Kleine Wunder. ROTE NASEN Clowndoctors International
an diesem Dienstagnachmittag. Wir besuchen eine Familie aus dem Kongo in einem Krankenhaus in Innsbruck. Ihr 15-jähriger Sohn Hasan hat eine schwere Kopfverletzung erlitten, niemand spricht Deutsch. Wir sollen es halt probieren, meinte ein Pfleger zuvor beim Übergabegespräch.
Als wir die Schiebetüren zum Zimmer öffnen, sind wir mehr als überrascht. Wie in einem kleinen Boot sitzen die Eltern und vier Brüder des Patienten eng zusammengedrängt in einem Bett. Hasan liegt verkabelt und fest zugedeckt im anderen. Eine große Familie starrt uns skeptisch an. Wahrscheinlich haben die sieben noch nie in ihrem Leben einen Clown gesehen. Geschweige denn zwei Clowndoctors.
Clownin Herta und ich schauen uns an – schauen in die Gesichter der anwesenden Personen – schauen uns wieder an. So geht das eine ganze Weile. Sehen – verstehen – reagieren. Ein altes und bewährtes Clowngesetz.
Und dann geben wir Gas. Wir wollen der Familie ein Lied schenken, ein afrikanisches Lied. Wir legen los und bemühen uns redlich. Und scheitern. Keine Reaktion. Also probieren wir ein anderes Lied. Unser Einsatz zeigt eine erste Wirkung. Die Kinder reagieren. Es kommt Leben in die anfangs erstarrten Körper. Die Eltern lächeln. Also noch ein Lied. Eines haben wir noch.
Es ist ein kleines Wunder, welcher Verlass auf das Körpergedächtnis ist. Vor Jahren haben wir uns in einer Clownfortbildung mit afrikanischen Liedern beschäftigt. Jetzt ist es Zeit, sie wieder auszupacken. Beim dritten Lied beginnen die Familienmitglieder, ein wenig mitzuklatschen. Der Bann ist gebrochen.
Wir stellen uns vor, begrüßen alle und fragen nach den Namen. Der Vater stellt uns seine Söhne vor, fünf Buben. Sein Stolz ist unüberhörbar. Die Namen sind für unsere Ohren schwierig. Herta bringt alles durcheinander. Ich versuche alles richtig zu machen und die Jungs persönlich zu begrüßen. Farad, Haluk, Cem, Mohamed. Wer ist wer?
Es wird ein Chaos. Ein schönes Chaos. Die Mutter lacht Tränen. Die Buben haben ihren Spaß, weil wir uns gegenseitig aus dem Konzept bringen. Bei Hasan entschuldigen wir uns permanent für die Störung. Er ist großzügig mit uns. Der eigentliche Chef des Zimmers eben!
Als wir eine große Zauberei ankündigen und mithilfe der Kinder rote Nasen aus Seifenblasen erscheinen lassen, kommt Leben in die sehr braven Kinder. Der Höhepunkt. Jetzt sollten wir wieder gehen – doch irgendetwas hält uns zurück. Für mich sind es die unglaublich tiefen Blicke der besonderen Menschen hier.
Und dann geschieht das Unglaubliche: Alle sieben singen für Herta und mich ein afrikanisches Lied. Original. Die Buben sitzen und stehen inzwischen am Bett des kranken Bruders. Wie die Sängerknaben. Die Eltern unterstützen sie. Zaghaft, aber stolz. Die roten Nasen sind aufgesetzt.
Dass wir so direkt, so unvermittelt und so viel zurückbekommen, damit haben wir nicht gerechnet. Mit einem riesigen Glücksgefühl im Herzen tragen wir an diesem Tag eine besondere Energie in alle weiteren Zimmer und zehren selbst noch lange davon.
Einmal im Leben – Daniel entdeckt die Liebe
Karola Sakotnik
Daniel war ein kleiner Junge, ungefähr acht Jahre alt. Er hatte viel Zeit seines jungen Lebens im Krankenhaus verbracht. Das war nicht leicht für seine Eltern. Sie konnten nur sehr schwer mit seiner Krankheit, einer zystischen Fibrose, umgehen. Wenn er zu Hause war, war er daher oft allein, saß allein in seinem Zimmer und sah fern. Eines Tages lief ein furchtbarer Horrorfilm mit einem maskierten Clown. Seither hatte Daniel große Angst vor Clowns.
Daniel gefiel es im Krankenhaus. Die Krankenschwestern und Pfleger waren seine Freunde, ihm war nicht langweilig und es war immer jemand da. Aber eines Tages veränderte sich seine Welt. Clowns kamen zu Besuch auf seine Station. Daniel schrie bei unserem Anblick verzweifelt auf, zu Tode erschreckt. Er war davon überzeugt, dass jetzt die gute Zeit, die er im Krankenhaus gehabt hatte, für immer vorbei war.
