Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz

Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen - Wolfgang Nairz


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stand fest zum Geschehen am Berg und zu seiner Mannschaft.

      Meine Erfahrungen beim Expeditionsbergsteigen – ich hatte nach der Erstbegehung der Rupalwand am Nanga Parbat meinen Bruder in einer Lawine verloren – waren bis dahin mehr als traurige gewesen. Der Expeditionsleiter Herrligkoffer hatte uns Teilnehmern bei diesem Unternehmen 1970 nicht nur Verträge unterschreiben lassen, die jede eigene Berichterstattung unmöglich machen sollten, er hatte auch alle eingespielten Seilschaften nach dem Prinzip „divide et impera“ auseinanderdividiert. Er war als Nichtbergsteiger zwar nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen für das Fortkommen am Berg zu treffen, formte aber jenen unmöglichen Satz, „wer sich meinen Befehlen entzieht, entzieht sich auch meiner Verantwortung“, der mich für alle weiteren Zeiten von autoritären Expeditionen fernhalten sollte.

      Leadership hat mit Einfühlungsvermögen in die Mannschaft, mit Verantwortungsgefühl und mit der Fähigkeit zu tun, sich auf eine Stufe mit seinen Mitstreitern zu stellen. Für diese Leadership stand Wolfi.

      Die Hilfe der Sherpas, die 1972 auf eine mehr als 50-jährige Trägerkultur aufbaute, war auch bei unseren Expeditionen eine Basis für den Erfolg. Obwohl wir Sahibs alle Absicherungsarbeiten beim Aufbau der Hochlager selbst erledigten, bewältigten sie auch über die schwierigen Passagen den Nachschub.

      Es waren die Sherpas, die dem jungen Wolfgang Nairz den Titel Bara Sahib – übersetzt der große weiße Mann – gaben, und ihn damit adelten: für seine überlegte und überlegene Führung, für seine bergsteigerische Leistung, für sein Einfühlungsvermögen. Kurz für seine Leadership. Seit damals ist Wolfi unser Bara Sahib. Ich habe mit ihm ein halbes Dutzend Expeditionen zu den Bergen der Welt – Manaslu, Makalu, Mount Everest, Ama Dablam, Dhaulagiri – mitgemacht, und immer hat er seine Leadership bewiesen. Nicht immer waren wir erfolgreich, immer aber sind wir in Frieden nach Hause gekommen.

      „EIN HUND NAMENS KARL MARIA“

       An der Spitze der beiden sehr erfolgreichen Himalaya-Expeditionen von 1953, die du als Kind sehr bewusst wahrgenommen hast, standen zwei starke Expeditionsleiter, am Everest der britische Armeeoffizier John Hunt und am Nanga Parbat der deutsche Arzt Karl Maria Herrligkoffer. Wann wurde dir die Bedeutung des Expeditionsleiters für eine Expedition bewusst?

      Sehr früh. Nicht nur durch die beiden genannten Expeditionen, sondern auch durch die Literatur. Ich habe alles gelesen, von einem Paul Bauer oder einem Norman Dyhrenfurth, bei denen die Wichtigkeit eines starken Expeditionsleiters betont wird. Ich wollte ja anfangs nicht selbst Expeditionsleiter sein, aber dann hat mich vor allem Hias Rebitsch darin sehr bestärkt, diese Rolle selbst zu übernehmen. Ich wollte einfach in die Weltberge hinausfahren, aber der Hias hat gesagt, du musst das selbst machen, einer muss die Entscheidungen treffen, und einer muss die Verantwortung haben, und einer muss schließlich auch die ganze Organisation machen, also „spiele“ den Expeditionsleiter!

       Hast du als Expeditionsleiter Vorbilder gehabt?

      Diese 1930er-Jahre-Expeditionen, die ich aus der Literatur gekannt habe, waren natürlich völlig anders geführt worden als dann unsere Expeditionen, auch die 1953er-Everest- und Nanga-Parbat-Expeditionen waren andere. Bei den Briten und bei den Deutschen ist es um den Nationalstolz gegangen. Bei den Engländern ist es darum gegangen, den „dritten Pol“, also den höchsten Punkt der Erde zu erreichen, nachdem sie am Nord- und Südpol gescheitert waren. Und der Nanga Parbat war eben der deutsche Schicksalsberg, wie man ihn immer bezeichnet hat.

       Hias Rebitsch hat das dann später relativiert, indem er vom sogenannten deutschen Schicksalsberg gesprochen hat. Hermann Buhl ist ja gegen den Befehl Herrligkoffers zum Gipfel gegangen. Weißt du, ob er nach seiner Rückkehr darüber gesprochen hat?

      Ich kann mich daran nicht erinnern, ich glaube nein.

