Rom, Träume. Maike Albath

Rom, Träume - Maike Albath


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»ist der, mein Geburtsdatum nicht zu nennen. Nicht weil ich ein bestimmtes Alter einem anderen vorzöge, sondern weil ich gern alterslos wäre. Und dieses Mal gönne ich mir diese Freude.« Den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte Elsa in der Via Amerigo Vespucci 41, wo heute eine Gedenktafel angebracht ist. Im Hof gibt es immer noch einen Kindergarten, eine Initiative, die aus der Not kurz nach dem Bezug der Häuser rührte, als die berufstätigen Mütter nicht wussten, wohin mit ihren Kindern. Elsas Mutter Irma kam aus einer jüdischen Familie und war Lehrerin in der gerade eröffneten Grundschule um die Ecke, der Vater Augusto Morante arbeitete als Erzieher in der Jugendstrafanstalt Aristide Gabelli an der Porta Portese, auf der anderen Seite des Tibers. Es gab drei jüngere Geschwister; ein älterer Bruder war verstorben. Die Mutter hatte viel für Literatur übrig, neigte aber zu Nervenzusammenbrüchen und schloss sich manchmal stundenlang im Schlafzimmer ein. Ihren Mann Augusto behandelte sie wie einen Aussätzigen: Er nahm seine Mahlzeiten allein ein, schlief der Legende nach im Keller und wurde vom Familienleben ausgeschlossen. Schon als Kind musste Elsa die Beziehung der Eltern merkwürdig vorgekommen sein, ebenso wie die regelmäßigen Besuche eines sogenannten sizilianischen »Onkels« Francesco Lo Monaco. Er war der leibliche Vater Elsas und aller Geschwister. In den vier großen Romanen und zahlreichen Erzählungen Morantes bilden archaische Familienverhältnisse, uneheliche Kinder und undurchsichtige Beziehungen zwischen den Angehörigen den Glutkern. Die Neigung zu Tabus, Geheimnissen, manipulativen Strategien und untergründigen erotischen Bindungen hat sie ihr Leben lang beschäftigt.

      Was den Bildungsanspruch angehe, habe ihre Familie zum Bürgertum gehört, beschrieb Elsa Morante ihre Herkunft, wegen ihrer Armut seien sie der Unterschicht näher gewesen. Sie litt unter Anämie, und als eines Tages ihre wohlhabende Patentante auftauchte, glänzend verheiratet und Besitzerin einer Villa mit Garten hinter der Via Nomentana am anderen Ende der Stadt, nahm diese das Kind kurzerhand in ihre Obhut. Die sechsjährige Elsa blieb über sechs Monate bei der Tante, kehrte auch in späteren Jahren häufig für längere Zeit zurück und war vor allem vom Kleiderschrank ihrer Cousine beeindruckt. »Auf diese Weise habe ich mit armen Kindern gespielt, die auf Abwege gekommen waren, und mit großbürgerlichen. Daraus habe ich mir die Meinung gebildet (die vielleicht falsch ist, aber ich pflege sie bis heute), dass man Menschen nicht nach sozialen oder moralischen Kriterien bewerten sollte, sondern nach Zuneigung. In der Tat – die Soziologen mögen dies bewerten – war mir unter meinen Altersgenossen ein Junge am unangenehmsten, Sohn eines Majordomus, der mich zwang, Benzin zu trinken, während ich einen kleinen Apulier aus der Strafanstalt Gabelli am liebsten mochte: Er war wirklich die Anmut und Ehrlichkeit in Person, und ich frage mich, auf was für eine Art von Abwegen er gekommen sein sollte.« Im Grundschulalter begann Elsa, Geschichten und Gedichte für Kinder zu verfassen, die sogar veröffentlicht und entlohnt wurden. »Es stimmt, dass ich als Kind gern ein Junge gewesen wäre«, erklärte sie später in einem Interview, »denn unter den Jungen stieß ich auf größere Abenteuerlust, auf die Neigung zum Heldenhaften oder sogar zum Unmöglichen, worauf man unter kleinen Mädchen selten trifft, denn der weibliche Charakter ist praktischer veranlagt als der männliche.« Schreiben wurde zu einer Möglichkeit, die Rollen zu wechseln, und mit fünfzehn verlagerte sich Elsa auf Erzählungen für Erwachsene. »Ich war achtzehn, als ich die Schule beendete und von meiner Familie wegging, um das Leben kennenzulernen. Und tatsächlich habe ich es kennengelernt.« 1930 in Rom eine ungewöhnliche Entscheidung für eine junge Frau.

      Mit seinen elegant geschnittenen Flanellhosen, dem Tweedjackett und den Wildlederschuhen muss Alberto Moravia sehr etabliert gewirkt haben. Seiner kräftigen Statur sah man die vielen Jahre im Sanatorium nicht an, im Gegenteil, er strahlte etwas Vitales aus. Nur ein leichtes Hinken verriet die frühere Erkrankung. Obwohl er in seinen Romanen mit dem Bürgertum scharf ins Gericht ging, entsprach er rein äußerlich den Vorgaben seiner gesellschaftlichen Schicht. Die Rechnungen beim Schneider übernahm selbstverständlich der Vater, sonst hielt er den Sohn, der plötzlich berühmt geworden war, eher kurz. Fünfhundert Lire im Monat, schließlich wohnte er noch zu Hause. Elsa Morante saß ihm im November 1936 eines Abends in der Bierkneipe Dreher gegenüber; sie war im Schlepptau des Malers Capogrossi dort aufgetaucht. Ihre Familie? Spielte keine Rolle. Geld hatte sie kaum welches. Mittlerweile belieferte sie die Comiczeitschrift Corriere dei piccoli, die Kinderbeilage des Corriere, mit Geschichten. Eine weitere Einkommensquelle waren Doktorarbeiten, die sie unter der Hand für verzweifelte Examenskandidaten schrieb. Freimütig erzählte sie dem erfolgreichen Kollegen, der für große Tageszeitungen bis nach Indien gereist war, von ihren komplizierten Beziehungen: Sie habe einen englischen Geliebten namens Richard, der allerdings homosexuell sei und vor ihren Augen seinen Liebhaber ermordet habe. Bis auf Richard war fast alles komplett erfunden, aber Moravia fiel darauf herein. Als er ein Jahr später aus China zurückkehrte und sie sich wieder über den Weg liefen, ließ sie ihm einen Schlüssel von ihrer Wohnung am Corso Umberto da.

