Bluemoon Baby. Frank Witzel

Bluemoon Baby -  Frank Witzel


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die ihre Kinder im Kunstunterricht aus alten Glühbirnen hergestellt haben. Bestimmt denkt jedoch kaum jemand daran, was sie in ihrer Freizeit macht. Oder zum Beispiel am Morgen ihres neununddreißigsten Geburtstages.

      Frau Helfrich stand im Pyjama vor dem Spiegel und putzte sich die Zähne. Sie hatte sich im letzten Monat die Vorderzähne oben überkronen lassen, und das verursachte ihr immer noch ein fremdes Gefühl im Mund. Im Alter lernt man notgedrungen, mit dem Fremden in sich selbst umzugehen. Man erhält kleine bis mittelgroße Prothesen und manchmal muß man sogar aufgeschnitten werden und fremde Hände greifen mit kalten Scheren und Messern in einen hinein.

      Zum Glück machte die Medizin fast täglich enorme Fortschritte. Sie entdeckte zum Beispiel immer mehr Sinne. Sinne, die das Körpergefühl regulieren, das Gesichtsfeld, einen Sinn, der allein dafür da ist, eine Rückmeldung an das Gehirn zu liefern, ob es ein Skelett in seinem Körper gibt und wie sich dieses Skelett verhält. Warum sollte es da nicht einen Sinn geben, der allein die Aufgabe hat, dem Gehirn das Gefühl zu vermitteln, es sei unsterblich? Ein Sinn, der uns am Leben hält und dessen Versagen unweigerlich zum Tod führt. Mit einem Mal sehen wir das Leben in seiner ganzen bitteren Wirklichkeit vor unseren Augen, ohne die Rückmeldung des Lebenssinns, der uns sonst mit Hilfe irgendwelcher Neurotransmitter das Gefühl der Unsterblichkeit vermittelt.

      „Was? So sieht das alles aus?“ durchfährt es uns. „Unmöglich! Das ist doch unmöglich!“ Der Vater geht erst in den Schuppen, um die Axt zu holen, dann ins Kinder- und schließlich ins Schlafzimmer, um die Familie von dieser Sinnlosigkeit zu befreien. Das ist natürlich fürchterlich und grausam, denn der Lebenssinn ist bei ihm ausgefallen und hat allein seinem Gehirn keine Meldung von Unsterblichkeit weitergegeben. Bei seiner Familie hingegen existiert dieser Sinn völlig einwandfrei. Weshalb sich Kinder und Frau zu wehren versuchen. Sie kämpfen. Und doch ist es zu nichts nutze. Ihr Lebenssinn erlahmt. Er gibt in Panik nur unzureichende Rückmeldungen. Diese Rückmeldungen können nicht mehr entsprechend decodiert werden. Neuronen, Eiweiße, Transmitter, Kalzium, Phosphor, ohnehin ein recht fragiles Gebilde. Schließlich erlahmt der Lebenssinn und gibt seinen Geist auf.

      Das soll mein Vater sein? Das also ist mein Mann? Ein allzu grober Verstoß gegen einmal gemachte Erfahrungen vermag den Lebenssinn so schwer zu schädigen, daß er umgehend zum Erliegen kommt. Das Ausfallen des Lebenssinns muß zwangsläufig zum Tod führen. Der Mann geht nach oben auf den Speicher und erhängt sich. Er war ein ganz normaler Mann. Unverständlich. Natürlich unverständlich. Wir alle, deren Lebenssinne uns sekündlich ein Gefühl der Unsterblichkeit suggerieren, können so etwas nicht begreifen. Selbst Soziologen und Thanatologen tun sich schwer damit. Dabei beschäftigt sich der Mensch schon seit alters her mit dem Lebenssinn. Ohne bislang jedoch brauchbare Resultate vorweisen zu können.

      Bei Frau Helfrich war der Lebenssinn völlig in Ordnung. „Du bist unsterblich!“ meldete er im Sekundentakt. Sie spülte gerade ihren Mund aus. Trotzdem, diese Kronen waren nun wirklich keine Meisterleistung. Woran lag das nur? Auch neulich im Fernsehen, wer war das noch mal gewesen? Genau, Thomas Fritsch. Braungebrannt saß er in Spanien und ließ sich interviewen. Inzwischen so alt wie der Vater, sah er immer noch gut aus. Aber diese Kauleiste da oben. Nein wirklich. Frau Helfrich sang eine Zeile aus einem der beiden südamerikanischen Volkslieder und achtete darauf, ob ihre Zähne dabei natürlich aussahen. Es ging. Aber sie bekam den Mund nicht mehr so weit auf. Vielleicht taten ihr die Muskeln immer noch von der Behandlung weh. Und am Ende war es auch besser so. Das Zahnfleisch dunkelt bei Kronen so schnell nach. Sie sang dieselbe Zeile noch einmal und ließ dabei die Lippen etwas dichter zusammen. Nein, so ging das nicht. Frau Helfrich war stolz auf ihren großen Mund. Sie fand, daß sie ein bißchen aussah wie Tamara Tajenka.

      Komisch eigentlich, daß man an so jemanden noch denkt, dachte sie. Komisch, daß ich bestimmt seit zwanzig Jahren nichts mehr von Tamara Tajenka gehört oder gesehen habe. Aber immer wieder denke ich an sie. Frau Helfrichs erster Freund, sie war damals 17, hatte ihr gesagt, daß sie wie Tamara Tajenka aussehe. War die eigentlich Deutsche oder kam sie irgendwo aus dem Osten? Sie hatte doch einen Akzent? Und wie hieß nur das eine Lied? Sie kam nicht drauf.

      „Tamara Tajenka“, sagte sie halblaut und lachte. Dann ging sie ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Hatte man Tamara Tajenka nicht tot in ihrem Appartement aufgefunden? Umringt von einer Batterie leerer Wodkaflaschen? Das Opfer ihres eigenen Images, wie so viele Stars. Wahrscheinlich hatte sie die immer gleichen Fragen nicht länger aushalten können: Bin ich Deutsche? Komme ich aus Rußland? Was für andere ein Wissensgebiet aus Trivial Pursuit ist, kann für einen selbst leicht zum existentiellen Scheideweg werden.

      Nein, dachte Frau Helfrich, das war jemand anderer mit dem heruntergekommenen Appartement. Der Name Bodo Silber fiel ihr ein. Ebenfalls ein deutscher Schlagerstar der frühen siebziger Jahre. Den kennt heute nun wirklich niemand mehr. Bodo Silber hatte aber doch eine ähnlich komplizierte Geschichte. Frau Helfrich meinte sich an eine Afrokrause zu erinnern. Aber die Texte waren deutsch, ihres Wissens. Von Bodo Silber hatte sie nicht nur über zwanzig Jahre lang nichts gehört oder gesehen, sie hatte in dieser Zeit auch kein einziges Mal an ihn gedacht. Nun, an ihrem neununddreißigsten Geburtstag fiel er ihr mit einem Mal ein. Wieder lachte sie. Sie zog das Pyjamaoberteil aus und holte ein blaßrosa Unterhemd aus dem Schrank. Darüber zog sie ein Sweatshirt.

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