Ein Traummann zum Vernaschen. Katinka Uhlenbrock
seid ekelhaft!«, behauptete ich trotzdem.
»Nein, noch nicht – schaffen wir aber heute Abend noch«, meinte Anja, die schon ein wenig verwuschelt wirkte. Wie Annie Lennox nach einem Hurrican, dachte ich verwirrt und nahm leicht überfordert den Sekt, den sie mir entgegen hielt und Sekunden später auch den Blutwurz von Rike.
»Warte«, befahl Rike. »Feuerzeug!«
»Ich rauche nicht«, informierte ich. Auch wenn mir inzwischen der Kopf qualmte.
Ihre gerunzelte Stirn veranlasste mich, in der Schublade zu kramen und zu meiner eigenen Überraschung besaß ich vier Feuerzeuge. Eines davon funktionierte sogar. Ein Geburtstagswunder.
Ich reichte es meiner Freundin und sah zu, wie sie mein Getränk anzündete. »Und jetzt nicht das Falsche trinken«, riet sie und prostete mir mit Flöte zu. Ich kippte den Sekt auf ex, sah zu, wie die anderen es mir gleich taten, löschte gleichzeitig mit ihnen den kleinen Brand und trank auch den heißen Schnaps.
»Wow.« Ich hustete. »Wie viel Umdrehungen hat denn das Zeug?«
»Genug.« Rike lachte. Sie arbeitete nebenbei in meiner Lieblingsbar und saß dort direkt an der Alkohol-Quelle. Ab und zu mixten sie und ihr Chef Mario sogar selbst Kreationen wie Himbeergeist (sie nannten ihn Himbeerbooh und auf der Flasche befand sich ein himbeerfarbener Geist, dessen Fröhlichkeit mich jedes Mal davon abhielt, das »Booh« zu trinken) oder eben Lakritzschnaps (keine Ahnung, wie sie den nannten, nach dem zweiten war ich immer zu betrunken, um nachzufragen).
»Und jetzt Absinth!«, verlangte Lucy.
»Ihr seid …« Ich verstummte und überlegte, welches Adjektiv oder welche Beschreibung angebracht war, um die drei Verrückten in meiner Wohnung zu beschreiben.
»Die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann?«, riet Anja. Ich nickte sicherheitshalber, da sie irgendwo in meinem Küchenchaos das Nudelholz gefunden hatte und immer noch in der Hand hielt.
Immerhin war es nicht nötig, mich damit zu einem weiteren neuen und absolut unbekannten Getränk zu nötigen.
»Himmel, Herrgott und eins«, keuchte ich nach dem freiwillig geschluckten Absinth. »Ich glaube, der Alkohol ist schon in meiner Blutbahn.«
»Gut, dann fangen wir an!«, befahl Lucy.
»Womit?« Ich hatte jetzt schon das Gefühl, alle Farben in meiner Küche hätten an Intensität zugenommen. Kleine Noten tanzten durch die Luft und sogar die Wahrnehmungsfähigkeit von Gerüchen schien sich nicht mehr bloß auf meine Nase zu beschränken. Beinahe eine bewusstseinserweiternde Erfahrung.
Benommen sah ich mich um und stellte fest, dass sich alle anderen deutlich schneller bewegten als ich. Auf jeden Fall hielt Lucy plötzlich einen Zettel in der Hand und allein Gott wusste, wo sie auf einmal den Stift hergezaubert hatte, der noch vor Sekunden nicht dagewesen war. Ich schwöre!
»Optik!«, befahl Lucy.
»Was?«, blaffte ich, in einem Versuch ihren geistigen Sprüngen zu folgen und ihr wenigstens eine verbale Erklärung abringen zu können.
»Raus aus meiner Freundin, Frau Mayer«, verlangte Lucy.
»Was?« Ich blinzelte, konnte jedoch keinen Zusammenhang zwischen mir und Lucys Worten finden, was hatte ihr Satz mit meinem »Was?« zu tun und … »Oh!«
»Was?«, kicherten die drei unisono, als sich auf meinem Gesicht anscheinend langsam die Erkenntnis abzuzeichnen schien.
»Wie bitte?«, korrigierte ich mich höflich. »Wessen Optik?«
»Na, die von deinem Traummann«, erklärte Lucy, als sei das das Selbstverständlichste der Welt. »Den backen wir nämlich jetzt!«
Rike schwenkte eine Backmischung.
