Martin Luther King. Klaus Dieter Härtel

Martin Luther King - Klaus Dieter Härtel


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täglich aus den schwarzen Vierteln ab. Obwohl manche weiße Frau eine Befürworterin der Segregation war, schätzte sie ihre Hausangestellten und unterstützte somit ungewollt den Boykott.

      Aus Montgomery und anderen Städten und Staaten der USA kamen Spenden von Weißen und Schwarzen. Oft waren Briefe beigefügt. Ihr Inhalt gab den Führern des Boykotts Zuspruch und Trost. So schrieb z.B. eine ältere Dame aus Pennsylvania: „Ihr Werk … ist ganz hervorragend und steht in der Geschichte unseres Landes einzig da … Man wünschte ihm einen großen Erfolg … ‚Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.‘“7

      Aber nicht nur in den Vereinigten Staaten nahm man Anteil am Busboykott in Montgomery. Aus aller Welt kamen die Zeichen der Verbundenheit. Viele Menschen in Asien und Europa, in Afrika und Australien unterstützten die Schwarzen Montgomerys mit ihren Gebeten und Gaben.

      Der Weg zur Gewaltlosigkeit

      Der Mann, der bei dem Busboykott in Montgomery und in den nachfolgenden Jahren immer stärker die entscheidende, führende Rolle übernehmen sollte, war der junge Pfarrer der Dexter Avenue Baptist Church, Dr. Martin Luther King.

      Am 15. Januar 1929 war er in Atlanta in Georgia als Sohn des Baptistenpfarrers Martin Luther King sen. und einer Lehrerin geboren. Aus Bewunderung für den deutschen Reformator, den er als „Urtypus eines Kämpfers für Freiheit und Recht“ ansah, hatte ihm sein Vater diese Vornamen gegeben. Ursprünglich wollte der kleine Martin Feuerwehrmann werden. Vielleicht auch Arzt oder Anwalt, um Menschen zu helfen.

      Soweit sich Martin Luther King erinnern konnte, hatte er sich stets über die Segregation, die Rassentrennung, geärgert. Als kleines Kind war er täglich mit zwei gleichaltrigen weißen Spielgefährten zusammen gewesen. Eines Tages jedoch, als er seine Freunde wieder abholen wollte, hieß es, sie könnten nicht mit Martin spielen. Das wiederholte sich.

      Als Martin seine Mutter nach dem Grund fragte, kam der Moment, an dem sie ihm von der Rassentrennung erzählen musste. Sie berichtete von der Sklaverei und vom Bürgerkrieg. Das System der Südstaaten, das getrennte Schulen, Hotels, Gasthäuser und die Schilder für Weiße und Schwarze an den Bänken, Trinkbrunnen und Wartezimmern kannte, entschuldigte sie mit dem Hinweis auf bestimmte soziale Verhältnisse und Missstände. Sie tröstete den kleinen Jungen: „Du bist ebenso gut wie jeder andere.“ Damit waren die Fragen nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit aufgetaucht, die Fragen, die bohrten, quälten und schmerzten. Martins Vater hatte die Gemeinheit der Rassentrennung als Sohn eines kleinen Farmpächters am eigenen Leibe erfahren müssen. Martin Luther King erinnerte sich immer wieder an jene Szene: Als kleiner Junge hatte er mit seinem Vater ein Schuhgeschäft aufgesucht. Die beiden hatten sich auf die ersten leeren Stühle gesetzt. Da erschien ein weißer Angestellter und forderte sie auf, die hinteren Plätze einzunehmen. Als sich der Vater weigerte, teilte ihm der Verkäufer mit, dass er ihn dann nicht bedienen könne, worauf der Vater zornig und immer wieder vor sich hinmurmelnd: „Ich werde dieses System nie anerkennen“ das Geschäft verließ. Als Pfarrer der Ebenezer Baptist Church in Atlanta übte er großen Einfluss auf die Schwarzen aus und wurde sogar von den Weißen respektiert.

      Martins Mutter dagegen war als Tochter eines bekannten und erfolgreichen Pfarrers in einem gewissen Wohlstand aufgewachsen. Sie konnte sehr gute Schulen und Colleges besuchen und hatte als junges Mädchen die strenge, absolute Form der Rassentrennung nie erfahren.

