Eine Welt auf sechzehn Saiten. Frank Schneider

Eine Welt auf sechzehn Saiten - Frank Schneider


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war in der Tat gegeben, jedenfalls von unserer Seite her. Ich konnte sie neben ein paar anderen Funktionären durchaus zu jenen zählen, die unseren Erfolg wohlwollend förderten. Vielleicht sollte man letztlich auch ihren Mann, unseren Hochschulrektor, mit etwas mehr Milde betrachten, obwohl er uns genügend Knüppel vor die Beine geworfen hat – aber vermutlich weniger aus poststalinistischer Gesinnung, eher vielleicht aus Pedanterie gegenüber studentischen Laxheiten und Hochmütigkeiten.

      SFO: Während dieser ganzen unruhigen Zeit haben wir natürlich auch unsere Konzertverpflichtungen erfüllt. Wir haben in einer Kirche in Berlin-Oberschöneweide sogar eine CD produziert, die aber nicht erschienen ist, weil auch VEB Deutsche Schallplatten mit seinem Klassik-Label »Eterna« schon bald zusammenbrach. Gerade dabei, aber auch anderweitig, haben wir das erhitzte Klima beobachten können, die massive Präsenz der Polizei, die Zusammenstöße mit Demonstranten, zu denen auch wir selbst gelegentlich gehörten, wenn wir zu Proben gingen oder von dort kamen.

      FR: Ich kam von meinen Eltern in Neubrandenburg, wo ich im Westfernsehen mitbekommen hatte, wie die Polizei auf Demonstranten in den Straßen um die Gethsemane-Kirche einknüppelte, und fuhr aus Empörung und Wut unmittelbar zu diesem Ort. Eine Kette aus Kampfgruppen und Polizei sperrte die Straße ab, und ich fuhr direkt auf sie zu, bremste scharf. Man musterte mich in meinem nagelneuen Wartburg, hielt mich, vor allem wegen des Autos, wahrscheinlich für einen Mitarbeiter der Stasi und die Kette öffnete sich, ohne eine einzige Frage oder Kontrolle. Ich war plötzlich mittendrin in der Kampfzone und sah, wie Leute gejagt und auf die Lkws gezerrt wurden – genauso, wie es später in dem Film »Good Bye, Lenin« lebensecht zu sehen war. Am anderen Ende der Straße ließ man mich genauso unbehelligt wieder herausfahren.

      SFO: Frank und ich waren auch am 4. November bei der berühmten Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz und haben mitdemonstriert für eine wirklich demokratische DDR, für einen sich erneuernden Sozialismus mit menschlichem Antlitz, wie es so hieß. Aber auch hier holten uns die Pflichten ein; wir mussten vom Platz weg ins Auto und sind nach Bayern gefahren, weil wir von dort aus eine bis Ende November dauernde, umfängliche Konzertreise zu absolvieren hatten. So haben wir den Fall der Mauer leider nur per Bildschirm aus der Ferne miterleben können. Es war aber dennoch großartig, nach der Tournee quasi ohne Kontrolle die deutsch-deutsche Grenze passieren zu können.

      Mischte sich in die Freude nicht dann und wann auch die bange Frage, wie es unter den abzusehenden, eruptiven Veränderungen mit Ihnen als Quartett weitergehen würde?

      SFE: Die Frage stellte sich damals für uns nicht, denn das Erlebnis der Freiheit war erst einmal überwältigend.

      Haben Sie diesen vergangenen Jahren eigentlich eine Träne nachgeweint?

      TV UND ALLE: Wer wagt darauf eine Antwort?

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      San Francisco Mai 1989

      Im vereinten Deutschland (1990 – 2000)

      Konzerte werden in der Regel lange vor ihren Terminen geplant und können daher auch auf die Wechselfälle des Lebens keine Rücksicht nehmen. Sie haben den Mauerfall vor Ort versäumt und die anderen wilden Monate sicher überwiegend aus der Ferne registriert. Die schockierenden Umwälzungen dieser Zeit mögen für Sie auch weniger aufregend gewesen sein als für die große Mehrheit Ihrer Mitbürger: Reisefreiheit hatten Sie, ebenso die begehrte D-Mark. Die neue Demokratie an den Runden Tischen wie die ersten freien Wahlen dürften Sie begrüßt haben, weil auch Ihnen radikale Reformen des polit-bürokratischen Systems am Herzen lagen. Es würde mich eigentlich wundern, wenn Sie den historischen Tag der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, den 3. Oktober 1990, zu Hause verbracht hätten.

