Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz
Zehen erfroren hatte, wurde dort behandelt. Im Bett neben Gert lag mit grimmigem Gesicht Reinhold Messner, der nach der Überschreitung des Nanga Parbat und dem Lawinentod seines Bruders Günther auf die Amputation seiner schwarzen Zehen wartete. Wir kamen schnell ins Gespräch, er sagte mir, dass Wolfi Nairz eine Expedition zum Baur-Sporn am Kangchendzönga plane und dass ich als Expeditionsarzt vorgesehen sei. Wenig später tauchte auch Wolfi auf und bestätigte das. Ich sagte zu, ohne eine Sekunde zu zögern. Erstens wollte ich unbedingt in den Himalaya und zweitens war ich felsenfest überzeugt, dass der lockere Tunichtgut Wolfi unter Wunschträumen litt und ein solches Unternehmen nie organisieren könne.
Erwartungsgemäß scheiterte das Gesuch für den Kantsch in Delhi, aus Nepal kam aber die Genehmigung für die Südwestwand des Manaslu. Wir trafen uns regelmäßig in Innsbruck, aus Wolfis Wohnung wurde ein chaotisches Materialdepot und die neuen Kameraden Andi, Franz, Hans, Josl, Horst und Reinhold zu Freunden. Auch die Finanzierung war chaotisch, aber gelegentlich tröpfelten einige Schillinge herein. Wolfi machte das, wir brauchten uns um wenig zu kümmern und, wie er versicherte, uns keine Sorgen zu machen, er habe gute Verbindungen zu Walli, dem legendären Landeshauptmann. Die Kontakte wurden im Gasthaus Stiegl gepflegt.
Kaum fassbar für mich, aber im März 1972 wurden wir, Krawatte tragend, im offiziellen Expeditionsdress verabschiedet. Wir wussten, wo unser Berg stand, und hatten ein einziges Foto der Südwestwand gesehen, aber Wolfi meinte, dass wir schon einen Weg finden würden. Kathmandu war ein charmant dreckiges Nest, wir fanden unseren Berg und dank unserer Cracks auch eine einigermaßen sichere Aufstiegsroute. Einmal war im Basislager Damenbesuch angekündigt, Françoise, eine blonde Trekkerin aus der Westschweiz, wollte uns besuchen. In der Männergruppe wurde der Einsatz von Seife dramatisch gesteigert, und ich hatte mein Nachtlager aus dem gemeinsamen Zelt mit Wolfi zu räumen und in ein winziges Hiebeler-Zelt zu verlegen. Als dieses in der Nacht wegen Schneeregens tropfnass wurde, wälzte ich mich in meinem Schlafsack und dachte daran, was Wolfi und Françoise wohl machten und überhaupt ob. Für diesen Freundschaftsdienst revanchierte sich Wolfi später in größeren Höhen. Als ich auf 7000 Meter ein Höhenlungenödem erlitt, brachte mich Wolfi voller Fürsorge Tausende Meter tiefer, wo ich mich erholte und dann die Erfrierungen von Reinhold und Horst, den übrig Gebliebenen aus der Gipfelzone, versorgen konnte. Schon beim Abschiedsgedenken für Andi Schlick und Franz Jäger vereinbarten wir eine weitere Expedition.
Zwei Jahre später bissen wir uns in der Makalu-Südwand fest. Wieder hatte Wolfi mit unerschütterlichem Optimismus ein unmögliches Ziel möglich gemacht. Dass wir letzten Endes nicht bis zum Gipfel kamen, tat unserem Tatendrang keinen Abbruch. Schließlich wartete der Everest.
Diese Reise war abgesehen vom Tod unseres Sherpas Dawa Nuru im Khumbu-Eisfall unsere glücklichste, das begann schon beim Anmarsch ins Basislager. Ich lernte eine amerikanische Trekkerin mit dem aufreizenden T-Shirt „Runners Make Better Lovers“ kennen, die mich dann im Basislager besuchte und einige Tage blieb. Ihre Freundin zog bei Reinhold ins Zelt. Die Sherpas warnten uns: Frauen im Base Camp brächten Unglück, zudem würden Reinhold und ich den Gipfel sicher nicht erreichen, da wir unsere Kräfte unnötig verschleuderten. Vereinzelt wurden Forderungen laut, die beiden Frauen hätten zu verschwinden. Da war Wolfi, unser „Bara Sahib“, großzügiger und weitsichtiger: „What makes my members happy, makes me happy.“ So erreichten Wolfi, Reinhold und letzten Endes auch ich den Gipfel der Erde.
DUNKELHEIT, KÄLTE UND LAWINEN AM LYSKAMM
Diesen Augenblick haben wir lange herbeigewünscht: Andi steht schon auf dem Gipfel in der Sonne, Franz und ich steigen die letzten Meter hinauf, hinauf zur Sonne, die wir drei Tage nicht mehr gesehen haben.