      Martin Luther King erinnerte sich lebhaft an jenen Augenblick, als er das erste Mal in einem Speisewagen hinter einem Vorhang saß – getrennt von den Weißen. Er bekam das Gefühl einer unendlichen Einsamkeit, als wäre der Vorhang auf sein Selbstbewusstsein heruntergelassen worden. Es wurde ihm klar, dass man als Schwarzer nicht abseits dieser Problematik stehen konnte. „Ich wollte kein Zuschauer sein; ich wollte dort stehen, dort mittun, wo die Dinge sich entscheiden.“

      Er hatte als junger Mensch gesehen, wie der Ku-Klux-Klan nachts aufgetaucht war und die Schwarzen in Furcht und Schrecken versetzte. Er erlebte, wie die Polizei in brutaler, roher Weise gegen Schwarze vorging und die Gerichte offene Ungerechtigkeiten zum Recht erklärten. Er kannte Städte und Dörfer, in denen Schwarze gelyncht und grausam gemartert worden waren, und er schrieb einmal: „Es wäre beinahe dahin gekommen, dass ich alle Weißen gehasst hätte.“8

      Mit siebzehn Jahren arbeitete er zwei Sommer lang in einer Plantage, die von Weißen und Schwarzen in Ordnung gehalten wurde. Dabei erfuhr er, dass arme Weiße ebenso ungerecht behandelt wurden wie Schwarze. So machte er die wichtige Erfahrung, dass rassische Ungerechtigkeiten vieles gemein hatten mit ökonomischen Ungerechtigkeiten. Er verstand nun viel besser die wirtschaftliche Armut der Familien seiner Spielgefährten, die oft nicht das notwendige Existenzminimum besaßen.

      Als Student im Morehouse College las er 1944 Thoreaus „Essay über den zivilen Ungehorsam“. Dabei begeisterte ihn der Gedanke, dass man sich mit allen Kräften weigern soll, ein böses System zu unterstützen. Erstmalig kam er durch die Lektüre dieser Schrift mit den Gedanken des gewaltlosen Widerstandes in Berührung.

      Als er 1948 ins Crozer Theological Seminary eintrat, begann er intensiv zu forschen und zu suchen, wie man soziale Missstände sinnvoll bekämpfen könne. Zwar interessierte er sich sehr für Philosophie und Theologie und studierte vor allem die großen Philosophen Plato, Aristoteles, Rousseau, Hobbes, Mill und Locke, aber einen unauslöschlichen Eindruck machte Rauschenbuschs „Christianity and the Social Crisis“ auf ihn. Er las diese Schrift sehr kritisch und fand die schwachen und gefährlichen Stellen bald heraus. Er betonte aber immer wieder, dass er bei Rauschenbusch gelernt habe, dass sich das Evangelium mit dem ganzen Menschen befasst. Es kümmert sich nicht nur um die Seele, sondern auch um den Körper, und es interessiert sich nicht nur für das geistige und geistliche, sondern auch für das materielle Wohl. King erkannte, dass das Überbewerten und Herausheben der einen oder anderen Seite die Gefahr in sich birgt, das Evangelium zu vereinfachen oder sogar zu verfälschen.

      Schon immer hatte den jungen Studenten das Phänomen des Kommunismus interessiert. Deshalb las er in den Weihnachtsferien 1949 „Das Kapital“ und „Das kommunistische Manifest“ von Karl Marx sowie erläuternde Werke über Marx und Lenin.

      Vieles faszinierte ihn. Allerdings konnte er sich mit der materialistischen Schau und Interpretation der Geschichte nicht einverstanden erklären. Er, der Pfarrerssohn und Student der Theologie, glaubte, dass es in diesem Universum eine persönliche, schöpferische Macht gibt, die man mit materialistischen Begriffen weder erklären noch ad absurdum führen kann. Er glaubte an Gott und stellte fest, dass im Kommunismus für ihn kein Platz vorhanden ist. Daher gibt es für den Kommunisten keine absolute ethische und moralische Ordnung. Für den Kommunismus sind Gewalt und Brutalität, Macht, Lüge und Mord gerechtfertigt, wenn sie für das Ziel der klassenlosen Gesellschaft eingesetzt werden. Der Einzelne, der Individualist, gilt nichts, der Staat ist alles. Gewiss räumt der Kommunist ein, dass der Staat nichts Endgültiges, Verbindliches ist. Er ist das vorletzte Ziel auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Aber diese philosophische Lehre des Relativismus konnte King nicht akzeptieren. Für den Christen King ist der Mensch ein „Ziel“, er ist kein Zufallsprodukt, sondern Geschöpf Gottes. Niemals kann der Mensch das Mittel zum Zweck sein, oder er verleugnet seine gottgeschenkte Einmaligkeit.

      Allerdings erkannte King, dass der Kommunismus die Christen sehr bedrängend nach der sozialen Gerechtigkeit fragt und herausfordert. Wenn es theologisch richtig ist, dass diese Erde Gottes Eigentum ist und dass Gott sich auch seiner Gegner und härtesten Widersacher bedient, dann ist es ganz sicher auch ein „Verdienst“ des Kommunismus, dass heute in der Kirche wieder intensiv Matthäus 25 gelesen wird:

      „Dann wird der Herrscher denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, ihr, die mein Vater gesegnet hat! Nehmt den Anteil an der himmlischen Herrschaft, der für euch vorgesehen ist, seit der Grund dieser Welt gelegt wurde! Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mich getränkt. Ich war in der Fremde, und ihr habt mich aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich besucht. Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden die zur Rechten ihn verwundert fragen: Herr, wann sahen wir dich hungrig und haben dich


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