Sternstunden Österreichs. Gerhard Jelinek

Sternstunden Österreichs - Gerhard Jelinek


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blood.« Und der polnische König notiert nur den knappen Satz: »Die Schlacht gewonnen.«

      1793

      »Gewiss, man hat mir Gift gegeben!«

      Mozarts Requiem erklingt erstmals

      Gutes Essen nährt den Mann. Ignaz Jahn hat es gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Wien zu einigem Wohlstand gebracht. Der »Hoftraiteur« unterhält ein gut gehendes Restaurant in der Himmelpfortgasse 6 und richtet oberhalb seiner Gaststätte einen Konzertsaal ein, der sich binnen weniger Jahre prächtig entwickelt. Mangels Musik aus der Konserve sind die der Unterhaltung nicht abgeneigten Wienerinnen und Wiener auf »Live«-Musik angewiesen. Der Hofkoch engagiert für seinen »Jahn’schen Saal« durchwegs prominente Musiker. Wolfgang Gottlieb (»Amadeus«) Mozart etwa bringt hier persönlich ein Klavierkonzert in B-Dur und seine Bearbeitung des Oratoriums Acis und Galatea von Georg Friedrich Händel der besseren Wiener Gesellschaft zu Gehör. Nicht unähnlich der heutigen Situation können Musiker, die nicht im Solde von Fürsten und Mäzenen stehen, nur mit Auftritten und dem Verkauf ihrer Partituren die zum Leben notwendigen Gulden verdienen. Urheberrechte und Tantiemen sind anno dazumal unbekannt. Geld brauchte der spielsüchtige »Wolferl« immer. Der gebürtige Salzburger ist in jenen Tagen ein bekannter Mann in der kaiserlichen Residenzstadt. Mit den beiden Opern Die Zauberflöte und Don Giovanni hat der Komponist den endgültigen Durchbruch geschafft. Sein Auftreten als »Wunderkind« war eher ein europäisches, aber kein spezifisch Wienerisches Ereignis. Mozart erreicht zu Lebzeiten keineswegs das Renommee eines Joseph Haydn, der die Nummer eins in Wien war und blieb.

      Am 3. Jänner 1793 ist der Jahn’sche Konzertsaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Im Publikum wird auch Hofkapellmeister Antonio Salieri gesehen. Dreizehn Monate nach Mozarts Tod lässt der vermögende Freiherr Gottfried Bernhard van Swieten Mozarts letztes Werk, das geheimnisumwitterte Requiem, in einer ersten Fassung nur wenige Meter vom Sterbehaus entfernt aufführen. Van Swieten hat eine gemeinnützige Vereinigung, die »Gesellschaft der Assoziierten Cavaliere«, gegründet und reichlich Geld von adeligen Musikliebhabern für die Aufführung von Mozarts letztem Werk gesammelt. Der trauernden Witwe konnte Gottfried Van Swieten etwa 500 Golddukaten übergeben, ein Vermögen. Der Sohn von Maria Theresias Leibarzt hat sich für den Kaiser in diplomatischen Diensten bewährt und genießt als Chef der »Bildungs- und Zensurkommission« standesgemäßes Ansehen. Van Swieten ist ein gebildeter Musikliebhaber und Förderer der Größen seiner Zeit. Seine eigenen Kompositionsversuche erreichen freilich nie das Niveau seiner Protegés: Haydn, Mozart und Beethoven. »Steif« seien seine Kompositionen, spottet Joseph Haydn über seinen Gönner. Van Swieten kann sein musikalisches Talent selbst recht realistisch einschätzen, und so lädt der kunstverliebte Diplomat lieber allsonntäglich zur Hausmusik.

      Wolfgang Amadeus Mozart war regelmäßiger Gast und teilte bald Van Swietens Begeisterung für barocke Formen. Der Adelige erwies sich als echter Freund Mozarts und kümmerte sich auch nach dessen Tod um das Fortkommen der Familie.

      Die Erstaufführung des Requiem sollte ein zeitgenössischer »Charity-Event« für Mozarts Witwe werden, die mit der Tondichtung schon in den Wochen und Monaten nach dem Tod ihres »Wolferls« nicht ganz saubere Geschäfte gemacht hat. Denn der von ihr betriebene Verkauf von Kopien des Werks ist illegal. Das Requiem gehört der Witwe längst nicht mehr. Die wohlgesetzten Töne des gewaltigen Werks hat der 28-jährige Graf Franz von Walsegg bestellt, bezahlt und Wochen nach Mozarts Tod auch geliefert bekommen. Das Requiem ist sein Eigentum. Der Gipsfabrikant hat die Partitur über einen Wiener Rechtsanwalt als Mittelsmann gegen eine stattliche Anzahlung von 50 Gulden gekauft. Das letzte Werk Mozarts ist eine wohl dotierte Auftragsarbeit für den kunstsinnigen Grafen, der auf seinem Schloss Stuppach bei Gloggnitz regelmäßig musizieren lässt.

