Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3). Ina Krabbe
lag. Gesine hat nämlich gesagt, dass ihr Vater es nach Esmeraldas Tod immer umhängen hatte.«
Edgar grinste. »Ganz schön viele Fragen auf einmal. Aber mich interessiert zu allererst, wie wir die nächsten Wochen ohne Rebecca zurechtkommen sollen. Wir müssen die Arbeiten nachher mit Gesine besprechen und aufteilen – Ah!« Edgar schrie auf und fiel vorneweg vom Zaun. Papilopulus legte seinen großen Kopf genau dort über den Balken, wo Edgar gerade noch gesessen hatte.
»Er findet dich auch langweilig«, lachte Malu. »Arbeiten, arbeiten, arbeiten – wo es doch gerade spannend wird.« Sie wuschelte dem Wallach durch die Mähne. Der blähte die Nüstern und schob sein Maul in Richtung Jackentasche. »Papi, du alter Fresssack. Ich denke, du kommst aus Liebe zu mir, aber alles, was du willst, sind schnöde Leckerchen. Schäm dich.«
Edgar hatte sich wieder aufgerappelt und klopfte sich den Dreck von der Hose. »Was für ein hinterhältiger Anschlag, Papilopulus. Überleg mal, wer dir morgens das Futter bringt. Diese Schlafmütze da bestimmt nicht.«
Malu streckte ihrem Bruder die Zunge raus. Dann betrachtete sie noch mal das Medaillon, bevor sie es zurück unter ihren Pullover steckte. »Ich glaube, der alte Baron hat sich dort unten herumgetrieben, vielleicht finden wir ja da ...«
Edgar drehte sich ruckartig zu seiner Schwester um. »Kein Wort mehr von diesem Schatz, Malu. Da will ich nichts mehr von hören! Diese verdammte Suche hätte uns beide fast umgebracht.«
Das Thema war inzwischen für Edgar ein rotes Tuch. Malu wusste das, aber trotzdem konnte sie den Gedanken an den Schatz nicht aus ihrem Kopf kriegen.
In ihrer Wohnung klingelte das Telefon und Edgar lief schnell über den Hof. Auf halber Strecke drehte er sich noch mal um. »Und komm ja nicht auf die Idee, in die Kapelle zu gehen. Du hast gehört, was Kalle gesagt hat. Es ist alles abgesperrt!«
Malu äffte lautlos das Geplapper ihres Bruders nach. Alter Wichtigtuer! Das würde jetzt wohl noch schlimmer werden, wo sie beide auf sich allein gestellt waren. Sie knuddelte Papi noch mal und folgte Edgar dann zum Haus.
Aus dem Schloss drangen furchterregende Geräusche, so als würden ganze Wände eingerissen – vermutlich war es nach der Renovierung nicht wiederzuerkennen. Malu war gespannt, was das Schloss noch so alles preisgeben würde. Nachher musste sie auf jeden Fall in der Bibliothek nach Plänen und alten Fotos vom Schloss suchen. Vielleicht konnte sie dort etwas über diese Kapelle in Erfahrung bringen.
Als Malu in die Küche kam, hielt Edgar das Telefon immer noch in der Hand.
»Was ist los? Warum guckst du so komisch?«, fragte sie. »Wer war dran?« Malu deutete auf den Hörer.
»Das war Frau Jansen. Vom Birkenhof, wo Rocco und Alibaba gestanden haben, bevor ich hierhergezogen bin«, fügte er hinzu. »Du glaubst nicht, was die wollte!«
»So, wie du guckst ... Hast du noch ein Schloss geerbt? Oder ihren Hof? Will sie dich heiraten?«
Edgar schüttelte unwillig den Kopf, ihm war nicht nach Scherzen zumute. »Sie will Alibaba kaufen ...«, er zögerte kurz, »mitsamt dem Fohlen.«
»Was?!« Malu starrte ihren Bruder entsetzt an. »Wie kommt die denn darauf? Warum?«
Edgar drehte sich um und stellte den Hörer zurück in die Aufladestation. »Hat sie nicht gesagt. Eigentlich wollte sie auch gar nicht mit mir, sondern mit Rebecca sprechen.«
Edgar sagte immer noch Rebecca zu ihrer Mutter, obwohl sie ihn letztes Jahr ganz offiziell adoptiert hatte. Aber an ein Mama konnte er sich mit seinen fünfzehn Jahren einfach nicht mehr gewöhnen.
Hilflos baumelten die Arme an Edgars schlaksigem Körper herunter, als wüsste er nicht so recht, wohin mit den langen Dingern. Dann vergrub er die Hände tief in den Hosentaschen. »Ich habe das Gefühl, sie hatte schon mit ihr darüber gesprochen, kannst du dir das vorstellen?« Misstrauen glitzerte in seinen Augen. Er war schon zu oft enttäuscht worden.
