellung im Hals geklagt sowie an Krämpfen, hohem Fieber und einem Ausschlag gelitten.

      Das durchschnittliche Sterbealter der Wiener lag 1791 bei etwas mehr als 45 Jahren. Mozart starb also kaum 36-jährig vor der Zeit. Bei heutigen medizinischen Standards hätte er zwei, drei Tage Antibiotika genommen und wäre gesund gewesen. So viel zur »guten alten Zeit«. Es ist unvorstellbar, welche Werke ein produktives Genie wie Mozart noch schaffen hätte können, wäre er nur so alt geworden wie der Durchschnitt seiner Zeitgenossen.

      Auszuschließen ist jedenfalls, dass Mozart von seinem Kollegen Antonio Salieri vergiftet wurde. Der angesehene Hofkapellmeister war kein Rivale Mozarts. Es war eher so, dass Mozart nach Salieris wohldotiertem Staatsposten strebte, aber selbst keine Chance sah, den Maestro irgendwann zu beerben. So musste das einstige Wunderkind Neuland betreten. Mozart war einer der ersten freischaffenden Komponisten, die Aufträge ausführten und für das Publikum unter enormem Erfolgsdruck schreiben mussten. Mozart war also – nicht ganz freiwillig – ein früher Pop-Star des Musikgeschäfts am Ende des 18. Jahrhunderts. In die lichten Sphären des Genies wurde der Komponist aber erst in den Jahren nach seinem frühen Tod emporgehoben. Eine Serie von Gedenk- und Gedächtniskonzerten für Mozart mit seinen Werken war durchaus auch pekuniär motiviert und diente dem Lebensunterhalt der Familie. Das Requiem spielte dabei eine wichtige Rolle. Schon beim prunkvollen Begräbnis des deutschen Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock ertönte Mozarts Werk, ebenso wie bei der Trauerfeier für den 1811 verstorbenen anti-napoleonischen »Patrioten« Heinrich Joseph von Collin oder gar bei der Totenfeier für die preußische Königinnenwitwe. Mit dem Requiem entschwand der Mensch Mozart langsam im Mythos und wurde zum österreichischen Nationalkomponisten. Auf keinen anderen Künstler, der in diesem Land gewirkt hat, sind die Österreicherinnen und Österreicher heute stolzer als auf ihren »Wolferl«.

      Sein letztes Werk hatte freilich einen gravierenden Fehler. Das Requiem blieb unvollendet. Generationen von Musikwissenschaftlern haben seither geforscht, welche Teile der Seelenmesse tatsächlich von Mozart stammen und welche Teile nach seinem Tod von seinen Schülern und Mitarbeitern ergänzt und »nachgeschaffen« wurden. Die ersten fünf Takte des »Lacrimosa« sind jedenfalls Mozarts letzte handschriftlich gesetzten Töne auf Erden.

      Die trauernde Witwe Constanze machte sich mit großer Energie daran, das Requiem vollenden zu lassen. Schließlich hatte sie, respektive ihr verblichener Mann, bereits die Anzahlung kassiert, die Constanze ungern rückerstatten wollte. So bekamen zunächst Joseph Eybler, später Franz Xaver Süßmayr den Auftrag, die bestellte und bezahlte Seelenmesse fertigzustellen. Süßmayr wird dabei auf Skizzen und Ideen Mozarts zurückgegriffen haben. Constanze berichtete, sie habe am Schreibtisch ihres Gatten »Trümmer« und »Zettelchen«, also wohl musikalische Ideenskizzen gefunden. »Endlich ließ sich Süßmayer herbey, das angefangene große Werk zu vollenden, und bekennt in den Briefen an die Musikhandlung in Leipzig, ›daß er noch bey Lebzeiten Mozarts, die schon in Musik gesetzten Stücke gesungen und sich mit ihm über die Ausarbeitung dieses Werkes sehr oft besprochen und ihm den Gang und die Gründe seiner Instrumentierung mit getheilt hat‹.« Süßmayr hatte sich als Schüler Mozarts auch dessen Handschrift weitgehend angeeignet und schrieb in den Monaten nach Mozarts Tod die sogenannte »Ablieferungspartitur«. Es ist jenes Werk, das dem Grafen von Walsegg übergeben wurde. Der Nachlass-Komponist fälschte auch Mozarts Unterschrift und signierte die Partitur mit »di me W. A. Mozart mppr. 1792«.

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      Mozarts letzte fünf Takte auf Erden. Vor seinem Tod setzte der Komponist die ersten Noten für das »Lacrimosa« seines Requiem. Es blieb unvollendet und geheimnisumrankt. »

      Franz von Walsegg fälschte die Fälschung noch einmal. Er schrieb, wie es seine – eher schrullige – Angewohnheit war, die Noten in eigener Handschrift ab und bezeichnete sich als Schöpfer des Requiem. Dies sollte sich wenig später als eher peinlich entpuppen. »Weil sich aber in der Umgegend von Stuppach nicht alle dazu geeigneten Musiker aufbringen ließen, so wurde veranstaltet, daß die erste Aufführung des Requiem in Wiener Neustadt geschehen sollte. Am 12. Dezember 1793 wurde Abends auf dem Chore in der Cisterzienser-Stiftspfarrkirche zu Wiener-Neustadt die Probe, und am 14. Dezember um 10 Uhr ein Seelenamt in der nämlichen Kirche abgehalten, wobey dieses berühmte Requiem zum ersten Male, zu seinem bestimmten Zwecke, aufgeführt wurde.«

      Mozarts Originalschrift blieb in der »Arbeitspartitur« erhalten, die mehreren Komponisten als Vorlage für ihre Vervollständigung dienten. Beide Partituren fanden schon im 19. Jahrhundert ihren Weg in die k. u. k. Hofbibliothek, wo es als »opus summum viri summi« sorgfältig gehütet wird. Mozarts Requiem fasziniert nicht nur durch die geheimnisvolle Entstehungsgeschichte. Es steht an einem musikgeschichtlichen Wendepunkt: War bis dahin die Totenmesse ausschließlich ein Werk des liturgischen Gebrauchs, so fand sie im 19. Jahrhundert mehr und mehr ihren Platz in den Konzertsälen. Und das gesamte Werk Mozarts ist sowieso eine Sternstunde der Musik.

      1797

      »Die Vernunft wird Gesetz«

      Josef II. und seine Reformen – das Westgalizische Gesetzbuch

      »Die Partei der Ignoranz ist immer ohne Vergleich die Stärkere, kein Wunder also, dass sie auch noch die Oberhand behält.« Karl Anton Freiherr von Martini schreibt die eher bittere Erkenntnis in einem Brief an seinen Freund Josef Anton Riegger im Jahre 1777, also zwölf Jahre vor Beginn der Französischen Revolution, die Europas feudales System schwer erschüttern sollte. Im Josefinischen Wien hat sich zur Zeit der Aufklärung eine Gruppe von bemerkenswerten Männern zusammengefunden: Joseph von Sonnenfels, Karl Egon Fürst zu Fürstenberg, Gottfried Freiherr van Swieten, Franz Martin Pelzel und der Naturrechtsgelehrte Karl Anton Freiherr von Martini. Die gelehrten Herren sind von einem Gedanken beseelt: der Vernunft zum Sieg zu verhelfen,


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