Bluemoon Baby. Frank Witzel

Bluemoon Baby -  Frank Witzel


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      11

      Wäre Kalle noch am Abend seines Diebstahls auf den Gedanken gekommen, Hugo Rhäs anzurufen, um ihm dessen Papiere zum Wiederkauf anzubieten, hätte er vielleicht sogar Glück damit gehabt. Natürlich hätte Hugo Rhäs nicht 250.000 Mark zahlen können und wollen, aber vielleicht 500. Ein Angebot, auf das Kalle nach kurzem Überlegen bestimmt eingegangen wäre. Jetzt allerdings, am Donnerstagabend, hatte Hugo Rhäs den Verlust seiner monatelangen Arbeit schon fast verwunden, oder vielmehr als neue persönliche Herausforderung umgedeutet.

      Vielleicht war die Radix-Theorie noch nicht ausgereift genug. Schon gar nicht ihre Umsetzung in eine mathematische Formel. Hugo Rhäs ging in seinem Arbeitszimmer auf und ab. John Steinbecks Hund hatte die erste Fassung von Jenseits von Eden aufgefressen. Der erzwungene Neubeginn wurde zum Welterfolg. Doch was bedeutete das für Rhäs? Hin- und hergerissen zwischen dem Versuch einer Rekonstruktion und einem radikalen Neuanfang, entfernte sich das mühsam herbeigedachte Thema immer weiter von ihm.

      Am Donnerstagnachmittag erhielt er dann einen Anruf der Firma Allwell. Man bat ihn, zum Schein auf das mögliche Angebot eines Wiederkaufs seiner Papiere einzugehen, weil man bei dieser Gelegenheit den Dieb stellen wolle. Hugo Rhäs erklärte sich einverstanden.

      „Wenn ich Ihnen noch eine Frage stellen dürfte“, sagte der Allwell-Mitarbeiter.

      „Ja, natürlich.“

      „Um was für Papiere handelt es sich da eigentlich genau, falls das nicht einer strengen Geheimhaltung unterliegt?“

      „Ganz und gar nicht. Es sind Notizen für eine sogenannte Radix-Theorie.“

      „Radix?“

      „Radix heißt soviel wie Wurzel. Ich verwende den Begriff, um ursprüngliche Gedanken zu bezeichnen. Einfälle, die einem spontan in den Sinn kommen, das, was Joyce als Epiphanien bezeichnet, was …“

      „Also nichts von wirtschaftlicher Bedeutung?“

      „Das würde ich so nicht sagen. Auf den ersten Blick vielleicht…“

      „Was ich meine: wer könnte konkret noch ein Interesse an Ihren Unterlagen besitzen?“

      „Nun, alle möglichen … das heißt im momentanen Zustand, der eher fragmentarisch ist, ja, wie soll ich sagen, im Grunde kann damit kaum jemand etwas anfangen. Es ist noch zu kryptisch, noch…“

      „Ja, so ähnlich haben wir das auch eingeschätzt. Aber trotzdem vielen Dank für die Auskunft, und natürlich auch für Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Wie gesagt, wenn jemand anruft und Ihnen die Papiere anbietet, dann gehen Sie bitte auf alle Forderungen ein. Wir haben Ihr Telefon angezapft und setzen uns dann wieder mit Ihnen in Verbindung.“

      Der Allwell-Mitarbeiter ließ Hugo Rhäs mit einem Gefühl der Unzufriedenheit zurück. Es stimmte ihn nachdenklich, daß er seine Theorie noch nicht einmal ansatzweise hatte vermitteln können. Die mußten ihn für einen Spinner halten. Nichts von wirtschaftlicher Bedeutung! Was wußten die denn? Immerhin hatte sich ja jemand die Arbeit gemacht, die Papiere zu stehlen.

      Eine Viertelstunde später klingelte das Telefon.

      „Rhäs.“

      „Ich glaube, ich habe hier etwas, das Sie interessieren dürfte.“

      „Ja?“

      „Ja. Oder vermissen Sie etwa nichts?“

      „Wie man’s nimmt.“

      „Papiere.“

      „Ja, ja, kommen Sie zur Sache.“

      „Ich bin durch einen Zufall in den Besitz Ihrer Aufzeichnungen geraten und würde sie Ihnen gern zurückgeben.“

      „Ja, dann tun Sie das doch.“

      „Hören Sie mal, ich meine, Sie verstehen doch wohl, daß ich dafür eine kleine Aufwandsentschädigung erwarten darf.“ „Ja natürlich, das verstehe ich. Wieviel?

