Halt. Michael Donkor
Mary stellte sich auf die Zehenspitzen, um an das Regal mit den Würzmitteln und großen Flaschen heranzukommen. Sie schnappte sich das tiefrote Palmöl und stellte es beiseite.
»Am Hochzeitstag wird dieses Gericht der Braut serviert, morgens vielleicht, das weiß ich nicht so genau. Und man serviert es ihr so, wie wir es Uncle und Aunty servieren. Ganz zum Schluss, wenn alles zubereitet ist – die Mischung aus zerstampften Kochbananen, gebratenen Zwiebeln, Nüssen und so weiter –, kommt ein gekochtes Ei obendrauf. Und dann beobachten die Ältesten und alle anderen die Braut. Weil sie das ganze Ei auf einmal hinunterschlucken muss. Ohne zu beißen oder zu kauen. Das Ei als Ganzes.«
»Adɛn?«
»Die Regel der Ältesten besagt: Wenn du das Ei als Ganzes zu dir nimmst, wirst du viele, viele Kinder bekommen. Aber wenn du auch nur das allerkleinste Stück abbeißt, ist es so, als würdest du von deinem ungeborenen Kind etwas abbeißen, und danach wirst du kein einziges Kind bekommen, niemals. Sagen die Ältesten.«
»Sa?«
»Aane. Das haben sie von jeher gesagt. Und jetzt holst du bitte die gerösteten Erdnüsse.«
Mary bückte sich zum Ofen, wedelte die Hitze weg und zog das Blech heraus. Die Erdnüsse knisterten auf der Alufolie. Belinda hackte die Zwiebeln klein und wischte sich mit der Handkante heiße Tränen ab.
»Über das, was du gerade erzählt hast, hätte ich einiges zu sagen, Miss Belinda.«
»Klar. Das würde ich gern hören.«
»Danke sehr. Zunächst mal glaube ich nicht, dass die Geschichte stimmt. Ein gekochtes Ei soll aussagen, wie viele Babys es später gibt? Nein, das finde ich unwahrscheinlich. Außerdem ist das doch grausam für eine junge Dame an ihrem Hochzeitstag, wenn sie sowieso schon mit den Nerven am Ende ist und vor allem Möglichen Angst hast. Adjei! Wozu von einer jungen Frau verlangen, dass sie vor den Augen ihres Publikums würgt und sich dann deswegen schämt? Und was, wenn sie so sehr würgen muss, dass ihr das Ei wieder hochkommt und sich auf ihrem prächtigen Kleid verteilt? Stell dir das mal vor. Wo habe ich das Salz hingetan?«
»Dein Hirn ist ein Sieb. Dort steht es. Dort, neben der Pfanne.«
»Du hast recht. Hier steht es. Und so ist es immer: Belinda weiß Bescheid; Belinda irrt sich nie.«
Die Schärfe von Marys Bemerkung hing in der Luft. Belinda hantierte mit dem Stößel, setzte ihr Körpergewicht ein, um die glitschigen Zwiebeln und Chilischoten zu zerreiben und zu vermischen. Sie hielt inne.
»Ja, mir kommt es auch komisch vor. Ich würde es wohl nicht schaffen. Mein Mund ist zu klein und eignet sich nicht für sowas. Guck mal.«
Belinda drehte sich um und riss den Mund so weit auf, wie es nur ging, Lippen und Hals taten weh, und ihr brannten die Wangen vor lauter Peinlichkeit. Mary lachte. Belinda freute sich und das Brennen ließ nach.
»Du bist so albern, Belinda.«
»Nur manchmal.«
»Stimmt. Nur manchmal.«
Mary unterbrach Belinda beim Zerstoßen, um eine Prise Salz auf die würzige Paste zu streuen, die gerade entstand. Die Kleine wischte sich die Finger ab, hustete, wie Uncle es tat, bevor er eine Anweisung erteilte, und ließ die Schultern hängen. »Ich muss mich wohl entschuldigen.«
»Nein.«
»Doch.«
»Wofür denn? Ich bin nicht böse. Wirklich nicht.« Belinda ging zum Teakschrank, um die Bratpfanne zu holen, und stellte sie auf das Kochfeld neben dem siedenden Wasser.
