Kleine Wunder. ROTE NASEN Clowndoctors International

Kleine Wunder - ROTE NASEN Clowndoctors International


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Wir hören ein leises Wimmern, das zu den verängstigten Augen gehört. Dazu ein kleiner, ziemlich dünner, auf jeden Fall kraftloser Körper.

      Wir stehen in der Tür und versuchen unser leisestes »Hallo«. Lotte: Hallo. Ich: Hallo. Wir bemerken, es ist ein Hallo zu viel. Lotte schreitet deshalb zurück aus dem Raum und ich bleibe. Jetzt ist es gut. Nun – sagen wir: Es ist ruhig. Gut ist anders. Vor allem, wenn ich hier ohne meine Partnerin stehe. Wir beginnen ein kleines Spiel: Lotte kommt wieder – sie geht wieder, ich hole sie zurück – sie verschwindet wieder hinter der Schiebetür. Das Spiel bestätigt uns noch einmal, dass der kleine Mann heute nur die Wirkung von einem von uns verträgt. Und das bin ich.

      Ich weiß nicht, wer in dem Moment zaghafter ist. Der kleine Mann, weil jedes »Zuviel« und »Zulaut« ihn erdrücken würde – oder ich, weil ich den vorsichtig gewebten Faden von Neugier und Akzeptanz um keinen Preis zerreißen möchte. Dann wage ich mit mehr Mut eine Annäherung. Ein paar gezupfte Töne auf der Ukulele. Ein Lied. Und große Augen. Und ein Lächeln. Momente großer Nähe zwischen Mama, Bruder und Kind. Ich bin im Hintergrund und das ist gut so:

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      Die letzten Töne des Liedes verklingen und ich weiß nun, dass ich mich für eine Verabschiedung nähern kann. Es ist noch eine rote Nase da. Aber wir brauchen noch eine zweite – für den älteren Bruder, der mir sicher mit einem Zauberspruch helfen kann. Kann er nicht. Oh.

      Da ertönt aus dem zittrigen Körper, zu dem nun glänzende Augen gehören, ein inbrünstig hinausgeflüstertes SIMAAALAAAASI. Ein großes Staunen beim Erblicken seiner hervorgezauberten zweiten Schaumstoffnase. Ein großes Staunen bei uns allen anderen. Und dann gibt er mir noch ein kaum spürbares »High Five« und wirbelt mich so durch die Luft. Und lacht. Viel.

      Ich verlasse das Zimmer und suche Lotte auf der Station. Sie ist weg. Ich komme wieder an dem Zimmer des Buben vorbei und sehe sie bei der offenen Tür stehen. Alle reden und kichern. Und ich spüre eine erfrischende Leichtigkeit aus dem Zimmer strömen. Für eine Weile bleibt sie bestimmt.

      Kleiner großer Erfolg

      Jutta Pichler

      Zwei Clowns klopfen an die Tür zur logopädischen Abteilung auf der HNO-Station. Dort sind wir oft sehr willkommen.

      Heute ist ein circa 45-jähriger Mann im Zimmer, der nach einen Unfall mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma mutistisch ist. Das heißt, dass er nicht sprechen kann und seine Kommunikation sehr eingeschränkt ist. Blinzeln oder Kopfwenden sind vorerst die einzigen Kontaktmöglichkeiten mit der Außenwelt.

      Die Logopädin und ein Physiotherapeut arbeiten gemeinsam mit ihm vor einem Spiegel. Auf ihre Aufforderung hin betreten wir ruhig, mit langsamen Bewegungen und einem deutlichen »Guten Tag« den Raum. Ganz zart und leise begrüßen wir uns gegenseitig.

      Bei dem Übergabegespräch mit dem Pflegepersonal haben wir erfahren, dass dieser Patient bei Forstarbeiten im Wald einen Unfall hatte. Spontan fällt mir das Lied »Ein Männlein steht im Walde« ein. Mit Gitarrenbegleitung singen wir zweistimmig und sind ganz dem Patienten zugewandt. Sogar beim Aufschreiben dieser Erlebnisse kommen mir die Tränen, denn ganz langsam wendet er sich mit seinem Blick an uns und scheint ganz bei der Sache zu sein. Die Logopädin gibt uns und ihrem Kollegen zu verstehen, wie besonders diese Reaktion ist, und wir sind mittendrin in diesem kleinen Wunder.

      Später erklärt uns die Logopädin, was das Besondere an dieser Begegnung für sie war: Noch nie zuvor hat der Patient so offensichtlich reagiert. Seit Langem schon üben sie gemeinsam, wieder schlucken zu lernen. Das ist ein sehr schwieriger Prozess und unser Lied hat dieses Schlucken ganz entspannt hervorgezaubert.

      Wir sind zutiefst berührt und freuen uns, diesen Moment erlebt zu haben.

