Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz

Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen - Wolfgang Nairz


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aus dem vierten Tourenbuch, 1963

      Am Samstag, dem 28. 12. 1963 fahren wir mit dem Bus mit unseren Riesenrucksäcken in die Axamer Lizum, mit dem Lift geht’s auf den Hoadl und hinten hinunter auf die Kemater Alm. (Jetzt kann man wirklich singen: … Zwoa Brettln und nirgends a Schnee …)

      Diesen „schneelosen“, aber eiskalten Winter wollen wir – Heralt Schneider und ich – aber zum Klettern nützen. Bereits am nächsten Tag steigen wir in Richtung Alpenklubscharte hinauf. Wir wollen die 2. Winterbegehung der Fischer-Fohringer-Route an der Kleinen Ochsenwand machen. Erst um 11:00 Uhr steigen wir ein. Es ist saukalt (soll heißen sehr sehr sehr kalt!), 2x habe ich den „Hoanigl“, doch bald werden die Finger wieder warm. Nach 1¾ Stunden steigen wir aus. Wir queren das Band zur Alpenklubscharte hinaus, dort treffen wir Sepp und Hansjörg, die die 1. Winterbegehung der rechten Nadelsockelkante gemacht haben.

      Am Abend beim Wein kommen wir auf die verrückte Idee, uns den Bazanellapfeiler näher anzuschauen. Um halb acht wachen wir auf. Es ist schönes Wetter, jedoch viel kälter als am Vortag. Wir zögern noch kurz, dann stehen wir auf.

      30. 12. 1963 Kleine Ochsenwand, Direkter Nordpfeiler (Bazanella), 1. Winterbegehung

      Beim Einstieg zittern und frieren wir. Es fängt ziemlich schwer an. Zuerst geht’s über brüchigen Fels zu einem kleinen Standplatz (kalte Finger!). Ein feiner, überhängender Riss durchzieht den rechten Wandteil. An die Kälte hat man sich jetzt schon gewöhnt und wir klettern ziemlich schnell. Wo der Riss aufhört, quert man nach rechts auf die Kante und geht dort weiter bis auf die Schulter des Pfeilers. Der Haken, der dort angeblich stecken sollte, ist eingeschneit. 10 Meter absteigen über abschüssigen, vereisten Fels, dann spreizt man ca. eineinhalb Meter auf die Wand hinüber, da war mir nicht ganz wohl zumute. Die nächste Länge ging es dann leicht hinauf bis zu einem guten Standplatz.

      Jetzt beginnen die Hauptschwierigkeiten: Man quert circa 4 Meter nach links, dann geht es in einen überhängenden Riss hinein. Zuerst stecken noch drei Haken, dann geht’s ca. 8 Meter überhängend, kleingriffig und abdrängend hinauf bis zum nächsten Haken. Dann steckt noch ein Haken, aber es wird noch schwerer! Für die rechte Hand ist ein Griff da, für die linke Hand ein paar kleine Griffe (… du hast ja nur zwei linke Hände, schreit Heralt herauf! …). Tritte sind keine da. Beim nächsten Haken muss ich mich erst einmal erholen. Heralt fotografiert fleißig. Auf den nächsten 5 Metern bis zum Standplatz unter dem Dach sind nur ein paar Miniaturgriffe vorhanden, für die Füße nichts! Der Standplatz ist sehr klein und vor allem luftig. Heralt kommt nach. Den Riss ist er bald heroben, da er eine Fifi hat, doch dann geht ihm bald das Schmalz aus (… die Liesl wird ihn in der Nacht schon nicht schlafen lassen haben, ich hab halt doch die bessere Kondition …). Zuerst zaubert er mit seiner Fifi herum, dann streckt er sich bis zum nächsten Haken, schreit: „ Pass auf, i fliag! …“

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       Kalte Finger und ein Krampf in den Händen: Heralt Schneider bei der ersten Winterbegehung des Bazanellapfeilers in den Kalkkögeln

      Ich rede ihm noch gut zu, jedoch 1½ cm vor dem Haken ist es endgültig aus, Heralt hängt 2 Meter tiefer und flucht! Ich habe ihn ganz gut gehalten, und er versucht jetzt verzweifelt, sich hinauf zu hanteln, doch sein Schmalz lässt immer mehr nach, und nach 45 Minuten kann ich ihn auch nicht mehr halten. Ich lasse ihn noch bis auf ein Band (nach meiner Aussage), Griff (nach Heralts Aussage) hinunter und fixiere dann die Seile. Jetzt habe ich einen Krampf in den Händen und spüre die Finger nicht mehr vor lauter Kälte, und Heralt muss selber schauen, wie er mit seinem Salat zurechtkommt. Er flucht, schimpft, ächzt, wirft mir alle Schimpfworte dieser Welt zu, aber schließlich prusikt er sich zu mir herauf. Inzwischen habe ich meine Finger wieder warm bekommen. Der Standwechsel ist ziemlich schwierig.

