Eine Welt auf sechzehn Saiten. Frank Schneider

Eine Welt auf sechzehn Saiten - Frank Schneider


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und gedanklicher Form unter Beweis zu stellen hatten. Wir spielten zum Beispiel Teile aus Ligetis 2. Streichquartett oder das Menuett aus Haydns Quartett op. 76/1. Das Menuett, eigentlich ein Scherzo (die Tempobezeichnung ist Presto), fängt sehr leise an und am Ende des ersten Teils gibt es als Überraschung ein subito fortissimo. Und im Gegensatz zu jedem anderen Publikum, vor dem wir dieses präsentierten, brachen die Kinder in lautes Lachen aus. Es war wirklich ein freudiges, überraschtes und ganz spontanes Gelächter – was eigentlich bewegend ist, denn es signalisiert ein besseres Verständnis als bei manch tausendköpfigem Auditorium, wo sonst kaum jemand heute aus falschem Respekt zu lachen wagt.

      SFO: Zum Beispiel haben wir auch den Pizzicato-Satz aus dem 4. Streichquartett von Bartók in Workshops an mehreren Schulen gespielt. Die Kinder hatten die Aufgabe, sich zur Musik kleine theatralische Situationen oder Szenen auszudenken. Eine Schule hatte lauter Fische ausgeschnitten und auf Stäbe montiert, um sie gleichsam im Meer schwimmen zu lassen. Mit dem ersten Bartók-Pizzicato, einer Technik, bei der die Saite geräuschvoll auf das Griffbrett aufschlägt, kam ein Hai ins Bild, der in plötzlich unruhiger Szene die anderen Fische jagt. Ich fand dies eine sehr adäquate Umsetzung der Musik, und wir freuten uns riesig an der Phantasie der Kinder. Und natürlich ergab die Visualisierung in einer anderen Schule ganz andere Resultate, worüber wir dann mit unseren Zuhörern ebenfalls reden konnten.

      TV: Wir haben uns, davon ausgehend, zum Gesetz unserer täglichen Arbeit gemacht, sich bei einem Musikstück nicht nur um Formen, Techniken und Spielanweisungen zu kümmern, sondern dessen grundlegende inhaltliche Idee zu erkennen, in möglichst leicht verständliche Worte zu fassen und dann klanglich adäquat umzusetzen. Es geschah oft, dass durch die bildhaften Umsetzungen der Kinder wir selbst zu neuen Einsichten in die Stücke kamen, sie viel fasslicher fanden als zuvor und emotional tiefer ankern konnten, als wenn man sie nur als absolute Musik sieht.

      2002 haben Sie ein weiteres Spielbein nach Homburg im Saarland gesetzt, um dort bei den sommerlichen Kammermusiktagen zunächst mitzuwirken und sie später künstlerisch zu leiten.

      SFE: Es begann mit einer Einladung für mich persönlich durch den damaligen künstlerischen Leiter, den Cellisten Claus Kanngiesser. Die Kammermusiktage Homburg fanden damals alle zwei Jahre statt, waren ehrgeizig konzipiert und hatten einen guten Ruf in Verbindung mit dem gemütlichen Städtchen, in welchem man gut essen kann, wo aber ansonsten wenig passiert. Solche überschaubaren Rahmenbedingungen sind mir immer sympathisch, und da ich Kanngiesser durch die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker kannte, die er ebenfalls leitete, habe ich gern zugesagt und war von der lockereren Atmosphäre, der persönlichen Betreuung, aber natürlich auch von dem Konzept mit gewissen experimentellen Zügen sehr angetan.

      FR: Einerseits mischte man Werke unbekannter Komponisten mit denen von Großmeistern der Tradition, andererseits sollten sich hier hochkarätige Solisten treffen können, zusammen ein Kammermusikwerk konzertreif proben und aufführen, im Schnitt alle zwei Tage ein anderes. Zu den Proben war Publikum zugelassen, und obwohl das Ganze zunächst ein Vergnügen für die Musiker sein sollte, quittierte das Publikum die Resultate mit kaum weniger guter Laune.

      SFE: Zwei Jahre nach mir kam Frank dazu und nach weiteren zwei Jahren waren wir alle vier präsent, mit einem der beiden Streichquartette von Max Bruch. Erst als es dann in der künstlerischen Leitung des Festivals kriselte, nicht zuletzt wegen Spannungen mit den örtlichen Organisatoren, sind wir sehr schnell gefragt worden, ob wir die Leitung übernehmen wollten.