Vor drei Tagen, am 5. Jänner 1971, um zwei Uhr früh, sind wir von der Monte-Rosa-Hütte aufgebrochen. Unsere schweren Rucksäcke haben wir am Vortag zum Einstieg getragen. Der Mond ist schon wieder untergegangen, es ist dunkel und unheimlich kalt. Wir kommen rasch voran, denn wir haben noch die Spuren vom Tag davor. Über den rechten Wandteil hören wir eine Lawine donnern. Gleich darauf wieder unheimliche Stille. Um sechs Uhr seilen wir uns am Wandfuß an und machen die Steigeisen fest. Im ersten Lichtschein steigen wir ein.
Über einen Lawinenkegel kommen wir zuerst gut weiter. Aber bald stehen wir auf blankem Eis. Schlechtem, spröden Wassereis, das wegbricht. Darunter schimmert es grün. Es lassen sich keine Eisschrauben anbringen, wir sind gezwungen, Eishaken zu schlagen, was viel Zeit und Kraft kostet. Gerade jetzt ist jede Minute kostbar, denn über uns hängen drohend einige Eisbalkone, die jeden Augenblick abbrechen können. Wir queren hinüber zu den Felsen, dort sind wir sicherer. Die Standplätze sind schlecht, die Sicherungsmöglichkeiten gleich null. Am Nachmittag haben wir noch nicht einmal die Höhe der ersten Terrasse erreicht.
In einer steilen Rechtsquerung führt Franz hinüber zu dieser Terrasse. Er muss jetzt Stufen schlagen, da weder Schrauben noch Haken halten. Die Sonne ist weg. Wir klettern noch zwei Seillängen, dann finden wir eine große, zugewehte Spalte. Nach kurzer Zeit haben wir eine nicht sehr geräumige, aber doch einigermaßen bequeme Schlafhöhle fertig. So gut es geht, richten wir uns gemütlich ein. Überschuhe und Gamaschen werden ausgezogen, die ganze Schlosserei an der Eiswand der Spalte aufgehängt. Wir kriechen in unsere Schlafsäcke, bald schnurrt der Kocher – endlich gibt es etwas Heißes zu trinken. Franz klagt über seine Zehen. Andi und ich massieren sie, bis wir vor Müdigkeit einschlafen.
Kaum zu glauben, dass man bei einem Biwak mit Außentemperatur von minus 30 bis 35 Grad gut schläft. Wir haben gut geschlafen. Wir haben sogar verschlafen! Es war schon taghell, als wir aufwachten. Ein neuer Tag, ein wolkenloser, aber genauso kalter Tag begann. Wir hofften, heute den Gipfel zu erreichen, aber es sollte anders kommen.
Vier Seillängen in steilem, schlechtem Eis führen hinauf bis zu den Felsen. Hier gilt es, einen geeigneten Durchstieg zu finden, den wir auch bald entdecken. Sehr langsam kommen wir weiter, die schweren Rucksäcke lassen uns ganz schön schnaufen, dabei haben wir wirklich nur das Allernotwendigste eingepackt. Heute ist es unangenehmer als gestern, zur Kälte kommt ein starker Wind, laufend rieseln Schneefontänen über uns hinweg. Um ein Uhr mittags haben wir Funkkontakt mit Freunden am Gornergrat: „Grüße aus Innsbruck, man ist sehr besorgt um euch, viele haben angerufen.“ – „Uns geht es so weit gut, bis auf die große Kälte …“
Man glaubt nicht, was ein paar vertraute Worte von „außen“ ausmachen. Man ist doch nicht allein! Das gibt Auftrieb! Seillänge um Seillänge geht es weiter. Der Höhenmesser zeigt 4200 Meter; es wird bereits wieder Abend, wir haben uns mit einem zweiten Biwak abgefunden. Es wird schon dunkel, doch wir können keinen geeigneten Biwakplatz finden. Im Mondlicht steigen wir noch ein paar Seillängen weiter bis zum Gipfelhang unter einem großen Eiswulst. Hier hat der Wind viel Schnee hereingeweht. Im Mondschein und beim Licht der Taschenlampen graben wir uns ein Loch in den etwa 50 Grad steilen Hang, aber sehr weit und tief kommen wir nicht, bald stoßen wir wieder auf Eis. Es ist sehr eng in diesem kleinen Loch. In der Nacht weht es immer wieder Schnee auf unsere Schlafsäcke, und es ist viel kälter als in der letzten Nacht.
Am Morgen sind wir bald beim Eiswulst. Wir wissen, darüber ist der Gipfel – und die Sonne. Andi probiert es rechts – unmöglich! Sehr schlechtes, senkrechtes Eis verwehrt den Durchstieg. Wir klettern nach links in die Felsen. Von hier quert Andi dann unter dem Eiswulst entlang noch weiter nach links. Immer noch versperren überhängende Eiswände den Ausstieg. Endlich findet Andi einen geeigneten Durchstieg. Meisterhaft bewältigt er dieses letzte Problem, seinen Rucksack seilen wir auf.
Die Schwierigkeiten liegen hinter uns – vor uns der Gipfel, die Sonne, nach drei Tagen endlich wieder Sonne! Überglücklich!
„IM STRASSENGRABEN SCHLAFEN WIR, DANN RENNEN WIR ZUM EINSTIEG“
Die erste Winterbegehung der Nordwand des Lyskamms in den Walliser Alpen zusammen mit Andi Schlick und Franz Jäger war zweifelsohne ein Meilenstein deiner Kletterkarriere. Das wird schon klar an