Eine Welt auf sechzehn Saiten. Frank Schneider

Eine Welt auf sechzehn Saiten - Frank Schneider


Скачать книгу
es denn bei Ihnen niemals vor, dass angesichts so gehäufter Arbeit und solch dauerhafter Anstrengung, die verschiedenen Bereiche Ihrer diversen Tätigkeiten zu koordinieren und unter Strom zu halten, sich einmal ein Gefühl des Überdrusses, der Erschöpfung einstellt? Oder gibt es auch schon mal das Gefühl, einfach aufzuhören und etwas ganz anderes zu machen?

      FR: Nicht wirklich, glaube ich. Aber es kann hin und wieder im Innern kriseln, wenn man sich nach einer Probe einmal ungerecht behandelt fühlt und dann danach fragt, warum man sich das gefallen lassen muss, warum man dies alles noch macht! Es ist ein allzu menschliches Gefühl, wie es jeder mehr oder weniger kennt. Der Gedanke an einen kompletten Ausstieg, an komplette Alternativen, ist mir aber nie gekommen.

      SFE: Das ist auch bei mir nicht anders.

      SFO: Doch, ich hatte einmal – das liegt lange zurück – eine richtige, ernsthafte Cello-Krise. Das war sicher auch eine menschliche Krise, bei der ich mich damals tatsächlich gefragt habe, ob Musiker-Sein, Cellospielen noch weiter mein Beruf sein soll und während der ich mich von Konzert zu Konzert gequält habe. Es begann mit dem Tod meiner Mutter und dauerte längere Zeit. Aber mit Unterstützung der Kollegen und Arbeit an mir selbst bin ich darüber hinweggekommen.

      TV: Ich kann mich sehr gut an selbstkritische Zweifel erinnern. Als Jüngster im Quartett habe ich mich nach dem Studium, trotz sehr gut bestandenem Diplom, als Geiger einfach unfertig gefühlt. Ich war durch den unerwarteten Erfolg unserer Quartettarbeit so absorbiert, dass ich das Pensum für den Abschluss zwar pflichtgemäß erledigte, aber mein instrumentales Training nicht bis zur solistischen Reife führte. Es gab dann Phasen, wo ich Probleme mit der körperlichen Organisation meines Spiels bekam und spürte, dass ich nicht locker genug war, um den Anforderungen des Primparts optimal gerecht zu werden. Denn dieser Part, obwohl von der kammermusikalischen Idee her primus inter pares, ist durchaus auf Hochseiltanzrisiko ausgelegt, verlangt über weite Strecken solistische Qualitäten, größte Virtuosität. Da darf man sich körperlich einfach nicht verfestigen. Ich habe einmal Arnold Steinhardt, den Primarius des Guarneri Quartets, gefragt: »Kennen Sie auch diese Momente, bei denen man das Gefühl hat, dass man gar nicht mehr richtig spielen kann?« Er: »Oh, I know it«. Ich: »Was machen Sie dann?« Er: »Ein bisschen weinen – und ein heißes Bad.«

      War es ein brauchbarer Ratschlag?

      TV: Es war wichtig zu wissen, dass hinter der Kulisse großen Glanzes – ich habe es Steinhardts Augen angesehen – auch nicht alles ganz unproblematisch abgeht. Es gibt einem etwas Mut, sich selbst besser zu verstehen: Wenn man mit einem Instrument wie der Geige von Kind an aufwächst und dann das ganze Leben mit ihr verbringt, gibt es auch Zeiten, in denen man mit dem Instrument hadert und ringt. In einem Quartett kann es sein, dass eine Zeitlang der 1. Geiger mit sich und der Geige kämpft, ein anderes Mal hat vielleicht der Cellist Probleme, und plötzlich erwischt es den 2. Geiger mit einem Bogenzittern. Das Gute in einem Streichquartett und letztlich in jedem Ensemble ist, dass man trotzdem weitermachen kann, denn man ist nicht allein und kann sich gegenseitig auffangen und abfedern. Doch man kann davon ausgehen, dass es in der Regel meist nie allen vieren gleich gut oder gleich schlecht geht.

      SFE: Im Team kann man sich gegenseitig helfen, das ist wirklich unbezahlbar; würden Vertrauen und Hilfsbereitschaft untereinander nicht da sein, könnte man daran zerbrechen. Aber bei jedem liegen die Dinge anders, ein solches spielerisches Unbehagen kann unterschiedliche Ursachen haben – physiologische, psychologische und mentale. Auch ich hatte vor langer Zeit zwei bis drei Jahre lang das enervierende Gefühl eines Defizits im spieltechnischen Vermögen, und offenbar hängt dies mit körperlichen Veränderungen zusammen, die sich im Alter zwischen 35 und 40 Jahren zeigen können. Als junger Mann weiß man von solchen Dingen noch gar nichts, und meist klären sie sich auch erst in der Rückschau, wenn man sie bewältigt hat.

      Auf jeden Fall sind es wohl Probleme im Bereich »Mensch-Maschine«, die aus den Anforderungen des Metiers hervorgehen, und viel weniger solche, die einen privat-persönlichen, beziehungskritischen oder anderweitig familiären Hintergrund haben – was ja auch denkbar wäre.

