Die Katze und der General. Nino Haratischwili

Die Katze und der General - Nino Haratischwili


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so geschwärmt hatte. In höchsten Tönen hatte sie von dieser neuen Serie gesprochen, kommerziell und doch anspruchsvoll, für ein Publikum, das »mitdenken« wolle, mit einigen europäischen Stars besetzt. Aus irgendeinem Grund hatte ihre Agentin tagelang auf sie eingeredet, das, was sie suchen würden, komme ihrem Typ ziemlich nahe, sie solle unbedingt zum Casting fahren. Eine tolle Rolle einer ziemlich kaputten Ermittlerin mit Alkoholproblem in einem europaweiten Kampf gegen ein Drogennetzwerk. Der Regisseur sei ein aufsteigender Stern am Arthouse-Himmel. Sie hatte sie abgewimmelt, hatte gesagt, sie wisse doch, wie die meisten Castings bisher ausgegangen seien …

      Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht musste sie Vera doch anrufen und sich zum Vorsprechen anmelden.

      – Ich verstehe Ihre Skepsis vollkommen. Ihre Haltung zeugt von gesundem Menschenverstand und von Ihrer Seriosität, mit der Sie an Ihren Beruf herangehen. Das ist lobenswert, aber leider erlaubt es mir mein Auftrag nicht, Ihre Antwort zu akzeptieren. Ich sehe aber ein, dass ich unser Angebot bis zu unserer nächsten Begegnung persönlicher und vor allem für Sie ansprechender werde gestalten müssen.

      Diesen Satz warf er ihr hinterher fast wie eine Münze, die jemandem zufällig aus der Tasche fällt und die einem mit einem leisen Klingeln vor die Füße rollt, genau so rollte dieser Satz auf sie zu. Bei den Garderoben angekommen, wähnte sie sich sicher, wollte gleich Anton rufen, um mit ihm in die Stadt zurückzufahren, sie glaubte sich schon als Siegerin in diesem albernen Duell, als ihr mit einer entsetzlichen Klarheit bewusst wurde, dass dieses Gefühl, das sie seit einigen Minuten fest umschlossen hielt, dieses Unbehagen, vollkommen real war, denn die Frage, die der Mann ihr gestellt hatte, das vermeintliche Angebot, das er ihr gemacht hatte, waren bloßes Geplänkel, denn jemand hatte ihr bereits in einem äußerst makabren Schauspiel eine Rolle zugewiesen, und ihre Weigerung, diese Rolle anzunehmen, hatte keinerlei Bedeutung mehr.

      Nachts fand sie keine Ruhe, sie gab den Namen Alexander Orlow in die Suchmaschine ein. Vielleicht existierte dieser Kerl gar nicht, und es war einfach ein dummer Streich, den man ihr spielte? Aber nein, er existierte und stand auf irgendeiner absurden Liste der reichsten Russen weltweit. Mit Immobilienhandel zu Geld gekommen, mittlerweile in Berlin lebend. Und anscheinend hütete er sein Leben und Treiben wie seinen Augapfel, denn für einen Mann mit solch einem beeindruckenden Geldbeutel gab es über ihn im Netz erstaunlich wenige Informationen.

      2016/Die Krähe

      Ich erwachte auf einer Bank, mitten im Viktoriapark. Ich befand mich in einem Vakuum. Ich fror. Ich fühlte mich wie aus Eis und Beton gegossen. Nur mein Hirn war weich und matschig. Ich wusste nicht mehr, wie ich dort hingekommen war. Dass ich die Nacht auf der Parkbank verbracht hatte, realisierte ich erst weitaus später. Mein Rücken war steinhart und verkrampft. Nach und nach kehrte die Erinnerung an das israelische Pärchen zurück, das ich an der U-Bahn-Station Yorckstraße kennengelernt hatte, in einem Kebab-Laden, wo unsere Odyssee begonnen hatte. Sie führte durch die Bars am Mehringdamm, mit Unmengen von bunten alkoholischen Getränken, die wir gierig durcheinandertranken, die gelbliche Pille, die mir Arie oder Ariel anbot, ich erinnere mich nicht mehr genau, wie der Mann hieß. Die anmutige, grazile Frau hatte ich deutlicher vor Augen. Auch den Kuss, den sie mir kichernd und aufgeregt auf die Lippen gedrückt hatte, als ihr Freund für eine riskante Weile auf der Toilette verschwunden war.

      Es war kalt. Ich sollte nach Hause. Auch wenn mich dort nichts und niemand erwartete. Auch nicht die Reste meines eigenen Ichs, das ich so eifrig stückchenweise über Städte und Orte, Bars und Bänke verteilt hatte, dass ich mich nicht mehr zusammensetzen konnte. Trotzdem sollte ich … ich hatte heute Abend Schicht.

      Ich zwang mich auf die Füße, sie pochten, ich konnte kaum gerade stehen, mir war schwindelig. Wieso dieser Park? Wieso diese Bank? Wo war meine grazile Sarah oder Rachel oder gar Salome geblieben? Und wo war ihr ganz und gar nicht biblischer Begleiter, der sich an bunte Pillen klammerte, da er Angst hatte vor einer Welt ohne Rausch? Meine Jacke war heil, ich begutachtete mich. Die Jeans hatte dunkle Flecken an den Knien.

