Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz

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(Lachen). Es war ja die Zeit der Nach-Achtundsechziger. Deshalb habe ich mein vorhergehendes Buch ja auch „Die wilden siebziger Jahre im Himalaya“ genannt.

       Ein Schlüsselwort jener Zeit war das „Aussteigen“. Wart ihr Aussteiger? Sind vielleicht Bergsteiger generell Aussteiger?

      Aussteiger waren wir nicht und wollten es auch nicht sein. Wir wollten vor allem so viel Zeit wie nur irgendwie möglich neben dem Beruf oder Studium in den Bergen verbringen. Aber wichtig war, bei aller Unbekümmertheit und aller Frechheit, dass wir alle gute Bergsteiger waren. Und dass wir uns gut kannten. Beides zusammen war die Voraussetzung für die Erfolge. Mit guten Bergsteigern etwas zu tun, ist einfacher, wenn sich diese kennen, wenn sie befreundet sind, bevor sie irgendwo in die Weltberge hinausziehen. Es ist schwieriger, wenn sich eine international zusammengewürfelte Expedition erst am Berg trifft und dann Top-Bergsteiger aus verschiedensten Nationen erstmals zusammenarbeiten sollen. Da zählt dann oft vor allem persönlicher Ehrgeiz und weniger das Gemeinsame.

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       Kathmandu, Frühjahr 1982: Wolfgang Nairz lauscht den Erzählungen Herbert Tichys über die Erstbesteigung des Cho Oyu.

       In dem Buch, das vor ein paar Jahren zum 100. Geburtstag des Cho-Oyu-Erstbesteigers Herbert Tichy erschienen ist, hast du ein Kapitel geschrieben. Und da beschreibst du den Expeditionsstil Tichys als sehr unterschiedlich zu dem der Expeditionen Herrligkoffers und Hunts, deren Berichte – und jetzt zitierst du Tichy – „fast wie Kriegsmeldungen klangen und deren Teilnehmer wie Soldaten einen feierlichen Eid der Kameradschaft schworen“. Im Gegensatz dazu war Tichys Expedition bescheiden, was das Budget und die Zahl der Teilnehmer betraf. Und er hat damit – wie du schreibst – das Himalaya-Bergsteigen revolutioniert. War er ein Vorbild für den Expeditionsleiter Nairz?

      In einem hohen Maß. Dazu trug bei, dass mit Herbert Tichy, den ich ja erst viel später kennengelernt habe, auch der Tiroler Sepp Jöchler unterwegs war. Und Jöchler war – wie Buhl – ein „Karwendler“ und ist auch bei uns zu Hause ein und aus gegangen. Ihn habe ich also auch früh als Vorbild gehabt. Und Tichys Buch „Cho Oyu – Gnade der Götter“ war für mich prägend, auch für den Stil unserer Expeditionen.

       In deinem Buch „Die wilden siebziger Jahre im Himalaya“ beschreibst du eine Situation am Cho Oyu. Da heißt es: „Im Basislager setzten wir uns mit allen Sherpas zusammen. Ich machte ihnen klar, dass wir alle gemeinsam hart arbeiten müssen, wenn wir den Gipfel erreichen wollen, und dass es keinen Unterschied zwischen Sherpas und Sahibs gibt.“ „Wenn wir alle zusammenarbeiten“ – das war die Botschaft –, „hat auch jeder eine Chance auf den Gipfel“. War das der große Unterschied zu dem Stil der vorhergehenden Generation, dass man auch mit den Sherpas gemeinsam plante?

      Klar, das brachte uns auch Vorteile. Wir profitierten ja von den Erfahrungen der Sherpas. Und da war eben Tichy ein Vorreiter, der am Cho Oyu seinen Sherpa Pasang Dawa Lama als gleichberechtigtes Expeditionsmitglied ansah.

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       Manaslu-Südwand 1972: Hans Hofer (rechts) und Wolfgang Nairz im Schmetterlingstal

image KAPITEL 3

      MANASLU 1972: DER „BERG DER SEELE“ ALS ORT DER PRÜFUNG

      Mein erstes Expeditionsziel im Himalaya war also 1972 der Manaslu, mit 8163 Metern Höhe der achthöchste Berg der Erde, dessen Namen „Berg der Seele“ bedeutet. Er war 1956 von einer japanischen Expedition erstbestiegen worden, und auch die zweite Besteigung gelang Japanern, sodass der Manaslu als „Japanerberg“ galt, so wie der Everest gern als Berg der Engländer und der Nanga Parbat als „Schicksalsberg der Deutschen“ bezeichnet wurde.