      SFO: In der Tat, auch das gibt es, nur ist es dann keine direkte und alleinige Auseinandersetzung mit dem Instrument. 2002 war eine Australien-Tournee geplant, doch als der Termin näher rückte, erkrankte meine Frau schwer und musste wochenlang im Krankenhaus liegen. Ich hatte beide Kinder bereits auf kürzere Konzertreisen mitgenommen, aber an eine lange Australien-Tournee war in dieser Situation nicht zu denken. Um die Familie nicht zu zerreißen, musste ich absagen und das Quartett mit der tabubrechenden Tatsache konfrontieren, dass es zum ersten Mal in seiner Geschichte die Reise mit einem fremden Cellisten unternehmen müsste.

      TV: Es ging dann alles in allem gut aus, der neue, ebenfalls sehr gute Cellist hat sich professionell der Situation gestellt, und doch war aus meiner Sicht nicht die gleiche Intensität des Spiels zu erreichen, als wäre Stephan bei uns gewesen. Witzig ist, dass die Unternehmung, teilweise vom Goethe-Institut veranstaltet, unter dem Werbe-Slogan einer »Precision-Tour« des Vogler Quartetts lief – im Glauben, dass alles, was aus Deutschland kommt, auf Präzision beruht, vom Mercedes bis zum Streichquartett. Und dieser Titel gerade für unsere Tournee, die wir mit einem Ersatzcellisten bestritten!

      FR: Wenn Stephan von Tabubruch spricht, dann war es jedoch vielleicht auch lehrreich. Man muss sehr aufpassen, dass trotz der unleugbaren Priorität des Quartetts die anderen Beziehungen in unserem Leben nicht verkümmern. Ich bin in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind, denn mir ist eine Ehe zerbrochen – nicht unbedingt am Quartett, doch auch teilweise an der Tatsache, dass man nie da ist, zu wenig Zeit hat für Menschen, denen man eigentlich am nächsten sein sollte. In vielen Fällen, in denen eigentlich Familienangelegenheiten Vorrang haben müssten, verwies ich mit durchaus arroganter und egoistischer Attitüde, aus einem seltsamen Gruppenzwang heraus, auf die Prioritäten der Profession: Wenn Konzert ist, fällt die Feier aus. Heute würde ich solche Alternativen anders behandeln, den Einzelfall ernsthaft abwägen, aber wohl kaum gegen die Interessen der Familie ausspielen.

      Würde es die Lage gegebenenfalls denn nicht entspannen, wenn Sie die Frauen und Kinder zu Ihren Konzerten einfach mitnehmen – denn ein finanzielles Problem würden Sie ja damit kaum haben.

      TV: Für das Quartett ist das kein Problem. Wir haben in früheren Jahren die Frauen gar nicht so selten mitgenommen, besonders bei kleineren Tourneen von etwa einer Woche. Aber auch das ist nicht ganz einfach, weil meist der quartettspielende Mann im Vordergrund steht und die Frau sich leicht als ein gewisses Anhängsel fühlen kann. Ich habe dieses Gefühl, eine Art anonymes Anhängsel zu sein, selbst auch schon gehabt und kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass man davon nur eine gewisse Dosis verträgt. Es ist wie Klassentreffen mit Partner, das geht irgendwie nicht.

      FR: Es kommt noch hinzu, dass man sich als Musiker generell um die eigene Person kümmern muss: Üben, der nötige Schlaf, die erforderliche Fitness. Da bleibt eben auch für die Bedürfnisse des Partners, Sightseeing, Shopping et cetera, zu wenig Zeit. Ein Konzerttag ist für uns sehr durchstrukturiert, und deshalb kann zusätzliche Zweisamkeit überaus anstrengend, ja entnervend sein, wenn man sich nicht von vornherein über die unvermeidliche Rollenverteilung einig werden kann.

      SFE: Konflikte lassen sich da nie ganz vermeiden, allein schon wegen der Fülle der Konzerttermine, von den ebenfalls zeitraubenden Professuren gar nicht zu sprechen! Immerhin haben wir über die Jahrzehnte pro Jahr durchschnittlich 80 bis 90, im Extremfall auch bis zu mehr als 100 Konzerte absolviert. Und es darf nicht vergessen werden, dass die Beanspruchung in punkto Schwierigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsvermögen ähnlich hoch ist wie bei einem großen Solokonzert, beim Primarius ohnehin, aber auch bei den anderen Spielern. Die Belastung ist sogar noch viel größer, denn ein Solist ist nach 30 bis 40 Minuten fertig und vom Podium weg, auf dem wir mindestens zwei Stunden verbringen und wenigstens drei Stücke spielen müssen.

      TV: Und man sitzt und sitzt und sitzt …

      SFE: Ja, das viele Sitzen ist schon ein Problem.

      TV: Heute gibt es auch Quartette, die im Stehen spielen. Eigentlich eine mutige Entscheidung und gut nachvollziehbar, aber auch eine entlastende Alternative zum ewigen Sitzen von morgens bis nachts. Man sitzt im Flugzeug, im Auto, beim Essen, im Hotelzimmer,


Скачать книгу