Rom, Träume. Maike Albath
soll ich Dir von mir erzählen?«, heißt es in einem Brief vom 14. Juli 1938. »Das Leben ist natürlich nicht so, wie ich dachte, und ich bin dessen etwas müde. In A. bin ich immer noch verliebt. Er hat mich gern, aber flüchtet ab und zu in möglichst weit entfernte Länder. Er sagt, wir müssten uns trennen, um mich dann wieder zu bitten, auf keinen Fall auseinanderzugehen, etc.« Allein käme sie auf der Welt nicht zurecht, gibt sie unumwunden zu. »Ich weiß nicht, wie ich es Dir erklären soll«, schildert sie die Beziehung in einem anderen Brief, »aber ich würde ihm gern wunderschöne Worte sagen, eine kraftvolle Musik, die ihm zeigen könnte, welches die wahren Schönheiten des Lebens und der Welt sind. Stattdessen sehe ich ihn in dieser Art Untergrund herumlungern, wo er sich aufregt, Schläge austeilt, sich langweilt, so sehr ich mich auch anstrenge, ihn da rauszuholen.« Elsa Morante hatte eine theatralische Art, ihre Beziehungen zu gestalten, und daran sollte sie ihr gesamtes Leben lang festhalten. Trotz ihrer starken Emotionalität besaß sie aber einen sehr genauen Blick für den Charakter ihres Freundes. »Vielleicht schicke ich Dir diesen Brief nicht«, heißt es 1938 in einem Entwurf, von dem man nicht weiß, ob Moravia ihn bekam. »Denn dieser Brief ist viel zu wahr, und außerdem bist Du so sehr von Eindrücken abhängig. Du bist wie Wasser, das sich immerzu bewegt und sich von jeder Sache, die es berührt, aufwühlen lässt, und ich habe derartig große Angst vor Dir und Deinen jeweils neuen Gedanken, dass ich nie zur Ruhe komme.« In einem anderen Entwurf aus derselben Zeit analysiert sie das eigene Verhalten: »Einer meiner schlimmsten Gewissensbisse, der schlimmste von allen, ist der, dass ich für Dich nicht das sein kann, was ich gern wäre. Ich weiß, dass ich voller Flatterhaftigkeit bin, voller körperlicher, unklarer Dinge, und vielleicht sind diese Dinge, die für Dich Geheimnisse sind, die es gar nicht gibt, einfach nur Schatten meines Charakters. Aber ich wünschte mir, dass Du hinter diese Dinge schautest, so wie ich mich auch danach sehne, Dir nah zu sein. Ich wäre Dir gern sehr nahe. Du müsstest es bemerken und würdest nicht dauernd vor mir wegrennen, wie Du es bisher tatest. Ich wäre gern etwas Gutes für Dich, und dafür würde ich sogar auf mich verzichten und auf alles, was mich angeht.« Es sind Verschmelzungsphantasien einen sehr jungen Frau, die nach einem Gleichgewicht sucht.
Elsa litt, wenn sich Moravia entzog, mutete ihrem englischen Ex-Geliebten Richard, mit dessen unwahrscheinlichen Kapriolen sie sich 1936 vor Moravia gebrüstet hatte, aber kurze Zeit später dasselbe Spiel zu. Im Frühling 1940 flammte die alte Leidenschaft zu dem Briten wieder auf. Richard T. M. stammte aus einer alteingesessenen englischen Familie und war vermutlich im diplomatischen Dienst tätig, auch wenn sich seine Identität nie endgültig klären ließ. Am 30. Mai schrieb er ihr in eigenwilligem Italienisch aus Rapallo: »My dearest, tiny, birdie, kleine Verlobte, meine über alles geliebte Elsie, ich nenne Dich immer noch mein, mein, auch wenn alle so sprechen, dass ich begreifen muss, dass Du nicht mehr so wie früher für mich bist. Indem sie verschleierte Dinge sagen, glauben sie, es mir begreiflich zu machen, genau wie Du. Aber ich kenne Dich besser als Du Dich selbst und als sie! (…) Du bist wie früher, Du bist mein.« Im Abstand von wenigen Tagen folgten weitere briefliche Liebesschwüre und Heiratsangebote, vor allem begann Richard, auf Moravia einzudreschen, Elsas Duce, wie er ihn nannte. »Jetzt sprechen wir über Signor M.«, heißt es am 7. Juni. »Bis gestern war er Dein großer Liebhaber und Mann. Heute, wer weiß aus welcher neuen Laune Deines lügnerischen Wesens heraus, ist er gar nichts mehr! Er war nie bei Dir zu Hause! Es war nur eine geistige Freundschaft! In dieser reinen Freundschaft wurde der Geist aber sehr beleidigt! Ich habe Dir schon gestern gesagt, wo Dein Geist steckt. Sein Geist steckt nur in seinen Figuren, für die er selbst das beste Beispiel ist. Wenn es so wäre, müsste er ihnen gegenüber Abneigung empfinden und nicht die Lust, sie dauernd zu besingen (?). Er ist ein Dichter (wie Du sagst) Eurer faschistischen Gesellschaft, also ist seine Muse faschistisch, und er selbst ist ebenfalls ein wahrer Faschist und Schüler des Duce! Wie andere Italiener (Chefs) betrachtet er dessen Gesellschaft als der Beachtung würdig. Es wäre besser, sich stattdessen mit anderem zu beschäftigen und das, was schlecht geworden ist und ins Meer geworfen werden wird, den Duce, Graf Ciano und diesen anderen Dichter D’Annunzio, verrotten zu lassen! Dein Dichter ist die Rückseite von D’Annunzio, sein Zwilling. Beide sind ein Unglück für ein Volk, der derzeitige Krieg resultiert aus Gedichten dieser Art. Aber vielleicht messe ich ihm zu viel Bedeutung bei. Du, mein armes Vögelchen, verstehst von alldem gar nichts. Du sitzt im Café und bewunderst Deinen Dichter wer weiß wie sehr, und er lässt sich in seiner Freizeit bewundern als Ausgleich für eine verfehlte Diktatur (seine eigene, meine ich). Du lobst seine tadellose, höfliche Haltung und betrachtest Dich als menschlichen und künstlerischen Geist. Das ist Deine Einbildung. Du kümmerst ihn gar nicht.« So geht es noch seitenlang weiter. Moravia hatte in der Tat einige unterwürfige Briefe mit der Bitte um Unterstützung seiner Auslandsreisen an das Kulturministerium geschickt und auch bei Graf Ciano, Mussolinis Schwiegersohn, wegen seiner zensierten Bücher vorgesprochen. Er war ehrgeizig, wollte präsent sein und veröffentlichte auch in faschistischen Zeitungen. Wie viele Vertreter der Kultur lavierte er herum und suchte nach Nischen. Wegen seiner jüdischen Herkunft, die man ihm in einigen Rezensionen vorgeworfen hatte, und der Ermordung seiner antifaschistischen Cousins Rosselli hielt er lieber still. Am 8. Juni folgte ein weiterer, dramatischer Brief von Richard. Der Kriegseintritt Italiens stand kurz bevor, und Richard wusste, dass er das Land würde verlassen müssen. Er wollte Elsa mitnehmen.