»Ist eine Spezialanfertigung.«
»Sieht aber aus wie bei Amazon bestellt!«, meinte ich skeptisch.
»Nein, ist absolut einmalig!«, bestätigte Anja. »Haben wir von einer Hexe.«
Ich kicherte, weil mein Blick ungewollt zu Rike glitt und dann ein zweites Mal, da mir ein weiterer Gedanke kam.
»Frau Mayer stellt Backmischungen her?« Ich konnte es nicht fassen. Die nette alte Frau Mayer.
»Quatsch!«, maulte Lucy. Genervt davon, dass ich mich ablenken ließ. »Wir haben die Adresse von einer Freundin bekommen, und der Hexe haben wir ein Foto von dir geben müssen und eine Charakterliste und einige Details zu deinem Leben.«
»Intime Details?«, hakte ich entsetzt nach.
»Natürlich nur die sexistischen.« Lucy grinste freundschaftlich-gehässig.
»Dann ist ja gut!«, behauptete ich. »Dann passt ja wenigstens auch der Traummann zu meinem Charakter.«
»Komisch! Das hat die Hexe auch gesagt«, nickte Anja und fuhr mit den Fingern durch die braune Annie-Lennox-Frisur, was für noch mehr Haarchaos auf ihrem Kopf sorgte. Nur mühsam gelang es mir, mich nicht ablenken zu lassen, sondern bei der Hexe, dem Traummann und meinem Charakter zu bleiben.
Super. So weit war es also schon mit mir gekommen. Ich war notgeiler Single, dabei mir einen eigenen Traummann zu backen und bekam Zustimmung von Hexen. Als nächstes würde ich dann wohl meine Seele für einen anständigen Fick verkaufen.
»Und? Wie back ich ihn?«, erkundigte ich mich. »In Teilen? Erst den Kopf oder erst das beste Stück?«
Ich formte einen schönen, großen Penis in der Luft und erntete ein belustigtes Kichern.
»Und da soll mal einer sagen, es käme nicht auf die Größe an«, kommentierte Lucy trocken.
»Alles Lüge!«, stimmte ich zu. Zu meiner Überraschung schluckte Lucy und meinte dann: »Uh! So genau hatte ich das eigentlich gar nicht wissen wollen.«
»Ha …!«, verkündete Rike, die sich einen Spaß daraus machte, unappetitlich-sexistisch-erotische Fakten zu sammeln: Wieder ein Punkt für »99 Dinge, die ich nicht über Sex hatte wissen wollen – aber gezwungen wurde zu erfahren.«
»Bitte?«, hakte ich nach.
»Na, ist doch ganz klar!«, erklärte Rike. »Meine Freundinnen haben nur aus einem einzigen Grund Doppelbetten. Weil sie billiger sind!«
»Genau!« Ich verdrehte die Augen. »Und an Gänseblümchen denken hilft gegen sexuelle Gelüste.«
»Ihr kennt doch den Film American Pie, oder?«, meinte Lucy unschuldig und lockte das Niveau noch ein wenig tiefer.
Aber ich würde es nicht, nie und niemals mit einem Stück Kuchen treiben, egal, wie lecker er roch!
Ich vertrieb meinen unanständigen Gedanken an körperwarmen Teig mit einem weiteren Schluck Sekt und hoffte, dass sich meine Libido geschlagen gab.
»Du backst in einem Stück«, befahl Lucy resolut und kramte die Form des Mannes aus der Packung.
»Super!« Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. »Wächst der auch noch?«
Ich schielte auf das einzige Teil, was mich im Moment wirklich interessierte. Zwei Monate Abstinenz hatten schließlich Spuren hinterlassen. Außerdem war ich kein Kind von Traurigkeit, bin ich nie gewesen. Ich hielt Sex für einen wichtigen Bestandteil des Lebens. Nicht nur in der Werbung oder in Frauenzeitschriften. – Nein, in echt. Ich fand Sex toll!
Dazu kam, dass ich nie verstanden habe, warum andere Frauen immer von der großen Liebe sprachen, oder davon, dass sie Sex nur mit Männern »die was bedeuten« hatten. Sex ist geil. Punkt. Da muss man doch nicht lange drüber diskutieren, oder sich rechtfertigen, oder?
Und warum sollen sich nur Männer so ungezwungen amüsieren dürfen? Und Frauen werden gleich als Schlampe tituliert?
Egal, was soll’s? Dann bin ich halt die freundliche, verfickte