Bluemoon Baby. Frank Witzel

Bluemoon Baby -  Frank Witzel


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einfach kurz schwanger sein konnte. Oder sich in eine Maschine nach Wisconsin setzen, ganz so wie ein x-beliebiger Schaulustiger. Oder besser noch ein Journalist. Eine Story draus machen. Die Eltern von diesem Douglas aufspüren. Besser noch ihn selbst. Hintergrundinformationen bekommen. Ein paar Fotos machen. Und vielleicht mit ihm schlafen. So wie Diane Arbus mit ihren Modellen. Das waren auch Gnome und FKKler und alles bunt gemischt. Everything is Oooo. Oder dann doch nicht? Außerdem hatte das bestimmt schon längst einer gemacht. Was heißt einer. Alle Zeitungen hatten schon jemanden hingeschickt. Der Rolling Stone Hunter Thompson, und der New Yorker Tom Wolfe. So sah es doch aus. Sie zog sich an und beschloß, zum Bahnhof zu fahren, um sich dann wenigstens die einschlägigen amerikanischen Zeitungen zu besorgen.

      21

      Fast genau drei Monate waren seit der völligen Vernichtung seiner Aufzeichnungen vergangen. Und doch hatte Hugo Rhäs bislang nicht den Mut gefunden, einen wirklichen Schlußstrich unter dieses Thema zu ziehen. Nachdem sich der Samstag in einem Zustand des Herumdösens, Träumens und Erinnerns aufgelöst hatte, war er an diesem Julisonntag relativ zeitig aufgestanden und hatte die Blechdose mit dem symbolischen Ascherest seiner Radix-Theorie als Memento mori beim Frühstück vor sich auf den Tisch gestellt.

      Er wußte, daß heute der Tag gekommen war, an dem er sich auch noch von diesen letzten Überbleibseln würde lösen müssen. Also ging er in den ersten Stock hinauf und stieg von dort mit Hilfe einer Leiter auf den Speicher. Die Hitze war hier oben trotz der frühen Morgenstunde unerträglich. Staub flimmerte in den Sonnenstrahlen, die durch die schmalen Ritzen zwischen den Dachschindeln hereinfielen. Gebückt ging Hugo Rhäs zu der Dachluke und öffnete sie. Draußen rührte sich kein Lüftchen. Ohne noch einen Moment weiter zu zaudern – denn Hugo Rhäs kannte die Gefahr, die von einer falsch verstandenen Zurückhaltung ausging, zur Genüge – nahm er die Blechdose, öffnete sie und übergab ihren Inhalt der Freiheit. Fast auf den Tag genau vor dreißig Jahren hatte Mick Jagger zu den ersten Takten von You can’t always get what you want mit einer ähnlichen Geste hunderte weißer Schmetterlinge in den Himmel über dem Hyde-Park entlassen. Dust to the dust! Möge der reine Geist zurückfließen in den brennenden Brunnen, aus dem er entstand. Die Asche rieselte die Dachziegel entlang nach unten in die Regenrinne.

      Obwohl er nur die Überreste einiger kostenloser Werbezeitungen entsorgt hatte, fühlte sich Hugo Rhäs wie ausgewechselt. Er warf noch einen Blick über das Gelände der alten Papierfabrik, ließ die Büchse auf dem Speicher, da ihn nichts mehr an dieses Kapitel seiner Vergangenheit erinnern sollte, und stieg hinunter in seine Wohnung.

      Als er wieder am Frühstückstisch saß, fiel ihm ein, daß ihn das alles an etwas erinnerte. Genauso hatte er sich mit Anfang zwanzig von seiner Sammlung schwedischer Hefte mit Aktaufnahmen getrennt. Damals hatte er sich gerade zum ersten Mal verliebt. Wie unendlich weit entfernt das alles schon war. Dabei hatte sein Opfer seinerzeit durchaus Erfolg gezeigt, zumindest für vier Monate. Seitdem war ihm in Bezug auf Frauen wenig Glück beschieden gewesen. Die Zeit der Literaturen und Theorien verlief anders als die des Lebens. Gewöhnt, gegebenenfalls anzuhalten und zurückzublättern, alles neu zu schreiben und umzuformulieren, fand Hugo Rhäs sich eines Tages in einem Netzwerk von Gedanken wieder, in dem das Weibliche in seiner konkreten Erscheinungsform erst durch eine Konstante ersetzt und dann ganz herausgekürzt worden war. Manchmal fiel ihm irgendetwas an einer Schülerin auf, aber das war dann nur der Anlaß für eine sentimentale Erinnerung, die er in seinem Notizbuch festhielt.

      Hörten seine Gedanken sonst an dieser Stelle meist schon auf, so drängte ihn an diesem Sonntag etwas weiterzuforschen. Was für Frauen kannte er denn? Verkäuferinnen, Sprechstundenhilfen, Cousinen zweiten und dritten Grades, Joggerinnen, Frauen mit Hund, Politessen. Nein, das war doch einfach zu lächerlich.

      Dann fiel Hugo Rhäs mit einem Mal Frau Helfrich ein.

      Frau Helfrich war eine Kollegin. Musiklehrerin. Schätzungsweise vierunddreißig. Sie war nicht nur die erste einigermaßen ansprechende Frau, die ihm einfiel, sondern bei weiterem Nachdenken auch die einzige. Warum nur Frau Helfrich? Sie hatte einen breiten Mund. Aber das war eher ein Argument gegen sie.