Aber Malu schüttelte den Kopf. »Niemals. Das würde meine Mutter nie machen! Die würde doch Alibaba nicht verkaufen, ohne dich zu fragen. Es ist doch dein Pferd! Und schon gar nicht mit dem Fohlen!«
Edgar nickte. »Ich habe letzten Monat auf dem Birkenhof angerufen, weil es mir doch keine Ruhe gelassen hat, wer der Vater von Alibabas Fohlen ist. Hätte mich einfach mal interessiert. Es muss ja passiert sein, als Alibaba noch auf dem Birkenhof stand.« Er blickte Malu ratlos an. »Aber Frau Jansen wusste von nichts – hat sie jedenfalls gesagt.«
Malu hörte nur halb zu. Edgars Worte über ihre Mutter geisterten durch ihren Kopf. Ich muss dringend mit dir und Edgar reden, hatte sie heute Morgen noch gesagt. Und sie hatte dabei gar nicht glücklich ausgesehen. Konnte es doch sein, dass sie mit Frau Jansen gesprochen hatte? Wollte sie Edgars trächtiges Lieblingspferd etwa verkaufen? Malu schüttelte den Kopf, das konnte und wollte sie sich einfach nicht vorstellen! Warum sollte sie das tun?
Plötzlich durchzuckte es Malu siedend heiß. Die Tasche! Die letzten Worte ihrer Mutter im Krankenwagen! Malu musste sofort in der Handtasche ihrer Mutter nachsehen. Sie sprang auf und rannte in den Flur. Dort baumelte das geblümte Stoffteil am Haken. Hoffentlich fand sie darin keinen Kaufvertrag von Alibaba oder etwas ähnlich Schlimmes. Mit der Tasche unterm Arm kam sie zurück in die Küche.
»Malu, was machst du da?« Edgar blickte ihr über die Schulter, während sie in der Handtasche wühlte. »Was suchst du denn?«
Aber sie kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Es klingelte und Edgar ging in den Flur, um die Tür zu öffnen.
Ein weißer Umschlag aus dickem, rauem Papier fiel Malu in die Hand. Ihr Herz klopfte wie wild. Bitte Mama, bitte, du kannst das nicht gemacht haben!, dachte sie, während sie das Kuvert mit zitternden Fingern öffnete.
Im ersten Moment war sie erleichtert. Es war kein Kaufvertrag! Aber je weiter sie las, desto kälter wurde ihr. Sie wollte einfach nicht glauben, was da stand. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Das war ja noch weitaus schlimmer als ein Kaufvertrag!
3. Kapitel
Malu starrte immer noch auf das Blatt in ihrer Hand, als sie die wütende Stimme ihres Bruders aus dem Flur hörte. Schnell stopfte sie den Brief zurück in die Tasche und lief zur Haustür.
Ein älterer Mann stand vor Edgar und füllte fast den gesamten Türrahmen aus. Er war nicht nur besonders groß, sondern auch besonders dick. Ein sorgfältig gestutzter grauer Bart zierte sein rotwangiges Gesicht, das jetzt ziemlich sauer auf Edgar herabblickte. »Wo ist denn deine Mutter, Junge? Ich bespreche das wohl besser mit ihr.«
»Da gibt es nichts zu besprechen«, fauchte Edgar. Er versuchte die Tür zuzudrücken, aber der Mann hatte seinen Fuß, der in einem schweren Reitstiefel steckte, dazwischen gestellt. Malu fragte sich, welches arme Pferd den schweren Mann wohl tragen musste.
»Was ist denn los, Edgar?« Malu trat neben ihren Bruder und musterte den Fremden.
»Dieser Mann behauptet, das Schloss samt Land gehöre ihm. Er hätte einen Schuldschein, der das belegt. Ein Verrückter!«
»Edgar?« Der Mann musterte den schlaksigen Jungen vor sich. »Na sicher, ich hätte dich ja gleich erkennen müssen, du siehst aus wie eine jüngere Ausgabe deines Vaters. Erkennst mich wohl nicht mehr, was?«
Edgar schüttelte den Kopf, doch Malu konnte sehen, dass er blass um die Nase wurde.
»Winterscheid. Bernhard Winterscheid. Na, vielleicht erinnerst du dich auch nicht mehr, du warst ja noch so«, er hielt seine Hand auf Hüfthöhe. »War ja auch nicht ganz so schön unsere Begegnung. Aber du bist doch nicht nachtragend, oder?«
Edgars Augen glitzerten verräterisch, aber er holte nur tief Luft und sagte ruhig. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Aber Malu sah, dass er log. Ihr Bruder hasste diesen Mann und sie fragte sich unwillkürlich, was der ihm wohl angetan hatte. Edgar gab ihr doch immer wieder Rätsel auf, aber schließlich kannte sie ihn ja auch