      TV: Was auch deshalb interessant für uns war, weil wir damit das Quartett dort fest verankern und die künstlerische Planung samt Gäste-Politik rund um unsere Präsenz gleichsam als Fokus der Kammermusiktage konzipieren konnten. Wir haben sie im Übrigen auf eine Woche konzentriert und auf einen jährlichen Turnus umgestellt. Und natürlich bereichert es uns künstlerisch, wenn wir in offenen Kombinationen fast jeden Abend außerhalb der Quartettnormalität mit anderen Musikern Duos, Trios und so weiter bis Septett oder Oktett, mit oder ohne Klavier und auch in heterogen besetzten Quartetten spielen können. Diese Vielfalt kombinieren wir dann noch einmal mit vokalen und instrumental-solistischen Angeboten. Bei den Gästen bedarf es eines besonderen Fingerspitzengefühls, denn nicht jeder kann oder will mit jedem, und zwei Spitzensolisten produzieren nicht automatisch kammermusikalische Höchstleistungen. Meistens hatten wir bisher bei Auswahl und Zusammenstellung der Künstler eine glückliche Hand, aber es hat selbstverständlich auch schon dramatische Kräche gegeben, wo dann unsere Vermittlungskunst gefragt war. Das Kennenlernen neuer Künstler, mit denen sich durchaus manchmal echte Freundschaften herausbilden, bringt eine Fülle von Anregungen auch für unsere regulären Quartett-Programme, für die wir uns gern Gäste einladen, um die Monochromie unseres vierstimmigen Satzes durch andere, auch kontrastierende Farben zu bereichern.

      Es gibt mittlerweile rund um die Welt gerade zur Sommerzeit, wenn die etablierten, aus der öffentlichen Hand subventionierten Institutionen aus Urlaubsgründen geschlossen sind, eine kaum noch überschaubare Zahl kleiner bis mittlerer Festivals. Man versteht, auch Musiker fürchten den horror vacui, und viele Kommunen unterstützen solche Projekte, weil sie die touristische Attraktivität der Stadt oder der Gegend fördern können. Es muss aber, denke ich, bei all diesen Fällen auch Alleinstellungsmerkmale geben, damit das funktioniert. Worin also unterscheiden Sie sich beispielsweise von einem ähnlichen Festival wie Lockenhaus, das durch Gidon Kremer und seine Kremerata Baltica besonders bekannt geworden ist?

      TV: Nach Lockenhaus kommen vorzugsweise Einzelmusiker, mit Gidon Kremer oder jetzt mit seinem Nachfolger Nicolas Altstaedt befreundete, namhafte Solisten, die einfach miteinander musizieren. Bei uns steht das Quartett-Ensemble mit seinem Repertoire im Zentrum, um welches sich die anderen Gastmusiker scharen. Es kommt hinzu, dass durch die Dichte des Programms im Rahmen einer Woche die Probenzeit begrenzt ist und dadurch eine durchaus charmante Ungewissheit, ein sozusagen schöpferisches Restrisiko für das Erlebnis des Publikums bleibt, abhängig davon, in welchem Grad der Vervollkommnung, besser der Vollkommenheit, eine Interpretation gelingt. Beim Festival in Sligo haben wir übrigens eine ganz ähnliche Situation.

      Programm, Auswahl der Musiker, organisatorische Vorbereitung und vieles andere: Entscheiden und betreiben Sie das alles wirklich gemeinsam oder gibt es da auch Aufgabenteilungen und wechselnde Verantwortlichkeiten?

      FR: Wir sind keine professionellen Organisatoren, und sowohl in Sligo wie in Homburg gibt es hilfreiche Hände vor Ort. Aber in der künstlerischen Leitung stehen wir mit unseren Namen offiziell in einer gemeinsamen Verantwortung, obwohl es sich in der Praxis einmal mehr und das andere Mal um Kollektivität handelt.

      TV: In Sligo war in den letzten Jahren bis 2013 Frank für das Programm verantwortlich und entsprechend wurde das auch vermerkt. In Homburg hat es in der Vergangenheit oft auch Frank gemacht, oder wir beide zusammen, dann allerdings stets unter dem Namen des Quartetts. Für das Jahr 2014 und die nächste Zeit habe ich die Gestaltung der Programme beider Festivals übernommen.

      FR: Programme entwickeln macht Spaß, ist aber auch eine Arbeit, die einen ziemlich fordert. So eine Kammermusikwoche ist eigentlich kein wirklich großes Unternehmen, eher ein kleines. Aber man denkt für das kommende Jahr lange voraus, überlegt Programme und Künstler, die man einladen will, und hat man sie eingeladen, muss man hinterher sein, ehe sie auf die Frage antworten, welche Musik sie anzubieten haben und tausend andere Dinge.

      TV: Und immer ist die wirtschaftliche Seite mit zu bedenken. Ob bei solchen Festivals oder bei der Planung unserer Reihe im Berliner Konzerthaus – beides lebt davon, dass die eingeladenen Künstler in erster Linie aus künstlerischen und menschlichen Gründen innerlich dazu bereit sind. Sie werden selbstverständlich dafür bezahlt, aber – sagen wir mal so – nicht gerade fürstlich. Viele Künstler, und auch wirklich erstrangige, verstehen oftmals die finanziellen Rahmenbedingungen sehr gut und sind bereit, uns große Zugeständnisse zu machen – etwa die Reisekosten vom Honorar zu bestreiten. Manchmal wird die Freude über eine persönliche Zusage getrübt, wenn sich ein Management meldet und versucht, das mit dem Künstler Vereinbarte in Frage zu stellen und neu zu verhandeln. Andere vergessen oder ändern die Programme, die man vereinbart hat. Wieder andere protestieren, obwohl die Möglichkeit eines Radiomitschnitts kommuniziert war, wenn sie vor dem Mikrofon stehen und plötzlich der Meinung sind, dass so etwas nicht geht … Man erlebt die verrücktesten Dinge, auch weil


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