      Das ist wieder mal typisch für mich, dachte er, da kommt mir mal eine Frau in den Sinn, und gleich muß ich sie wieder demontieren. Hugo Rhäs beschloß, diesmal bei der Sache zu bleiben und nicht gleich wieder klein beizugeben. Schließlich waren das nur Äußerlichkeiten. Also weiter.

      Redet etwas zu laut. Lacht zu laut. Das eine hängt eben mit dem anderen zusammen. Und ein Lachen ist doch eher angenehm. Obwohl man sich schon überlegen muß, wie so eine Frau dann im Bett ist. Lacht die dann auch? Und auch so laut? War das dann so, wie er es aus manchen Filmen kannte, wo die Paare mit dem Kopf unter der Decke lagen und rumalberten? Das würde ihn nicht erregen. Im Gegenteil.

      An ihre Augen konnte er sich nicht erinnern. Der Mund geschminkt. Die Lider wahrscheinlich auch. Die Haare hatten so eine Unfarbe. Grau, würde er sagen, aber das war wohl eher eine Art blond. Musiklehrerinnen müssen so sein. Etwas laut und lustig. Anders bringt man die Kinder nicht zum Singen. Ihre Figur? Die konnte er nicht so recht einschätzen, was unter anderem an ihrer Kleidung lag. Offen gestanden wieder ein Minuspunkt. Sie trug immer Hosen und Sweat-Shirts. Unisex.

      Hugo Rhäs schloß für einen Moment die Augen. Eine konsequente Auflistung war das nicht gerade. Keine Arbeitsgrundlage. Aber vielleicht war das auch gar nicht nötig. Denn mit einem Mal erschien ihm ein Bild, das alle anderen Vorstellungen überstrahlte. Er sah einen Blusenausschnitt vor sich. Dieser Ausschnitt war recht unscharf und so, als habe er ihn unter sehr schwierigen Bedingungen und nur für sehr kurze Zeit zu Gesicht bekommen. Dennoch besaß dieses Bild durchaus eine Wirkung. Bei aller Kürze, Unschärfe und unglücklichem Blickwinkel konnte er doch relativ deutlich einen Busen erkennen. Und zwar sah man diesen Busen kurz bevor sich die Bluse beim Aufrichten nach einem Bückvorgang wieder behutsam über die Haut legte. Es war ein eher kleiner Busen. Die Brustwarzen waren hingegen eher groß. Es waren Brustwarzen, bei denen Warze und Warzenhof ineinander übergingen, so daß eine Warze an sich nicht zu erkennen war.

      „Ja, dieser Busen könnte durchaus zu Frau Helfrich passen.“ Mit diesem Satz rüttelte sich Hugo Rhäs wieder wach. Er schüttete Kaffee nach. Tatsächlich stieg ein Gefühl der Erregung in ihm auf. Erstaunlich schnell war das alles gegangen. Und gar nicht so kompliziert wie sonst. Wäre da nicht dieses Lachen. Ein Lachen lacht auch schnell jemanden aus. Vielleicht war es das, was ihm zu schaffen machte. Aber sie würde auch nicht immer lachen. Niemand hatte immer etwas zu lachen.

      22

      Der Rolling Stone hatte tatsächlich einen Artikel von Hunter Thompson in seiner neusten Ausgabe. Leider war diese Ausgabe noch nicht in Deutschland eingetroffen. Hunter Thompson war auf seinem Weg nach Polar, Wisconsin, in einem kleinen Kaff in der Nähe von Lakewood hängengeblieben. Etwa vierzig, fünfundvierzig Meilen von der Farm der Bare Witnesses of Armageddon und dem mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch der Medien zum Loophole D verkürzten abgesperrten Stück Landstraße neben der Bundesstraße 52 entfernt, mietete er in einem kleinen Motel ein Zimmer.

      Die Hitze war immer noch weiter angestiegen. Als er am Abend in einer benachbarten Bar etwas trinken ging, traf er Hal Swiggett. Hal Swiggett war der Veranstalter des jährlichen Handfeuerwaffenwettschießens am Ort. Thompson und er kamen über Waffen ins Gespräch, wobei sich herausstellte, daß Swiggett eine Auto Mag besaß. Thompson war sofort interessiert. Er selbst hatte seine T/C’s .30-30 dabei, auf die er ein Leupold M8-2x Zielfernrohr geschraubt hatte.

      „Geht das denn mit dem Leupold-STD-Aufsatz?“ fragte Swiggett. Thompson lachte.

      „Wenn, dann benutze ich nur Conetrol. Aber das hier ist eine Spezialanfertigung.“ Die beiden verschwanden gegen Mitternacht, um mit Swiggetts Truck in ein nahegelegenes Waldstück zu fahren, wo sie, wie es dann später in der gekürzten Fassung der deutschen Ausgabe des Stone hieß, „einige Runden abfeuerten“. Swiggett hatte seine eigene Theorie über Loophole D und die Bare Witnesses.

      „Was brauchen wir da diesen Kerl ohne Knochen? Das schafft der doch nie. Alles Hinhaltetaktik der Armee, wenn du mich fragst. Wenn die Farm eine Verbindung zur Kanalisation hat, und das scheint


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