      Ich lief weiter, setzte mühsam einen Fuß vor den anderen, ließ mich bereitwillig von dem mir feindlich gesinnten Oktoberwind auspeitschen. Ein paar vereinzelte, genervte Menschen kamen mir entgegen. Ich humpelte weiter und versuchte den Rost an meinen Knochen zu ignorieren.

      In der U-Bahn fiel mir ihr Name ein: Tova. Gab es eine biblische Tova? Und wenn ja, war sie fügsam und schicksalsergeben oder trotzig und rebellisch? Hatte sie die Männer zu ihrem Glück geführt oder in schwindelerregendes Unglück gestürzt? Und hätte mir jene Tova, die mir einen unschuldigen und für sie doch so mutigen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte, auch Unglück gebracht, wäre ich bei ihr geblieben, länger als für den Kuss, länger als für die Nacht? Oder hatte sie sich von mir Rettung erhofft, einen Blick in eine vielversprechendere Kristallkugel, als ihr ihr Mitstreiter bieten konnte? Hatte sie mich hierhingeführt und als Strafe auf die Bank gelegt, sollte ich ein Opfer werden für ihren zornigen Gott? Ich schmunzelte bei der Vorstellung, etwas an diesem Bild erschien mir amüsant. An irgendjemanden hatte mich die elegante Tova erinnert, fiel mir jetzt wieder ein, bloß an wen?

      Ich taute nach und nach auf. Es war ein schönes Gefühl, dass mich keiner beachtete, dieses In-Ruhe-gelassen-Werden. Das hielt mich hier, das hatte mich so lange nach ihr hier gehalten, hier, in dieser Stadt, hatte mir die einzige mir zustehende, einzige unbefleckte Verbundenheit mit Asphalt, Beton, mit muffigen U-Bahn-Zügen gegeben, eine ehrliche, eine unschuldige Verbundenheit.

      Der Tag war noch frisch, zu frisch für meinen Geschmack, und versprach sich unnötig gemein in die Länge zu ziehen. Meine Schicht begann erst um Mitternacht. Also lief es darauf hinaus, mich zu verkriechen und den Tag über tot zu stellen. Ich wollte niemanden treffen und sprechen noch viel weniger. Ich wollte mich weiterhin so zerstreut und uneinheitlich fühlen, so nebulös und so unkonkret. Ich könnte weiterschlafen oder eine Runde World of Warcraft spielen, sollte beides nicht richtig funktionieren, würde ich einfach Zopiclon einwerfen und ins Delirium fallen.

      Kurz vor dem Aussteigen aus der Bahn dachte ich an meine Mutter, daran, dass ich sie anrufen sollte, aber mir erschien diese Vorstellung so unzumutbar, dass ich die Idee sofort verwarf.

      Ganz sicher: Tova hatte mich sentimental gemacht. Sie und ihre archaische Selbstverständlichkeit, oder zumindest glaubte ich diese in ihr zu erkennen, als ihre Lippen sich auf meine legten. In ihrer ganzen Fügsamkeit spürte ich die Sehnsucht nach mehr, mehr als das, was ihr das Leben versprach, was ihr ihr Freund bieten konnte, ihr Schicksal. Dieser winzige Riss in ihrer fröhlichen, fügsamen Welt, durch den ich hindurchgeblickt hatte letzte Nacht, hatte mich sentimental gestimmt, hatte mich berauscht, hatte mich ihr durch die Nacht und die Kälte folgen lassen. Dieser Riss hatte mich an eine Tür geführt, durch die ich seit Monaten nicht mehr gegangen war, eine Tür, die mich zu ihr führte. Ich aber wollte nicht mehr zurück, nicht wieder zu dem Felsen, an dem ich zerschellt war. Aber Tovas Sehnsucht hatte mich verführt, ich hatte mich mitreißen lassen, und ja, ich hatte mich wieder umgedreht, hatte nach meiner Eurydike geblickt … Aber dort war nur Dunkelheit.

      Ich kaufte mir an einem Kiosk einen säuerlichen Kaffee aus der Thermoskanne und bog in die Wiener Straße ein. Ich beschloss, etwas zu essen und gleich darauf ins Bett zu fallen. Erstens würde die Zeit so schneller vergehen, und zweitens hätte ich weniger Möglichkeiten, die letzte Nacht und somit die damit verbundenen Empfindungen zu rekapitulieren.

      Genau in dem Moment, als ich den Schlüssel aus der Jackentasche holen wollte, trafen sich unsere Blicke. Er hatte wohl schon die ganze Zeit am Straßenrand gestanden, und ich hatte seiner Silhouette nicht allzu viel Beachtung geschenkt, aber nun drehte er sich zu mir und fixierte mich mit seinen dunklen Augen. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, ihm auszuweichen. Seine markante Nase und seine hagere, in die Länge gezogene Gestalt, sein schütteres blondes Haar, das auf eine baldige Glatze hinwies. Schon damals, in diesem anderen Jahrhundert, in dem ich wie Tova an eine gewisse Ordnung und an Gesetzmäßigkeiten geglaubt hatte, in jenem Leben, in dem auch dieser Mann eine Rolle gespielt hatte, erinnerte er mich an jemanden, dessen Lebensaufgabe darin besteht, Geheimnisse zu hüten, dunkle Mysterien zu bewahren. Auch jetzt weckte seine Erscheinung diese Assoziation in mir, wobei ich dieses Mal vielmehr an Charon denken musste, den alten, düsteren Fährmann,


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