       Du hast später ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Edmund Hillary, dem Erstbesteiger des Everest, gehabt. Hat er über seinen Expeditionsleiter John Hunt und über dessen Führungsstil gesprochen?

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       Treffen der Legenden: Edmund Hillary (links) und John Hunt 40 Jahre nach der Everest-Erstbesteigung im Gespräch mit Wolfgang Nairz

      Ja. Und ich habe auch Hunt selbst kennengelernt. 1993, zum vierzigjährigen Jubiläum der Erstbesteigung, haben die alten Herren Hunt, Hillary und Lowe einen Ausflug zum Everest gemacht, und ich durfte sie teilweise begleiten. Manfred Gabrielli vom ORF sollte nämlich einen Film drehen, ist aber leider höhenkrank geworden. So habe ich die ganzen Interviews mit Hillary, Hunt und dem Kameramann George Lowe geführt. Und da ist sehr wohl dieses Verhältnis Hunt–Hillary spürbar gewesen. Und man hat gemerkt, dass der Offizier Hunt schon ein sehr bestimmender Mann war. Das hat man auch nach 40 Jahren noch herausgehört, wenn Hillary immer gefragt hat: „John, what do you say to this?“ Oder „John, what would you say to that?“

       Und wie war das bei euren Expeditionen?

      Ich habe immer gesagt, bei einer Expedition muss Demokratur herrschen – also Demokratie und Diktatur gemeinsam: Die Meinung der Mannschaft zählt, aber das letzte Wort hat immer der Expeditionsleiter. Wir haben versucht, alles gemeinsam zu diskutieren und eine Lösung zu finden. Aber wenn es keinen Konsens gibt, dann muss jemand entscheiden, und das ist der Expeditionsleiter. Und das hat bei meinen Expeditionen funktioniert und es hat sich jeder daran gehalten.

       Hast du von Herrligkoffer und Hunt etwas gelernt?

      Von Herrligkoffer sicher nicht. Der Stil von Herrligkoffer – alles, was ich darüber gelesen habe und dann in weiterer Folge auch von Leuten wie Reinhold Messner gehört habe, vor allem wie es am Nanga Parbat 1970 zugegangen ist – war mir zutiefst zuwider. Allein die Expeditionsverträge, die damals die Mitglieder unterschreiben mussten, würden wahrscheinlich bei keinem Gerichtshof standhalten. Das waren Knebelverträge – das war ja beim Buhl auch schon so. Wenn Buhl nicht 1957 an der Chogolisa abgestürzt wäre, dann wäre das Verhältnis zu Herrligkoffer vermutlich genauso eskaliert wie später bei Reinhold Messner. Also von Herrligkoffer habe ich sicher nichts übernehmen können. Von Hunt hingegen schon. Ich hab die Bücher von der 1953er-Expedition verschlungen. Da waren beispielsweise die Ausrüstungslisten genau wiedergegeben, also was man alles mitnehmen muss. Das ging ja bis zur Rolle Klopapier, die man damals in Nepal nicht kaufen konnte. Da habe ich organisatorisch von der britischen Expedition sehr viel profitiert und mir einiges abgeschaut.

       Von Hunt ist überliefert, dass er nach dem Gipfelsieg den Schweizern, die ein Jahr davor am Everest gescheitert waren, geschrieben hat: „To you a good half of the glory.“ Also euch, eurer Vorarbeit, gebührt die Hälfte unseres Ruhmes. Das war so ein Statement von britisch sportlicher Fairness. Wäre das Herrligkoffer zuzutrauen gewesen?

      Nein. Sicher nicht.

      Euch hat Herrligkoffer einmal mit einem Prozess gedroht – eine lustige Geschichte.

      Ja. 1972, als wir am Manaslu waren, war eine Expedition Herrligkoffers in der Südwestwand des Everests am Weg. Uns ist im Basislager ein kleiner Hund zugelaufen, den haben wir Karl Maria getauft. Und als man uns gefragt hat, warum der Hund Karl Maria heißt, haben wir gesagt, weil er nicht übers Basislager hinausgeht. Herrligkoffer war ja kein Bergsteiger, er war ein Expeditionsleiter, der sein großes Messezelt im Basislager gehabt und von dort agiert hat und nie in größere Höhen hinaufgegangen ist. Als Herrligkoffer die Geschichte mit dem Namen des Hundes zu Ohren bekommen hat – im Buch „Sturm am Manaslu“ von Reinhold Messner ist sie ja auch beschrieben –, wollte er uns spontan klagen. Aber es war ihm dann doch zu blöd.

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       Franz Jäger im Manaslu-Basislager mit unserem Hund Karl Maria

       Die Anekdote wirft aber ein bezeichnendes Licht auf eure Unbekümmertheit und damit auch ein wenig auf euren Expeditionsstil. Ihr wart schon – wenn ich es


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