      Die Besteigung der Berge des Himalaya war einem ähnlichen Muster wie Jahrzehnte davor die Eroberung der Alpengipfel gefolgt: Nach der Besteigung auf der einfachsten Route – ich möchte hier absichtlich das Wort „Normalweg“ vermeiden, denn auf einen Achttausender gibt es keinen „normalen“ Weg – lockten bald schwierigere Anstiege. Den „klassischen Routen“ folgten schwere Wände, Flanken und Pfeiler. Es begann 1963 mit der Besteigung der Everest Westridge im Rahmen der Amerikanischen Everest-Expedition unter der Leitung von Norman Dyhrenfurth, hier wurde erstmals ein neuer Maßstab im Himalaya-Bergsteigen gesetzt. Im Sommer 1970 gelang den Briten Dougal Haston und Don Whillans die Durchsteigung der 3000 Meter hohen Annapurna-Südwand. Noch im gleichen Jahr fiel die Rupalflanke am Nanga Parbat durch die Brüder Messner, im Jahr darauf folgte der Makalu-Westpfeiler durch eine französische Expedition sowie die Kombination von Nordwand und Nordwestgrat am Manaslu, wieder durch Japaner. Diesem Streben zu immer schwierigeren Routen wollte auch unsere Expedition gerecht werden. Die Südwand des Manaslu schien uns ein würdiges Ziel zu sein.

      Unser Unternehmen hatte nicht den Charakter einer straffen Expedition, wie sie frühere Generationen, verkörpert etwa durch Karl Maria Herrligkoffer, verstanden hatten. Unsere Expedition war dagegen ein Vorhaben von gleichrangigen, hochqualifizierten, erfahrenen Berufsbergführern. Jeder von uns war es gewohnt, in schwierigen Situationen selbständig zu handeln und verantwortungsbewusst zu entscheiden. Das war unsere Stärke.

      Am 25. April 1972 schienen die Bedingungen für einen Gipfelsturm ideal. Das Wetter war gut. Die gesamte Mannschaft befand sich zwischen Lager II und Lager IV verteilt, Reinhold Messner und Franz Jäger starteten zum ersten Gipfelangriff. Reinhold war in Hochform. Sein Partner, Franz Jäger, fühlte sich jedoch nach mehreren Stunden Aufstieg den bevorstehenden Anstrengungen eines Gipfelgangs mit anschließender Rückkehr ins Lager IV an diesem Tag nicht gewachsen und erklärte, er wolle umdrehen. Für ihn und Reinhold bestand kein Zweifel, dass er den Weg zurück schaffen würde. Franz versprach, das zusammengelegte Zelt aufzustellen, Tee zu kochen und auf Reinhold zu warten.

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       Grußkarte der Tiroler Himalaya-Expedition 1972 zur Manaslu-Südwand

      Als Messner den Gipfel erreichte, begann das Wetter umzuschlagen. Eine Wolkenbank im Süden drängte zum raschen Abstieg. Bald brach ein Sturm los, der sich rasch zum Orkan steigerte. Der Abstieg wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit. Reinhold verliert die Orientierung, er hört Franz rufen, kann aber das Zelt nicht finden, er geht im Kreis.

      Inzwischen ist Horst Fankhauser, gefolgt von Andi Schlick, zum Lager IV aufgestiegen und hat das Zelt aufgestellt, in das schließlich auch, mit schweren Erfrierungen, Reinhold Messner zurückfindet. Alle sind entsetzt, dass Franz Jäger nicht da ist: Horst hört ihn in der Nähe des Zeltes rufen, er und Andi machen sich auf, ihn auf dem Plateau zu suchen.

      Ich war inzwischen mit Bulle ins Lager II abgestiegen, wir hatten Funkkontakt zum Lager IV. Als wir von dort nichts mehr hörten, dachten wir, Horst und Andi hätten Franz gefunden, aber nach Einbruch der Dunkelheit im Sturm biwakieren müssen.

      Tatsächlich hatten Horst und Andi mehrere vergebliche Versuche gestartet, Franz in diesem Schneesturm zu suchen. Als dies misslang und sie in der Dunkelheit den Rückweg ins Lager nicht finden konnten, beschlossen sie, den Morgen in einer Schneehöhle abzuwarten. Andi wurde immer apathischer. Er redete wirres Zeug, erklärte schließlich, nach dem Wetter sehen zu wollen, und verschwand. Horst stürzte ihm nach, brüllte vergeblich nach ihm und tat schließlich das einzig Vernünftige in dieser Situation: Er kehrte ins Schneeloch zurück und wartete den Morgen ab.

      Franz und Andi starben in dieser Nacht. Ihre Körper wurden nie mehr gefunden. Horst Fankhauser vermutete später, Franz Jäger sei entweder zu langsam abgestiegen und auch in den Sturm geraten, oder er sei nach einer Rast doch noch Messner gefolgt.

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