Aber sie blieb in Rom. Ein knappes Jahr später, am ersten Montag nach Ostern, dem 14. April 1941, stand sie mit Alberto Moravia vor ihrem Beichtvater in der Chiesa del Gesù und ließ sich trauen. Elsa war achtundzwanzig Jahre alt, Moravia dreiunddreißig. Unter den Trauzeugen waren der Maler Capogrossi, durch den sie sich kennengelernt hatten, und der Verleger Longanesi. Der Zweite Weltkrieg war im vollen Gange, und Moravia erinnerte sich, dass die Freunde über die Kämpfe an der russischen Front sprachen. »Elsa wollte die Hochzeit, denn sie war sehr gläubig. Ihr Beichtvater war Padre Venturi, der Jesuit, der mit Mussolini über das Konkordat verhandelt hatte. Ich bin nicht gläubig, hatte mich aber einverstanden erklärt, um Elsa einen Gefallen zu tun. Elsa blieb religiös, aber ich glaube nicht, dass sie praktizierende Katholikin ist. Sie ist sehr christlich, in einem modernen Sinne. Für sie ist das Evangelium das wichtigste Buch.« Noch am Hochzeitstag stritt Elsa mit ihrer frisch gekürten Schwiegermutter und mied in Zukunft den Kontakt. Angewiesen auf Unterstützung waren sie und Moravia dennoch. Sie bezogen eine kleine Mansarden-Wohnung der Familie in der Via Sgambati mit einem schönen Blick über den Park der Villa Borghese, flüchteten oft nach Capri und quartierten sich in zwei Zimmern beim ehemaligen Bürgermeister von Anacapri ein, wo sie manchmal über Monate ausharrten. Auf Fotos sieht man Alberto Moravia immer vollständig bekleidet mit Leinenhosen, kurzärmeligem Hemd und unbeweglichen Gesichtszügen, während Elsa Morante, einen Sonnenhut auf dem Kopf, im Bikini neben ihm steht. Moravia war ein systematischer Arbeiter, stand früh auf, schrieb ein paar Stunden und ging dann zur Badestelle an der Piccola Marina hinunter. Unbeirrbar produzierte er Tag für Tag Textmassen, Romanseiten, Artikel, Kolumnen, Reiseberichte, bis ins hohe Alter. Damals entstand seine Novelle Agostino, neben den Römischen Erzählungen eines seiner schönsten Bücher. Elsa Morante schrieb schubweise, manchmal über Monate gar nicht, dann Tag und Nacht. Sie begann gerade mit der Arbeit an ihrem ersten Roman, der in Süditalien spielen und Lüge und Zauberei heißen sollte. »Ich war nicht verliebt, aber von dem Extremen, Qualvollen und Leidenschaftlichen in ihrem Charakter fasziniert. So haben wir in einer Atmosphäre aggressiver Leidenschaft bei ihr und defensiver Zuneigung bei mir fünfundzwanzig Jahre gelebt«, erklärte Moravia später. Auf Capri gaben sie sich als Exzentriker. Elsa führte einen Siamkater an der Leine spazieren, Moravia trug eine Eule auf der Schulter. Er bekam wieder Probleme mit der Zensur, ein neuer Roman war beschlagnahmt worden, und nun erteilte man ihm Schreibverbot. Moravia schlug sich mit Drehbüchern durch. In einem der römischen Salons lief er 1939 dem jungen Regisseur Luchino Visconti über den Weg, der ihm anbot, am Skript von Ossessione (1943) mitzuarbeiten, was Moravia sofort annahm. Visconti sah blendend aus, besaß eine Villa mit Swimmingpool, war immer von einem Hofstaat umgeben und erinnerte Moravia an eine Figur auf einem Renaissancegemälde. Der großzügige, gastfreundliche Mailänder gefiel ihm, und sie wurden Freunde. Im Film hinterließ Moravia allerdings bis auf einen Wortwechsel keine Spuren, sein Name wurde wegen der Rassengesetze im Abspann ohnehin nie genannt.
Als im Juli 1943 der Faschismus zusammenbrach und Mussolini gefangen genommen wurde, waren Alberto Moravia und Elsa Morante in Rom. Malaparte beschwor die beiden, wieder nach Capri zurückzukehren,