Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3). Ina Krabbe

Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3) - Ina Krabbe


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dass du in die Schule kommst, Schätzchen.« Sie drehte sich abrupt um und ließ ihre Tochter verdutzt hinter dem Zaun stehen.

      Malu verdrehte die Augen, das war echt typisch für ihre Mutter. Jetzt würde sie den ganzen Tag darüber grübeln, was die ihr sagen wollte und am Ende hatte sie nur be­schlossen, die Wände in der Halle lila zu streichen oder so was in der Art. (Was keine schlechte Idee wäre, aber Edgar würde toben!)

      Als Malu gerade über die alten Zaunbohlen kletterte, kam Paul, der Chef der Handwerkertruppe, wild winkend aus der Flügeltür des Hauptgebäudes gelaufen. Er fegte die Stufen der breiten Steintreppe hinunter, die immer noch von den bröckelnden Steinlöwen gesäumt wurde, und machte vor Rebecca eine Vollbremsung.

      »Wir haben was gefunden«, keuchte der blonde junge Mann. »Das müssen Sie sich ansehen. Kommen Sie!«

      Am liebsten hätte er ihre Mutter wohl am Ärmel hinter sich hergezogen, dachte Malu. Sie sprang vom Zaun und lief zu den beiden hinüber. Was hatten die Arbeiter wohl im Schloss entdeckt? Das wollte sie auf keinen Fall verpassen. Den Schatz vielleicht? Den Schatz vom Funkelsee, den sie über ein halbes Jahr lang mit ihrem Bruder zusammen gesucht hatte? Einer Legende nach hatte der alte Baron von Funkelfeld das Familienvermögen kurz vor Kriegsende versteckt, nachdem er über den Tod seiner jüngsten Tochter etwas seltsam geworden war. Aber eigentlich glaubte inzwischen niemand mehr an diesen Schatz – niemand, bis auf Malu. Sie hatte als Einzige die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.

      Rebecca warf ihrer Tochter einen Du-musst-aber-doch-eigentlich-zur-Schule-Blick zu. Malu lächelte nur und rannte dem Mann hinterher, der bereits wieder im Schloss ver­­schwunden war. Rebecca folgte ihr kopfschüttelnd.

      Malu und Paul warteten ungeduldig in der Eingangshalle. Auch hier drinnen säumte ein Gerüst die Wände und die geschwungene Holztreppe. Die alten Gemälde waren abgehangen und im Anbau verstaut worden. Überall standen Eimer, Werkzeuge und Putzsäcke herum. Nur die Arbeiter, die hier sonst beschäftigt waren, fehlten.

      »Hier lang.« Der Handwerker-Chef führte Mutter und Tochter durch eine Tür unter der Treppe in die angrenzenden Hauswirtschaftsräume. Hier war früher eine riesige Küche untergebracht gewesen, in der für alle Bewohner der Ländereien gekocht wurde. Und wenn es nach Rebecca ging, dann sollte es hier auch wieder eine geben, mit der die Hotel­gäste bewirtet werden konnten.

      Auch diesen Raum durchquerte der Mann mit schnellen Schritten und öffnete die Tür zu einem Flur. Die Bau­arbeiter standen hier alle dichtgedrängt beieinander und schienen etwas zu betrachten.

      »Frau Baumgarten ist da, jetzt macht mal Platz.«

      »Is ja jut, Paul«, brummte ein dicker Mann in Unterhemd und blauer Arbeitshose und rückte zur Seite, sodass Malu und ihre Mutter das Loch in der Wand sehen konnten, das sich hinter ihm auftat. Es war gerade so groß, dass ein Mensch hindurchkrabbeln konnte.

      »Was ist denn hier passiert?«, fragte Rebecca die umstehenden Männer.

      »Det Loch war schon vorher da«, erklärte der Dicke. »Hinter der alten Klamotte da.« Er zeigte auf ein Ungetüm von Schrank, das ein Stück weiter im Flur stand, etwas ab­gerückt von der Wand.

      »Und kickense ma ...« Er stapfte zu dem alten Möbelstück hinüber und drückte gegen den unteren Teil der Rückwand. Mit einem leisen KLACK sprang ein Stück des Holzbrettes nach innen. Der dicke Arbeiter grinste übers ganze Gesicht, als hätte er den Mechanismus selbst erfunden. »Det is der Hammer, wa?!«

      Rebecca Baumgarten sah erst den Schrank an und dann das Loch in der Wand. »Das ist ja merkwürdig. Ein Ge­­heimgang? Aber wo geht es denn durch das Loch hin? Haben Sie mal nachgesehen, was hinter der Mauer ist?«

      Der Dicke schüttelte den Kopf. »Nee, wir ham auf Se je­war­tet. Is ja Ihr Schloss, wa.«

      Die anderen Männer lachten. »Nur ein bisschen ge­spinkst, oder Kalle?«

      Grinsend wischte der Dicke die Hände an seinem ehemals weißen Unterhemd ab. »Konnte aber nix erkennen. Und dadurch pass ik nich.« Er klopfte sich auf seine stattliche Wampe.