      SFO: An diesem Tag haben wir ein Konzert in Tel Aviv gespielt. Wir waren einer Einladung zu zwei Konzerten in der israelischen Hauptstadt gefolgt, wohnten aber in einem Kibbuz. Dort hörten wir ein Konzert des israelischen Armeeorchesters mit Guy Braunstein als Solisten, dem späteren Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, der in Stiefeln und Armeeuniform ein Mozart’sches Violinkonzert spielte – mit eigenen Kadenzen, unglaublich delikat und filigran, im Gegensatz zu dem martialischen Outfit des Orchesters. In dem kulturbewussten Kibbuz fand zu dieser Zeit ein kleines Festival statt, bei dem wir dann ein weiteres Konzert gaben. Die Kritik in Tel Aviv nahm kurioserweise Bezug auf den deutschen Feiertag, indem sie bemerkte, wir hätten sehr ernst gewirkt und unsere Freude nicht gezeigt, denn die sei für Deutsche wohl angemessen bei dem besonderen Ereignis der Wiedervereinigung.

      SFE: Vielleicht entsprach der Ernst unserer damaligen Stimmung, denn er brachte für das Quartett eine Fülle neuer, offener Fragen.

      Hat Sie das Leben im Kibbuz eventuell an etwas erinnert, das zu Hause gerade zu Grabe getragen worden war?

      TV: Ja, wir hatten dort in gewisser Weise das Gefühl, in der DDR zu sein. Es herrschte der gleiche Ton, den wir kannten, stolz und euphorisch wurde uns erzählt, dass keinem etwas gehört, es also kein Eigentum gibt, dass Kinder in speziellen Einrichtungen mit Internat kollektivistisch erzogen werden – alles Grundstrukturen, die stark sozialistisch geprägt waren. Erzählt wurde mit leuchtenden Augen! Und das zu uns, die nur immer dachten: Wir wissen, dass so etwas nicht wirklich funktioniert.

      FR: Andererseits waren wir insgesamt drei Mal in Israel und von vielen anderen Dingen stark beeindruckt. Dazu gehört die Spielkultur des Israel Philharmonic Orchestra, dem wir zuhören durften. Beeindruckend, wenn zu Beginn des Konzerts alle aufstehen und der schwungvollen Nationalhymne lauschen.

      SFE: Sie war das Beste am ganzen Abend!

      Mit Israel haben Sie nach den USA zum zweiten Mal die Grenzen Europas hinter sich gelassen. Später werden Sie noch mit Japan und Australien weitere Kontinente betreten, so dass Ihre weltweite Präsenz beinahe zu einem Gleichnis jener grenzenlosen Freiheiten und Globalisierungstendenzen auch im Bereich der Kultur taugt, von denen man sich, zumal im gewendeten Osten, zu Beginn der neunziger Jahre das »Ende der Geschichte« und den Ausbruch ewigen Friedens und Wohlstands erhoffte. Unweigerlich gehört der Zusammenbruch der Sowjetunion in dieses Szenario, und so frage ich Sie – an Amerika erinnernd – nach Ihren Eindrücken vom anderen Großreich, das vor allem den Krieg gegen Hitler gewonnen hat. Sie werden sicherlich auch beim ehemals »Großen Bruder« der DDR und später beim so außerordentlich musikliebenden Volk der Russen häufig gastiert haben.

      SFO: Wir waren vor der Wende als Quartett im Rahmen eines Studentenaustauschs zu Besuch beim Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium. Das war 1985. Dann noch einmal 1988 im Dezember aus Anlass des Treffens der künstlerischen Jugend der sozialistischen Länder.

      Ich nehme an, Sie reisten nicht allein, sondern als Angebotspaket mit Vertretern aller ernsten und leichten Musen.

      SFO: Wir waren Teil einer großen Delegation unter Leitung des damaligen Stellvertretenden Kulturministers Dietmar Keller. Wir sollten im »Rossija« in der Nähe des Roten Platzes auftreten, im damals größten europäischen Hotel mit einem Festsaal für ca. 3000 Besucher. In staubtrockener Akustik – schlimmer als in einer Besenkammer – sollten wir den zweiten Satz, die Variationen über »Der Tod und das Mädchen«, aus dem d-moll-Streichquartett von Franz Schubert spielen, und zwar unmittelbar nach einer Balalaika-Gruppe und vor einem Tanz-Ensemble aus dem Kaukasus. Wir haben uns zu spielen geweigert, weil ein Auftritt, bei dem man uns kaum hören würde, zumal zwischen weit derberer Kost, für niemand Sinn macht. Und der Minister, statt bürokratisch zu toben, hat unseren Gründen schließlich zugestimmt, wir mussten nicht spielen, durften aber eine Woche touristisch entspannt genießen.

      TV: Das Ganze war ohnehin eine Farce, weil auch Treffen mit anderen Jugendlichen gar nicht vorgesehen waren. Wir waren isoliert, haben den Kreml, Klöster, das Bolschoi und andere Highlights besichtigt, hatten aber keine einzige Begegnung mit russischen oder anderen ausländischen Künstlern. Stattdessen fanden inoffizielle Essen mit russischen Gastgebern statt, bei denen wir deren ausufernde Trinkkultur studieren konnten und lange Toasts von kaukasischer oder georgischer Seite, sogar auf Stalin und Hitler, aushalten mussten. Es war alles in allem grotesk und wohl unsere einzige Konzertreise ohne Konzert, als staatlich


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