Erste am Seil. Caroline Fink

Erste am Seil - Caroline Fink


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– als Affront gegen den regierenden Napoleon III. Umso mehr dürfte sich die US-Amerikanerin Meta, eine überzeugte Republikanerin, amüsiert haben, das Lied auf dem höchsten Gipfel der Alpen zu schmettern.

      Die Tour auf den Montblanc ist eine der ersten alpinen Taten Metas. Kurz zuvor ist sie mit ihrem Neffen William Coolidge, einem rundlichen Jungen, in die Schweiz gereist. Dies, nachdem ein Pariser Arzt dem kränklichen William zur Kur etwas Bergluft empfohlen hat. Tante Meta setzte den ärztlichen Ratschlag um: Zunächst steigt sie mit ihrem Neffen im Berner Oberland auf den 2362 Meter hohen Niesen, dann reisen die beiden nach Zermatt und besteigen die 3803 Meter hohe Cima di Jazzi. Für den Montblanc ist der Junge zu schwach, doch die Berge werden ihn nicht mehr loslassen. William Augustus Brevoort Coolidge sollte in den folgenden Jahrzehnten einer der wichtigsten Bergsteiger seiner Zeit werden.

      Nach diesem Sommer entschied Meta, sich mit ihrem Neffen in Europa niederzulassen. Sie kennt den Alten Kontinent bestens: Als junge Frau hat sie die Schule des Couvent Sacré-Cœur in Paris besucht, und mit ihren Eltern ist sie im Sommer oft durch die Schweiz gereist. Vielleicht war es auch ihre Familie, die ihr eine gewisse Abenteuerlust mit auf den Weg gegeben hatte: Ihre Mutter besaß ein Bergpanorama der Berner Alpen mit der Bestätigung, im August 1835 von Grindelwald auf das Faulhorn gestiegen zu sein, und in der kanadischen Arktis liegt bis heute die unbewohnte Brevoort Island, benannt nach Metas Onkel, einem Geografen und Historiker.

      Den ersten Winter in Europa verbringen Meta und William in Florenz. In dieser Zeit lesen sie «Peaks, Passes, and Glaciers», die Vorgängerpublikation des britischen «Alpine Journal» – und es ist um sie geschehen. Sie wollen ihr Leben künftig den Bergen widmen. In den zwei folgenden Bergsommern sind sie noch zurückhaltend: Zu ihrem Tourenprogramm gehören Routen wie die Haute Route von Chamonix nach Zermatt oder der 3234 Meter hohe Beichgrat in den Walliser Alpen. Doch dann gibt es kein Halten mehr. In den Sommern 1868 und 1869 reiht Meta ein alpines Glanzlicht ans nächste: Sie steigt als erste Frau auf die Grandes Jorasses, unternimmt Erstbegehungen der hochalpinen Pässe des Col du Moine und des Col de la Bérangère, steigt auf den 4314 Meter hohen Grand Combin und den 4634 Meter hohen Monte Rosa. Zudem versucht sie von der italienischen Seite her als erste Frau auf das Matterhorn zu klettern. Und dies nur vier Jahre nach Edward Whympers tragischer Erstbesteigung des Gipfels. Meta macht keine halben Sachen. Sie hat eine «unglaubliche Vitalität und die große Gabe, alles mit Freude zu tun», schreibt Chronistin Cicely Williams über die Amerikanerin.

      Mit von der Partie ist nebst Neffe William meist der Grindelwaldner Bergführer Christian Almer, der dafür verantwortlich ist, dass die Seilschaft ein weiteres Mitglied erhält: den Hund Tschingel. Denn er ist es, der nach einem Misserfolg am Eiger mit dem untröstlichen William Mitleid hat und ihn fragt, ob er sich über einen Hund freuen würde. Als dieser begeistert ist, schenkt Christian Almer ihm tags darauf die dreijährige Hündin Tschingel, einen braunroten Mischling mit kurzem Haar und weißen Pfoten, der bereits als Welpe vom Lötschental über den vergletscherten Tschingelpass ins Berner Oberland gewandert ist. Almer selbst würde fortan Tschingels Sohn Bello als Wachhund haben.

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      (aus: Ronald W. Clark: An Eccentric in the Alps. Museum Press, London 1959)

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      Ein starkes Team: Meta Brevoort mit ihrem Neffen William Coolidge, den Führern Christian Almer (ganz links) und Ulrich Almer (ganz rechts) sowie der Hündin Tschingel, die mit einem eigenem Porträt geehrt wurde (Bild links).

      (aus: Ronald W. Clark: An Eccentric in the Alps. Museum Press, London 1959)

      William ist entzückt von der Hündin, die mit auf Berge steigt. Er lässt eigens für sie Lederstiefelchen nähen, die Tschingel aber verschmäht, und fertigt für jeden Gipfel der Vierbeinerin ein silbernes Medaillon, das er an ihr Sonntagshalsband hängt. Bald wird Metas Neffe in Alpinistenkreisen bekannt als «the young American who climbs with his aunt and his dog» – der junge Amerikaner, der mit seiner Tante und seinem Hund klettert. Und Tschingel sollte zum bekanntesten Hund der Alpingeschichte werden: Im Lauf ihres Hundelebens unternimmt sie mehrere Hundert Wanderungen und mehr als dreißig große Bergtouren, darunter elf Erstbesteigungen. Sie wird sogar Ehrenmitglied – und damit das einzige weibliche Mitglied – des britischen Alpine Club. Aufgenommen per Akklamation, als Vertreter des Clubs sie auf der Riffelalp antreffen, nachdem sie mit Herrchen und Tante auf dem Monte Rosa gestanden hat.