      Rückkehr zu Max

      Martina Haslhofer

      Ich hatte noch nicht lange als Clown für ROTE NASEN gearbeitet, als ich den kleinen Max zum ersten Mal besuchte. Es war ein tragischer Autounfall gewesen, der den Fünfjährigen auf die Intensivstation gebracht hatte. Er hatte sich von der Hand seiner Mutter losgerissen und war auf die Straße gelaufen. Ein vorbeifahrendes Auto konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. In diesen wenigen Augenblicken sollte sich das ganze Leben des fröhlichen Jungen ändern.

      Max hatte gerade eben überlebt, er erlitt schwerste Verletzungen und musste dauerhaft an ein Beatmungsgerät angeschlossen sein. So wurde die Intensivstation zu einer Art zweitem Zuhause für ihn und seine Familie, die ständig zwischen dem Krankenhaus und ihrem Wohnort in einem anderen Bundesland hin und her pendelte.

      Ich durfte diesen besonderen kleinen Buben zweimal pro Woche treffen. Er konnte kaum sprechen, aber freute sich auf die regelmäßigen Besuche meiner Kollegen und mir. Der kleine Max begann mehr und mehr, mit uns Clowns seinen Spaß zu haben. Seine Reaktionen auf unsere komischen Darbietungen überstiegen unsere Erwartungen bei Weitem. Besonders großen Spaß machte es ihm, wenn er uns Angst einjagen konnte, und das war ein Kinderspiel, denn Clowns können ganz große Angsthasen sein.

      Max wünschte sich immer häufiger, dass wir länger bei ihm blieben, also dehnten wir unsere Besuche aus und verbrachten mehr Zeit an seinem Bett. Aber irgendwann kam er immer: der Moment, an dem wir uns verabschieden mussten. Für Max war es nicht genug, zu versprechen, dass wir wiederkommen würden. Das Abschiednehmen wurde von Besuch zu Besuch schwieriger. Max wurde dabei oft richtig wütend.

      Als er schließlich eine Sprechkanüle bekam, fiel es ihm leichter, sich zu artikulieren. Eines Tages sagte er uns zum Abschied ernst: »Wenn ihr jetzt geht, dann braucht ihr nie wieder zu kommen.« In diesen Worten kamen all die aufgestauten Gefühle des kleinen Jungen zum Ausdruck: die Wut, die Hilflosigkeit, dem Schicksal ausgeliefert zu sein. Wir konnten Max sehr gut verstehen, aber wir konnten nicht für immer bleiben. Wir mussten ihn verlassen und wussten nicht, ob wir ihn wiedersehen würden.

      Die Situation ging mir sehr nahe und belastete mich stark. Es war ein verwirrendes Durcheinander der Gefühle, mit dem ich konfrontiert war. Ich war total erschöpft und kämpfte damit, wie schwer es mir fiel, Max zu verlassen. Für einen Spitalsclown ist es aber ein wichtiger Lernprozess, gerade solche Gefühle zu akzeptieren und zu verarbeiten.

      Bei unserem nächsten Besuch wollte uns Max doch wieder sehen, aber er war immer noch sehr verärgert. Wir konnten ihn etwas besänftigen, aber als wir erneut »Auf Wiedersehen« sagten, wollte er nicht akzeptieren, dass wir gehen mussten. So rangen wir einige Wochen lang miteinander und erlebten zusammen alle emotionalen Höhen und Tiefen.

      Dann gab es einen Lichtblick! Max war endlich stabil genug, um das Krankenhaus zu verlassen. Seine Mutter hatte eine intensive Schulung absolviert und konnte sich nun zu Hause um ihn kümmern. Max und seine Familie konnten ihr Leben außerhalb der Intensivstation fortsetzen.

      In der nächsten Zeit dachte ich viel an Max und erkundigte mich, wenn ich in dem Krankenhaus war, in dem er so viel Zeit verbracht hatte, wie es ihm ging. Alle Neuigkeiten, die ich über ihn hörte, waren gut. Zu Hause war alles in Ordnung, er konnte nun sein wie jedes andere Kind in seinem Alter …

      Bis sich eines Tages alles veränderte. Max starb. Die Nachricht löste Chaos in mir aus. Es schien absurd. Er hatte so lange ums Überleben gekämpft und den Kampf scheinbar gewonnen. Und dann, als endlich alles in Ordnung schien, wandte sich das Schicksal und alles war zu Ende. Ich weinte sehr um ihn, bestimmt auch, weil wir so viel miteinander durchgemacht hatten.

      Sein Grab befindet sich auf meinem Weg vom Bahnhof zum Krankenhaus, und wenn ich für einen Clownbesuch dort bin, gehe ich immer wieder auf den Friedhof und besuche ihn. Er ist immer noch der fünfjährige Max, der sagte: »Wenn ihr jetzt geht, braucht ihr nicht wiederzukommen.« Aber wir beide wissen, dass ich wiederkommen werde!

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      Musik verbindet

      Christina


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