»Bist du wohl, Belinda. Du bist böse. Ich glaube, du hasst es, wenn man so ein großes Geschrei veranstaltet wie ich im Zoo. Das bist du nicht gewohnt. Also muss ich dich um Entschuldigung bitten. Weil ich weiß, dass du sowas hasst.«
»Ich hasse gar nichts, Mary. Hass ist sehr, sehr schlimm. Darum verletzt es mich auch so, wenn du mich mit diesem Wort in Verbindung bringst. Als du gesagt hast, du würdest mich hassen. Adɛn?«
»Aber so habe ich es damals empfunden. Jetzt empfinde ich es anders. Damals war ich nur ehrlich. Wär’s dir lieber, dass ich lüge wie Pinocchio? Hätte ich so tun sollen, als wäre ich richtig glücklich?«
»Nein, aber –«
»Wär’s dir lieber, wenn ich gar nicht mehr rede? Das würde mir aber schwerfallen.«
Belinda lächelte in sich hinein und hielt die flache Hand dicht über die Pfanne, um zu spüren, ob sie schon heiß genug war. Sie gab Palmöl hinein, dann prüfte sie die Konsistenz der Kochbananen und Eier im siedenden Wasser und stellte fest, dass beides noch etwas garen musste. »Im tro-tro schien es dir sehr leicht zu fallen, das Nicht-Reden, me boa?«
»Gar nicht.«
»Wo se sɛn?«
»Im Kopf habe ich lange mit dir geredet. Sehr lange.«
»Sa?« Belinda schüttete den Inhalt der asanka in die Pfanne und trat einen großen Schritt zurück, als das Öl zischte.
»Das Gespräch lief überhaupt nicht gut. Du – du hast die ganze Zeit versucht, mich irgendwie zu trösten. Das ärgerte mich. Irgendwann hatte ich es satt und holte das Eiswasser aus deiner Tasche und goss es dir über den Kopf. Auch dafür bitte ich um Entschuldigung.«
Mary verneigte sich leicht und Belinda schlug mehrmals mit einem Geschirrtuch nach ihr. Die Kleine tat so, als hätte sie einer der Schläge verletzt. Sie zog eine Schnute, blinzelte und wandte sich wieder den hohen Regalen zu, um Teller, Wassergläser, Tischsets zusammenzusuchen.
Belinda nahm die Pfanne vom Herd und kippte die frisch gebratenen Zutaten in die asanka, später würden die Kochbananen hinzukommen. Bevor sie erneut zum Stößel griff, blickte sie sich nach Mary um, die das Geschirr inspizierte, so, wie Aunty es ihnen am ersten Morgen nach ihrer Ankunft gezeigt hatte.
An diesem Morgen hatten sie sich so vieles merken müssen, als Aunty sie wie eine Königin durch Haus und Grundstück führte und dabei ihr kunstvoll geschlungenes Kopftuch tätschelte, während sie durch hallende weiße Flure, herrschaftliche Bögen und vollendete Gärten schritten, Chaiselongues, Kronleuchter und Tische mit funkelnden Glasplatten passierten. So viele Zimmer, die Mutters Neid geweckt hätten, Belinda jedoch ein flaues Gefühl im Magen bescherten. Sie erinnerte sich daran, dass Mary während der ganzen Führung auf die unmerklichen Spuren gestarrt hatte, die sie mit ihren Flipflops auf dem knarrenden Boden hinterließ, während sie selbst ständig nickte und sich Auntys Wortschwall über Bleichmittelmarken und Essenszeiten einprägte, um ihn Mary später noch einmal vorzubeten, in der Geborgenheit ihres neuen Schlafzimmers, wo die Kleine hoffentlich weniger verängstigt wäre. Als Mary nun das Silberbesteck polierte, wollte Belinda sie dafür loben und preisen. Ein tüchtiges Mädchen. Das war von großer Wichtigkeit und verdiente Anerkennung. Belinda lächelte und wollte gerade den Mund öffnen, als Mary eine Gabel fallen ließ. Die Kleine rührte sich nicht. Stattdessen blickte sie auf die Küchenschränke mit den makellosen Bronzegriffen und fing an zu reden.
»In meiner Heimatstadt, in einer Nachbarsiedlung, hatte ein Junge namens Akwesi an der Sonntagsschule mal eine Prüfung bestanden. Vielleicht war es auch ein Wettbewerb, den er gewonnen hatte. Jedenfalls bekam er einen Preis überreicht. Da lernte ich erst das dämliche Wort für das Ding, das er als Preis kriegte. Es hieß Hula-Hoop. Hu hu hu. Ich fand’s lustig. Der Junge dachte aber nur an sich. Wenn von uns Nachbarskindern jemand fragte, ob er mit dem Ding spielen darf, sagte Akwesi immer Nein.« Mary hob die Gabel auf und wischte sie sauber. »Hübsch war dieser Hula, Belinda. Sie hatten ihn aus allen Farben des Regenbogens gebastelt und sogar mit ein paar Schleifchen geschmückt. Aber es machte mir nicht so viel aus, dass ich nicht damit spielen durfte, weil ich Akwesi zugucken konnte. Er stand mitten im Hof und alle anderen Kinder klatschten und klatschten. Dann drehte er sich so schnell, dass die Farben alle hin und her wirbelten. Und wenn er sich so drehte, schlug mein Herz höher und immer höher, und ich musste wirklich lächeln. Weil – es war so schön. Wa te? Und ich dachte, nichts