      Nun geht es über das weit ausladende Dach in einen engen Kamin (ich blieb zuerst mit dem Kopf stecken!) und weiter in einen Riss. Dieser endet nach circa 15 bis 20 Metern in schwieriger Freikletterei auf einem guten Standplatz. Heralt, der noch immer nicht viel Schmalz hat, kann ich nachziehen. Langsam kommt er auch wieder zu Kräften! Nun geht es in eine Höhle und weiter oben aus dieser wieder hinaus. Langsam wird es dunkel. In der darauffolgenden Schlucht ist es saukalt, wirklich saukalt, vereist und dunkel. In einem Riss sehe ich einen Haken stecken. Der Riss wird immer brüchiger, und beim nächsten Haken hänge ich mich hinein, um meine Finger zu wärmen. Beim Weitergehen halte ich mich kurz daran – und habe ihn auch schon in der Hand! Die nächsten 10 Meter bis zum Band sind noch äußerst schwierig und sehr brüchig. Am Band angelangt kann ich endlich aufatmen. Heralt kommt schnell und bald nach und wir queren das Band hinaus zur Alpenklubscharte.

      Gewonnen!

      Heralt schuldet mir 5 Schnäpse: 2x hat er das Knie verwendet, 1x für den Flug und 2x fürs ziehen! Es sind aber mehr geworden …

      P. S. Gagga und Spitz ärgern sich, dass wir ihnen am Bazanellapfeiler zuvorgekommen sind!

      DIE INNSBRUCKER BERGSTEIGERSZENE DER WILDEN SIEBZIGER MIT WOLFI NAIRZ, DEM UNBEKÜMMERTEN

       Von Oswald Oelz

      Meine Stadt der Helden war Innsbruck, von dort stammten die wilden Vorbilder, allen voran Hermann Buhl. Als an einem Sommermorgen 1957 der Radiosprecher meldete, Buhl sei an der Chogolisa abgestürzt, sagte ich erschrocken am Frühstückstisch, mir wäre lieber, meine Schwester wäre gestorben. Vom Vater bekam ich eine Ohrfeige, Mutter war entsetzt und meine Schwester weinte. Aber mir war ernst. Ein Jahr später durfte ich als 15-Jähriger in den Kalkkögeln eine Ausbildungswoche unter Leitung von Wastl Mariner machen und kam 1961 zum Medizinstudium in die Heldenstadt Innsbruck. Hier lebten Walter Spitzenstätter, Otti Wiedmann und Robert Troyer, und mein mich sehr schnell übertreffender Kletterschüler Gagga brachte mich in den Dunstkreis der „Gipfelstürmer“. Von denen wusste man, dass sie wilde Hunde waren und schon einmal ein Hüttenmobiliar zerkleinerten, um bei einem Stiftungsfest herauszufinden, wie groß der resultierende Holzhaufen werde. An einem Standplatz in der Martinswand traf ich den späteren Professor Friedl Purtschscheller. Wenig später machte Puti mich mit Wolfi Nairz bekannt, sicher war es in einer Kneipe: „Das hier ist der Wolfi, der studiert Glaziologie, auf der Uni sieht man ihn nie, der ist immer am Gletscher oder beim Klettern.“ Wolfi beherrschte schon damals die Kunst des entspannten Seins, das trotzdem oder deswegen erfolgreich war. Er war Mitglied des Akademischen Alpenklubs und damit automatisch Konkurrent, da ich mich im Kreis der „Gipfelstürmer“ bewegte.

      An einem Samstagabend saßen Kurt „Gagga“ Schoißwohl, Robert Troyer und ich im Gasthaus, als das Wort Rotwand fiel. Drei Stunden später waren wir dank Robert am Karerpass und beim Morgengrauen am Einstieg der direkten Führe von Brandler und Hasse. Mittags erwarteten uns die Gipfelstürmer mit zwei Flaschen Kalterer See am Gipfelplateau. Daraus wurde ernsthaftes Trinken und resultierte meine Aufnahme in diesen elitären Club. Dies war meiner Meinung nach für einen Vorarlberger das Höchste, was in Innsbruck zu erreichen war. Somit konnte ich die Großen auf Augenhöhe ansprechen, selbst wenn sie Klassen besser waren. Dieses verheißungsvolle Kletterleben wurde durch meine Promotion jäh unterbrochen, und ich verzog zur weiteren medizinischen Tätigkeit nach Zürich. Hätte da nicht Gert Judmaier am 3. September 1970 am Gipfelgrat des Mount Kenya einen sehr großen lockeren Felsbrocken gelöst und wäre damit abgestürzt, hätte ich im Leben wohl noch einige Touren und Trekkings gemacht, wäre aber in der Bergsteiger-Anonymität verdämmert. Dank der offenen Unterschenkelfraktur von Gert auf 5100 Meter in totaler Einsamkeit und wildestem Gelände und der siebentägigen Bergung kam ich in Innsbruck wieder ins Gespräch. Die primäre Versorgung mit Hilfe kenianischer Bergsteiger und die vom Vater Fritz Judmaier mit Gerhard Flora organisierte Rettung brachte uns in die Schlagzeilen der Presse bis zu einer langen Geschichte im Reader’s Digest. Nur in Innsbruck konnte damals innert 24 Stunden eine so professionelle Rettungstruppe zusammengestellt werden: Walter Spitzenstätter, Werner Haim, Horst Bergmann, Walter Larcher, Kurt Pittracher und Raimund Margreiter. Für mich geschah damals ein Wunder, Gert überlebte, die Innsbrucker Szene hatte im Ernstfall perfekt funktioniert.

      Dann besuchte ich Gert in der Innsbrucker Chirurgischen


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