      Malu hatte genug von diesem Palaver. Sie wollte jetzt wis­­sen, was hinter der Mauer war. Ein Geheimgang in Schloss Funkelfeld, wie aufregend! Sie holte ihr Handy aus der Tasche und schaltete die Taschenlampen-App an. Dann schob sie sich an ihrer Mutter und den Männern vorbei und kniete sich vor die Öffnung. »Ich werd mal nachgucken, wo es hier hingeht«, verkündete sie und leuchtete in das Loch. Aber die Mauer war ziemlich dick, bestimmt einen Meter, und bis auf Dreck und Staub auf dem Boden konnte Malu nichts erkennen. Doch, da schimmerte etwas durch die Dun­­­kel­­heit! Das musste sie sich sofort genauer ansehen. Sie klemmte sich ihr Handy in den Mund und krabbelte los, be­vor ihre Mutter noch auf den Gedanken kam, sie auf­zu­halten.

      Hoffentlich ham se da keenen einjemauert und da liegt jetz dat Skelett, hörte sie noch einen der Männer sagen. Und dann ein Oh Gott, Malu warte! – das kam von ihrer Mutter. Aber Warten kam natürlich nicht infrage.

      Malu richtete sich auf der anderen Seite der Wand auf und ließ den Lichtkegel des Handys durch den Raum gleiten. Muffig roch es hier drin, als hätte jahrelang keiner gelüftet (hatte ja wahrscheinlich auch niemand). Sie befand sich in einer kleinen Kapelle, das war Malu gleich klar. In der Mitte des Raumes standen fünf Holzbänke hintereinander, davor ein kleiner Tisch, wahrscheinlich eine Art Altar. Und dahinter eine Marienstatue mit dem kleinen Jesus auf dem Arm. Über allem lag eine dicke Staubschicht. Sogar drei Fenster gab es – oder besser gesagt hatte es mal gegeben, denn hinter der Verglasung konnte man Mau­er­­werk erkennen. Malu versuchte sich vorzustellen, an welcher Stelle des Schlosses die Kapelle lag. Von außen waren ihr die zugemauerten Fenster noch nie aufgefallen. Die Kapelle musste im hinteren Teil des Gebäudes liegen, an die Pferde­­wiese angrenzend. Dort gab es auch eine Scheu­ne, die später angebaut worden war. Vielleicht verdeckte diese die ehemaligen Fenster der Kapelle.

      Malu war so in Gedanken versunken, dass sie ihre Mut­ter erst hörte, als die sich aus dem schmalen Gang zwängte.

      »Malu, alles ok?« Obwohl sie flüsterte, hallte ihre Frage dumpf von den steinernen Wänden wider.

      Malu nickte nur sprachlos. Gerade glitt der Lichtkegel ihres Handys über ein riesiges Wandgemälde, das die ge­samte Rückseite der Kapelle einnahm. Es war ein naturge­treues Abbild des Schlosses, so wie es wohl vor hundert Jahren ausgesehen hatte. Prachtvolle Pferde standen auf dem Schlossplatz, gehalten von altertümlich gekleideten Stall­knechten. Damen in bauschigen Kleidern und Herren in Anzügen posierten auf der Treppe, mit stolzen Löwen­statuen zu beiden Seiten.

      »Das ist ja wunderschön«, staunte Rebecca und ging ehr­­fürchtig auf das Wandbild zu. Malu folgte ihrer Mutter.

      Zu spät nahmen beide das Knacken der Holzdielen wahr. Es krachte, dann sackte der Boden unter ihren Füßen weg. Malus Handy rutschte ihr aus der Hand, das Licht wirbelte herum und strahlte das schreckensverzerrte Gesicht ihrer Mutter an. Ein gellender Schrei schallte durch die Kapelle – war es ihr eigener oder der ihrer Mutter? Gemeinsam rauschten sie in die Tiefe und schlugen hart auf. Holzstücke und Dreck rieselten auf sie herab, dann wurde es still. Um sie herum war es stockdunkel.

      »Mama?« Malu konnte die Panik in ihrer Stimme hören. »Mama, wo bist du?« Sie tastete mit beiden Händen vor sich den Boden ab. »Sag doch was!«

      Ein Stöhnen und dann ein Husten von links. Malu atmete erleichtert auf. »Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie in die Dunkelheit.

      Ein erneutes Stöhnen. »Geht so, ich kann mein rechtes Bein nicht mehr bewegen. Was ist mit dir, Malu?«

      »Ich bin ok.« Sie war auf der Seite gelandet und hatte wahrscheinlich einen schönen blauen Fleck auf der Hüfte. Aber das war unter diesen Umständen wohl mehr als ok. Wie lange würden die Arbeiter wohl vor dem Loch auf sie warten, ohne sich Gedanken zu machen? Ob sie den Schrei gehört hatten? Sie musste unbedingt ihr Handy finden und Hilfe rufen. Das Ding konnte ja nicht allzu weit gefallen sein. Wenn Malu Glück hatte, dann war es bei dem Sturz nur ausgegangen und funktionierte noch. Wofür hatte sie schließlich so viel Geld für diese Panzerfolie ausgegeben? Vorsichtig suchte


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