      Ist die Seilschaft Brevoort/Coolidge mit ganzem Anhang in abgelegenen Bergdörfern unterwegs, gibt der Trupp ein seltsames Bild ab: Eine schlanke, große Dame in langem Rock, einen langen Alpenstock in der Hand, ein rundlicher Amerikaner, blass und mit Brille, ein Hund, ein paar bärtige Bergführer und einige mit Seil und Pickeln bepackte Träger. Manche Einheimische halten sie für Goldgräber, andere für Landstreicher. Einmal, im Dorf Vallouise in der Dauphiné, befürchtet ein Gastwirt, sie wären Zauberer, und gewährt ihnen vorsichtshalber keinen Einlass. Coolidge schreibt später dazu: «Man hielt mich schon oft für einen Vagabunden, Arbeiter, Brillenverkäufer, Spion oder Minenarbeiter. Doch dies ist das erste Mal, dass man mich für einen Magier hält!» Obwohl sie in der Dauphiné nicht immer mit offenen Armen empfangen werden, kehren Tante und Neffe immer wieder in dieses Gebiet der französischen Alpen zurück. Besonders die 3983 Meter hohe Meije mit ihren steilen Felsgipfeln lässt Meta nicht mehr los. Den höchsten Punkt dieses Massivs will sie besteigen – nicht als erste Frau, sondern als erster Mensch.

      Es ist Ende Juni 1870, als Meta die Erstbesteigung des anspruchsvollen Gipfels in die Tat umsetzen möchte. Zusammen mit William, Vater und Sohn Almer sowie einem weiteren Führer ist die Seilschaft unterwegs. Sie geben alles und mehr: Metas Fersen schmerzen, Vater Almer wird schneeblind, und alle haben sie üble Sonnenbrände. Doch sie schaffen es auf den Gipfel. Allerdings: auf den falschen. Als sie um 12.10 Uhr auf dem sogenannten Pic Central stehen, blicken sie hinüber zum Grand Pic. «Stellen Sie sich den Horror vor, als wir merkten, dass der Gipfel zu unserer Rechten ungefähr gleich hoch ist wie unserer. Christian schätzte, er wäre um die sechs Meter höher», schreibt William. Vater Almer hatte recht: Der Grand Pic ist zehn Meter höher als der Pic Central, auf dem die Erstbesteiger dennoch einen Steinmann errichten, bevor sie absteigen.

      Nach diesem Erlebnis lässt der Berg Meta erst recht nicht mehr los. Jahrelang bleibt es ihr Wunsch, auf den Hauptgipfel zu steigen. Als William Jahre später ohne seine Tante in die Dauphiné reist, schreibt sie ihm: «Lieber Will, richte all den lieben, alten Freunden, die du sehen wirst, liebe Grüße von mir aus. Ganz besonders dieser prächtigen Meije und bitte sie, sich für mich aufzuheben.» Ihr Traum bleibt unerfüllt: Im Jahr 1877, acht Monate nach Metas Tod, stehen der Franzose Emmanuel Boileau de Castelnau und die Führer Vater und Sohn Pierre Gaspard auf dem Grand Pic.

      Und noch ein Wunsch bleibt Meta verwehrt: jener, die erste Frau auf dem Matterhorn zu sein. Zwar scheinen ihre Sterne gut zu stehen, als sie ein Jahr nach der Meije erneut plant, auf diesen Berg zu steigen. Doch als sie Ende Juli in Zermatt ankommt, ist ihr Traum geplatzt. Die Engländerin Lucy Walker ist ihr zuvorgekommen. Unmittelbar vor Metas Ankunft in Zermatt, am 21. oder 22. Juli – die Quellenlage ist unsicher –, hat die junge Britin als erste Dame den Gipfel des Matterhorns erreicht. Meta ist enttäuscht, lässt sich aber nicht unterkriegen. Am 5. September traversiert sie als erste Frau das Horn von Zermatt ins italienische Breuil, und in den folgenden zwei Wochen steht sie als erste Frau auf dem 4506 Meter hohen Weißhorn und der 4357 Meter hohen Dent Blanche sowie auf der wuchtigen Felspyramide des Bietschhorns.

      Über ihre Tour auf das Bietschhorn schreibt sie einen Text, den sie unter dem Namen von Coolidge – eine Publikation als Frau ist zu ihrer Zeit undenkbar – im britischen «Alpine Journal» veröffentlicht. Ein Text voller Anekdoten und Geschichten, in dem sie beschreibt, wie sie auf einem Pferd ins Lötschental reitet und spät abends «halb verhungert» ankommt. Wie der Gastwirt dort «ein ganzes Eichhörnchen» serviert und sie einen lieben Hund treffen, der ganz wie Tschingel aussah, «außer dass er viel dümmer war». Und auch den Aufstieg erzählt sie in all seinen Facetten. Schreibt von alten Nadelwäldern, durch deren Geäst die Sonnenstrahlen fließen, und vom eisigen Wind im Gipfelaufstieg, der ihnen «gnadenlos in die Nase, Ohren und Finger beißt».


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