      Mozarts Requiem sollte eine posthume Liebesgabe an die früh verstorbene Gräfin Anna von Walsegg sein. Sie war im Februar 1791 – kaum zwanzig Jahre alt – verschieden. Der verwitwete Graf sollte später in die Mythenbildung rund um Mozarts Requiem als geheimnisvoller, schattenhafter Auftraggeber eingehen. Er war aber im Gegensatz zur filmischen Überlieferung (Amadeus, Regie: Miloš Forman, 1984) ein lebensfroher, musikbegeisterter junger Mann, der seine Zeit und Muße dank eines florierenden Baustoffhandels der holden Kunst widmen konnte. Graf Franz von Walsegg ließ sich von zahlreichen Komponisten seiner Zeit Werke liefern, pflegte sie dann eigenhändig zu kopieren und seinen Musikern vorzulegen. Es freute ihn, wenn das Publikum auf Schloss Stuppach – wohl auch, um ihm einen Gefallen zu tun – annahm, er selbst habe die kleineren und größeren Meisterwerke komponiert. Angesichts seines großzügigen Mäzenatentums stieß sich niemand an den Schummeleien, die ja nicht ausdrücklich als Betrug angelegt waren. Der Graf hatte seine Freude, die Musiker ihr Auskommen, und die feinere Gesellschaft diesseits des Semmerings ihre sonntägliche Unterhaltung. Das stattliche Anwesen war unter der Grafschaft von Walsegg im 18. Jahrhundert weithin als »Musikschloss« bekannt.

      Die Entstehungsgeschichte des Requiem ist keineswegs so geheimnisumwittert, wie sie in späteren Jahrhunderten dargestellt wurde. Schon Mozarts erster – zeitgenössischer – Biograf Franz Xaver Niemetschek zitiert Constanze Mozart: »Kurz vor der Krönungszeit des Kaisers Leopold, bevor noch Mozart den Befehl erhielt, nach Prag zu reisen, wurde ihm ein Brief ohne Unterschrift von einem unbekannten Bothen übergeben, der nebst mehreren schmeichelhaften Aeusserungen die Anfrage enthielt, ob Mozart eine Seelenmesse zu schreiben übernehmen wollte? Und um welchen Preis und binnen welcher Zeit er sie liefern könnte?«

      Wolfgang »Gottlieb« Mozart erzählt seiner Gattin vom Angebot. Sie redet ihm zu, den Auftrag anzunehmen, obwohl der Komponist bis über beide Ohren beschäftigt ist. Der gebürtige Salzburger ist gerade nach Prag bestellt worden, um zur Krönung des Habsburgers Leopold II. zum König von Böhmen eine passende Oper zu verfassen. Es entsteht in wenigen Wochen La clemenza di Tito als feudales Auftragswerk. Am Vorabend der Französischen Revolution erzählt Mozart die Geschichte eines barmherzigen Fürsten. Die Premiere in Prag wird zum akklamierten Erfolg, obwohl ihm das Libretto posthum Kritik und Häme wegen seiner wenig revolutionären Einstellung einträgt. Politisch korrekte Zeitgenossen gibt es wohl zu jeder Zeit.

      Parallel dazu arbeitet Mozart an der Zauberflöte, die er dem Wiener Theater-Impressario Schikaneder für sein Volkstheater in der Wiedner Vorstadt versprochen hat. Bis zum Juli dieses Jahres war die Zauberflöte bis auf Ouvertüre und »Priestermarsch« fertiggestellt. Dann kam La Clemenza di Tito dazwischen. In nur 18 Tagen will Mozart die »Krönungsoper« mithilfe seines Freundes und Schülers Süßmayr komponiert haben. Der Maestro kann es sich im Winter 1791 gar nicht leisten, üppig dotierte Auftragsarbeiten abzulehnen. Er hat Schulden und muss für die ausgedehnten Kuraufenthalte seiner Constanze in Baden bei Wien und seine Spielleidenschaft immer wieder tief in den Geldbeutel greifen.

      Er schreibt also dem unbekannten Besteller, der sich vom Wiener Hof- und Gerichts-Advokaten Dr. Johann Sortschan vertreten lässt, er würde das Requiem »für eine gewisse Belohnung verfertigen«. Ein Kompositionsauftrag in einem kirchenmusikalischen Genre kommt Mozart in diesen Tagen sehr gelegen. Der Freimaurer in steten Geldnöten versucht 1791 eine Anstellung im Dienste der katholischen Kirche zu erhalten. Im April hat er sich als »Gehilfe« des Domkapellmeisters zu St. Stephan schon in Stellung für eine allfällige Nachfolge gebracht. Der »Adjunkt«-Posten ist zwar nicht dotiert, verheißt aber die Aussicht auf den mit 2000 Dukaten gut bezahlten Posten eines Domkapellmeisters.

      Das Salzburger Intelligenzblatt vom 7. Januar 1792 zeigte sich schon fünf Wochen nach Mozarts Tod über die Begleitumstände des Handels wohl informiert: »In kurzer Zeit erschien derselbe Bothe wieder, brachte nicht nur die bedungene Belohnung mit, sondern noch das Versprechen, da er in dem Preise so billig gewesen sey, bey der Absendung des Werkes eine beträchtliche Zugabe zu erhalten. Er solle übrigens nach der Stimmung und Laune seines Geistes schreiben, sich aber gar keine Mühe geben, den Besteller zu erfahren, indem es gewiß vergeblich seyn würde.«

      Nach der erfolgreichen Premiere der Zauberflöte, die Mozart selbst dirigiert – wie ein knappes Dutzend Repertoire-Vorstellungen auch –, macht sich der Komponist im Oktober 1791 an das Requiem. »Wolferl« ist schon unpässlich. Die wiederholten Erkrankungen haben ihn depressiv gemacht. Der Komponist war nie vor Gesundheit strotzend. Schon als Kind litt er wiederholt


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