Wir verstanden seine Reaktion nicht. Was war mit dem armen Jungen los? Die Krankenschwester stürmte direkt auf uns zu. Äußerlich ruhig, aber bestimmt zog sie uns aus seinem Blickfeld: »Es tut mir leid, dass ich es Ihnen nicht gesagt habe – er hat riesige Angst vor Clowns.« Und sie erzählte uns von dem Film. Nun war uns klar, warum er sich so verhalten hatte.
Wir nahmen unsere roten Nasen ab und versuchten, wieder in Daniels Zimmer zu gehen. Die Krankenschwester begleitete uns. Sie nahm Daniel in den Arm und bat uns stillzustehen. Dann kamen sie langsam auf uns zu. Da standen nun zwei Clowns, ohne ihre roten Nasen, und fühlten sich vollkommen nackt. Wir waren ein bisschen eingeschüchtert. Dann begannen wir zu improvisieren und zu singen, um die Situation zu beruhigen.
Daniel wollte nicht näher kommen, aber er hörte auf zu weinen. Jede Woche kamen wir wieder. Nach sechs Wochen sagte Daniel der Schwester, dass wir näher kommen sollten, er wollte uns berühren. Wir waren aufgeregt. Ich, Dr. Plurbs, fing an zu zittern, als er näher kam, immer noch in den Armen seiner Krankenschwester. Er beruhigte mich mit leiser Stimme, lächelte mich an und sagte mir, dass nichts passieren würde, während er meinen Arm berührte.
Das war der Beginn einer engen Freundschaft, die eines Tages in einem Heiratsantrag gipfelte. Da ich dreißig Jahre älter war als er, sagte ich ihm, dass er noch zu jung sei, aber ich musste versprechen, dass ich warten würde, bis er achtzehn sei. Er erreichte dieses Alter nicht, aber ich erinnere mich in Liebe an meinen Fast-Ehemann.
Hauptsache, es ist möglich
Markus Rupert
Dass es ein besonderer Einsatz werden würde, war mir schon bei der Anfahrt in der stickigen und überfüllten Straßenbahn klar. Als Treffpunkt mit meiner Clown- und Schauspielkollegin hatten wir die Haltestelle der Straßenbahn ausgemacht. Ich war froh, als ich aussteigen durfte, eine frische Brise wehte mir ins Gesicht, als meine Kollegin kam. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs.
In der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie angekommen, wurden wir vom Pflegepersonal genauestens über den Zustand der kleinen Patientinnen und Patienten aufgeklärt, und in diesem Moment dachte ich mir: »Wie soll das gehen?«
Die familiären Situationen beziehungsweise der Alltag, in dem diese Kinder aufwachsen, scheinen nicht viel Platz für Spaß oder Humor zu lassen. All diese Krankheitsbilder, die zum überwiegenden Teil keine organischen oder körperlichen Ursachen haben, sondern vielmehr in den äußerst schwierigen sozialen und familiären Lebensumständen wurzeln, kamen mir wie eine unüberwindbare Mauer vor.
Vielleicht wäre es für mich besser gewesen, wenn ich diese Übergabe schon im Kostüm, schon als Clown Harald gemacht hätte, denn nach dem Umziehen sah die Welt ganz anders aus. Für mein Alter Ego Harald existierte keine Mauer und auch kein ach so schwieriger Lebensumstand. Er konnte gemeinsam mit Clownin Lisl Ribisl einfach drauflos marschieren und jedes einzelne Kind und jeden Jugendlichen besuchen, ihnen offen begegnen, so wie sie eben sind. Dieses Nicht-Bewerten macht für mich den Zauber unserer Arbeit in den Spitälern aus und diese Haltung wurde auch bei unserem Einsatz belohnt: mit der herzlichen Offenheit der Kinder und Jugendlichen.
So begann ein etwa achtjähriger Bub spontan mit uns Kinderlieder zu singen, obwohl er uns bei der Übergabe als äußerst schwierig beschrieben wurde. Er brachte uns sogar bei, wie man ein Dampfschiff aus Papier falten kann, was für manchen Clown schon eine sehr große Herausforderung sein kann. Dabei saßen wir zu dritt am Tisch in seinem Zimmer und er erklärte uns Schritt für Schritt, mit geduldiger und freudiger Mine das Schiffleinfalten, kurz, wir hatten eine schöne Zeit mit ihm und von Schwierigkeiten gab es keine Spur.
Mit einem anderen, älteren Jungen, mit dem die Kommunikation schwierig sein sollte, weil er gerne viele Schimpfwörter verwende und sein Gegenüber nicht ernst nehme, hatten wir eine Schattenboxpartie. Dabei bewegten wir uns ganz langsam in Zeitlupe, nach ganz klaren Regeln, die er nicht nur einhielt, sondern auch einforderte, als Harald versuchte, ein ganz kleines bisschen zu schwindeln. Dafür wurde er natürlich ordentlich geschimpft. Und aus dem Geschimpfe machten meine Clownkollegin Lisl und ich einen Rap mit seiner wortreichen Unterstützung.