      Alberto wohnte weiter in der Via Donizetti, bei seinen Eltern. Von der Verbindung mit Elsa Morante wussten sie nichts. Oder taten zumindest so. Im Frühjahr fuhren Alberto und Elsa nach Capri, wo alles billiger war, und mieteten sich bei einer Witwe in Anacapri ein. An warmen Tagen konnte man schon baden. Sie schrieben und lasen, trafen den Schriftsteller und Journalisten Curzio Malaparte, der ein Grundstück direkt am Meer erworben hatte und ein Haus bauen wollte. Dann folgten Monate in Rom. Am 17. Februar 1938 heißt es in Elsa Morantes Tagebuch: »Bis sieben Uhr wachgelegen. Ich hatte zu viel Alkohol und Kaffee getrunken, zu viele Leute gesehen. Immerzu Angst und Beklommenheit, ab und zu die Hoffnung, aus ›Via dell’Angelo‹ [eine Erzählung, M. A.] etwas Schönes zu machen. (…) Als es Morgen wird, höre ich die Geräusche der Autos, die Glocken. Mir ist, als erwachte ich in einer fremden Stadt, wo niemand dich kennt und die vom Regen beinahe erstickten Laute fern klingen und die Verlorenheit und Einsamkeit noch vergrößern. Ist mir diese Stadt, in der ich geboren wurde, nicht in Wirklichkeit fremd? Wen gibt es dort für mich? Niemand denkt wirklich an mich, niemandem kann ich mich anvertrauen, nur eines verlangen sie, dass ich amüsant bin, und voriges Jahr diese grässliche Geschichte mit G. M. – A. liebt mich nur, wenn ich fliehe, aber ich kann nicht fliehen, ich habe kein Geld. Er ist berühmt und reich, in wenigen Tagen fährt er nach Paris. Außerdem ist er immer verschlossen und düster. Er wird nach Paris fahren, um seinen gegenwärtigen Triumph zu feiern, und ich? Eine schreckliche Einsamkeit, ich stürze ab. Genug. (…) Ich werde es nicht aushalten können, dass er nach Paris fährt. Was tun? Ich habe keine Lira. Ich möchte auch verreisen. Aber wohin? Meine Schönheit wirkt noch jugendlich, aber wie kann ich sie festhalten? Alter und Tod machen mir Angst.« Rivalität bestimmte die Beziehung, obwohl Elsa Morante die schriftstellerische Arbeit Moravias schätzte und unbeirrbar an ihren eigenen Projekten festhielt. Ein Band mit Erzählungen war in Vorbereitung. Schon damals zeigt sich eine Obsession, die im Laufe der Zeit immer bestimmender werden sollte: die Angst vor dem Alter. »Der Tod erschien mir wie ein fahler, aufgeblähter und schleimiger Körper«, schreibt sie am 7. März über einen Traum in ihr Tagebuch. »Eine düstere Zuneigung zog mich zu meiner Mutter hin, die schon von Hässlichkeit und Verfall gezeichnet war, welche über viele Jahre das Ende und den Tod vorbereiten. In Wirklichkeit ist das Leben nichts als der Tod, der sich mit geradezu künstlerischer Sorgfalt ankündigt. Ein Körper ist jung und schön. Jeden Tag arbeitet der Tod an ihm: hier eine Falte, dort ein Zeichen, ein Aufquellen, ein unförmiger, anstößiger Fettwulst. Und das Leben und der Tod enden zusammen. Ich aber habe Angst.« Die privaten Turbulenzen hielten an. »Ist mit A. tatsächlich alles zu Ende?«, fragt sie sich knapp einen Monat später, am 5. April. »Er ist abgereist, ich weiß nicht genau, wohin, vielleicht ist es ein Scherz, ein Albtraum. Ich bin krank. Während er krank war, hatte ich grauenvolle Träume, dass er verreisen musste, ich ihn aber nicht begleiten konnte, dass er krank war. (…) In Wirklichkeit ist er wieder gesund. Er ist zu mir gekommen und hat gesagt: ›Seit einem Jahr sind wir Geliebte und haben nur aneinander gelitten. Es ist besser, damit aufzuhören. Denk nicht mehr an mich. Ich verreise, und du darfst nicht mitkommen.‹ Ich habe ihm gesagt: ›Dann geh sofort.‹ – Und er hat seinen Mantel genommen und ist wirklich aus dem Zimmer gegangen. Ich dachte, es sei kein Ernst, so wie andere Male. Doch hätte ich ihn nicht zurückgerufen, wäre er fortgegangen. Er ist noch mehrmals gekommen, dann ist er abgereist. Drei Tage lang habe ich nicht aufgehört zu zittern. Es kann nicht wahr sein. Ich warte auf ihn. Komm bald zurück, Alberto. Maria, Du Wundertätige, lass ihn bald zu mir zurückkehren.«

      Elsa betete noch öfter


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