      „Ich hatte an 250.000 Mark gedacht.“

      „In Ordnung.“

      „Was heißt das?“

      „Ich habe gesagt: in Ordnung.“

      „Und ich habe Sie gefragt, was das heißt.“

      „Was heißt das wohl? Daß ich einverstanden bin.“

      „Ich möchte 250.000 Mark.“

      „Das habe ich verstanden.“

      „Eine Viertelmillion. Und Sie haben nur bis heute Abend Zeit, um das Geld aufzutreiben.“

      „In Ordnung.“

      „In kleinen und unnumerierten Scheinen. Und wenn Ihnen das Probleme machen sollte, dann sage ich nur…“

      „Es macht mir keine Probleme.“

      „Keine Probleme?“

      „Keine Probleme.“

      „Um so besser. Ich melde mich mit weiteren Anweisungen.“

      12

      Als Professorin Rikke um viertel nach elf nach Hause zurückkam, war die Sondersendung über Douglas Douglas Jr., den knochenlosen Siebzehnjährigen, schon vorbei. Wansl, ihr Lebensgefährte, war vom Schachspiel heimgekehrt und saß mit einem Katalog für Elektronikbauteile im Sessel vor dem Fenster. In der Küche summte leise die Spülmaschine, die sie nach Erhalt ihrer Professur als erstes angeschafft hatte.

      „Hast du zufällig ferngesehen?“ fragte sie.

      „Nur kurz. Es gab irgendwas über Schlangenmenschen und Feuerschlucker. Völliger Blödsinn. Hat mich nicht weiter interessiert.“

      „Aber mich hätte es vielleicht interessiert. Außerdem ist das kein Schlangenmensch, sondern ein Junge ohne Knochen.“

      Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dietmar hatte wirklich keine Hemmungen. Ohne Überleitung hatte er angefangen, auf die Lebensgefährtin des Außenministers einzureden und sie zu allem Überfluß auch noch mit zu ihr gezerrt.

      „Wenn Sie sich für Kunst interessieren, dann hab ich etwas ganz Besonderes für Sie.“ Dietmar hatte das eingepackte Bild unter dem Buffettisch hervorgeholt, die Schnur gelöst und die Decke auseinandergeschlagen. „Sei doch so gut, Sabine, und halt das mal kurz.“ Und so mußte Professorin Rikke das Bild in die Höhe halten, während Dietmar der Lebensgefährtin die Einzelheiten erklärte. „Ich setze mich gerade mit der Schrift in der Malerei auseinander. Ein Rückgriff auf den Kubismus. Malerei selbst ist ja auch Schrift. Und so frage ich mich, inwieweit Schrift nicht vielleicht umgekehrt, innerhalb eines Bildes, zum reinen Objekt werden kann.“ Er machte beim Sprechen mit den ausgestreckten Handflächen kreisende Bewegungen über der Leinwand, so als wollte er das Gesagte in das Bild hineinreiben.

      „Riechen Sie? Noch ganz frisch. Ich war den ganzen Tag im Atelier. Das dürfte Sie vielleicht interessieren. Wenn Sie mal vorbeikommen wollen, jederzeit. Warten Sie, ich gebe Ihnen mal mein Kärtchen. Danke, Sabine.“ Dietmar nahm Professorin Rikke das Bild wieder ab und stellte es auf den Boden. Um die Pause zu überbrücken, während er in seinem Organizer nach seiner Karte suchte, stellte er Sabine der Lebensgefährtin vor.

      „Sie ist Professorin für Frauenstudien in Gießen.“

      „Interessant“, sagte die Lebensgefährtin und musterte dabei Professorin Rikke.

      „Ist irgendwas?“

      „Nein, nein. Ich überlege nur, ob ich Sie nicht von irgendwoher kenne.“

      „Ich wüßte nicht.“

      „Na, nicht so bescheiden“, mischte sich Dietmar wieder ein, während er der Lebensgefährtin seine Karte überreichte. „Vielleicht kennen Sie uns aus dem Fernsehen.“


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