Meine Augen sind hier oben. Laura Zimmermann

Meine Augen sind hier oben - Laura Zimmermann


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Jetzt klingt es definitiv so, als wären es Bilder. Aber ich habe keine Ahnung, was ich sagen könnte, um es nicht noch schlimmer zu machen. Also stehen wir einfach schweigend vor dem Matheraum.

      »Dann bis später, schätze ich«, sagt er mit einem Achselzucken.

      Es sind noch sechs Minuten, bis der Unterricht anfängt, und ich möchte nicht, dass er schon geht. Also sage ich das Erste, was mir durch den Kopf geht. »Ich will versuchen, in die Volleyballmannschaft zu kommen.« Nein, will ich nicht. Warum sage ich so was?

      »Volleyball?«, hakt Jackson nach.

      »Ja, aber ich komme wohl eh nicht rein. Jedenfalls bestimmt nicht in die Auswahlmannschaft. Wahrscheinlich nicht mal in die Junior-Auswahlmannschaft.«

      Mich so kleinzumachen, sieht mir sonst eigentlich gar nicht ähnlich. Aber ich habe mich ja sowieso schon entschieden, gar nicht in die Mannschaft zu wollen, weil viel zu viel gehüpft wird und weil ich nicht vorhabe, mich von dem Volleyballtrikot zerquetschen zu lassen.

      »Ist die Konkurrenz denn groß?«

      »Ich … ich habe keine Ahnung, ehrlich gesagt.«

      »Und warum denkst du, dass du es nicht in die Mannschaft schaffst?«

      »Ich weiß es nicht. Ich wollte einfach nicht davon ausgehen.«

      »Du solltest an dich glauben.« Er klingt wie eine Meerjungfrau bei Disney, die ihrem Seelöwen-Freund Mut zuspricht. Als es zum Unterricht klingelt, rührt er sich nicht vom Fleck. »Sprich mir nach: Ich bin.«

      »Ich bin.«

      »Die beste.«

      »Die beste.«

      »Volleyballerina.«

      Ich pruste: »Volleyballerina.«

      »Die je die Hallen der Kennedy Highschool mit ihrer Anwesenheit beehrt hat, so wahr mir das Olympische Komitee helfe.«

      »Die je die Hallen was auch immer.«

      »Sag, du wirst es schaffen.«

      »Du wirst es schaffen.«

      »Sag, ich, Greer, werde es in die Mannschaft schaffen.«

      Ich verdrehe die Augen, aber er gibt nicht nach. Wir stehen uns gegenüber und ich fühle mich unter seinem Blick federleicht, so als würde ein kleiner Schmetterling in meinem Bauch seine Fühler aus seinem Kokon strecken. Schließlich sage ich: »Ich, Greer, werde es in die Mannschaft schaffen. Verdammt noch mal«, ergänze ich noch, um das Maß voll zu machen.

      »Das ist die richtige Einstellung«, meint er und stößt mich mit seiner Schulter kurz an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir ein sehnsüchtiger Seufzer entfährt, so wie der Meerjungfrau, wenn der Meerprinz ihr eine Perle schenkt und sie sich in ihn verliebt.

      Als die Tür zu meinem Kursraum hinter mir zugeht, merke ich, dass ich ganz offiziell zu spät bin, obwohl ich schon seit fast fünfzehn Minuten im Gebäude bin.

      »Scheiße«, sagt Jackson auf Deutsch und stürzt davon.

      Tja, dann werde ich wohl versuchen, in die Volleyballmannschaft zu kommen.

      13

      Im letzten Frühjahr hat mich Maggie zusammen mit Natalie, Tahlia und ein paar anderen Mädchen an einem Wochenende ins Kino geschleift. Meine Neigung, Ansammlungen von Teenagern zu vermeiden, hatte gegenüber dem Versprechen, Seth Rogen wäre irre komisch, den Kürzeren gezogen. Wer immer gesagt hatte, ihre Mutter würde uns abholen, hatte vergessen zu erwähnen, dass die Mutter bis halb sechs arbeiten musste. Also saßen wir nach der Mittagsvorstellung zwei zusätzliche Stunden mit einer Meute Mädchen im Einkaufszentrum fest. Maggie und ich fühlten uns wie der Inbegriff des Klischees. Als ich das zu Tahlias Freundin Kiki gesagt habe, meinte die daraufhin: »Oh, das wird Klicke ausgesprochen, auch wenn es mit ›q‹ geschrieben wird.« Dann fühlte ich mich noch schlechter, denn wenn ich schon Teil einer Clique war, dann sollte es wenigstens eine sein, in der alle wussten, was ein Klischee ist. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, war es auch Kiki, die davon ausgegangen ist, dass wir alle die restliche Zeit durchs Einkaufszentrum schlendern wollten. Quiqui wird nicht in meiner Quichee sein.

      Mags und ich gingen den anderen eine Weile hinterher. Ich schaute mir ab und zu eine Hose an, denn bei Hosen fühle ich mich nicht wie eine Mutantin, und Maggie sagte mir, welche Marken Kinderarbeit in Anspruch nehmen (die meisten).

      Der Nachmittag war langweilig, aber okay, bis Tahlia uns alle in einen Laden namens Dessous Du! führte, ein Unterwäschegeschäft für Leute unter fünfundzwanzig. Alles dort ist grell, gemustert, süß, voller Spitze und winzig. Wäre man kurzsichtig und würde einen Blick auf einen Tisch voller BHs werfen, könnte man glatt meinen, dass man an einem Tisch voller Cupcakes vorbeigeht. Die Atmosphäre in dem Laden lässt sich am besten mit »Sexy Schulmädchen feiern Pyjamaparty« beschreiben, und sollte dein Vater dir dort einen Gutschein besorgen, würde er den Rest des Tages von Sicherheitskräften verfolgt werden. Mich nerven solche Läden einfach nur noch, seit ich mich damit abgefunden habe, immer wieder dieselbe flächendeckende, praktische Unterbekleidung ohne Schnickschnack im Internet zu bestellen, damit ich nicht weiter über dieses Thema nachdenken muss. Der Laden ist nichts für mich. Die anderen Mädchen haben alle gegirrt und gegurrt und sogar Maggie hat einen Stapel Unterhosen durchgeguckt. Meine Brüste haben allein durch meine Anwesenheit dort ein Kilo zugelegt. Jeweils.

      »Ich gehe in den Buchladen«, habe ich gesagt.

      »Ich komme mit«, schloss Maggie sich an und warf ein paar Unterhosen mit MIAU auf dem Hintern einen wütenden Blick zu.

      Aber gerade als wir schon fast aus der Tür waren, fiel mein Blick auf ein Plakat: ein Mädchen in einem süßen karierten BH mit passendem Slip. Und anstatt so dünn zu sein, dass man nicht nur ihre Knochen, sondern auch ihre inneren Organe unter der blassen Haut erkennen konnte, hatte dieses Model Kurven. Richtige Kurven. Als wäre sie aus Fleisch, und zwar aus ganz schön viel davon. Dessous Du!: BHs in großen Größen – unsere Kollektion ist jetzt noch größer!

      Ein billiger Slogan, aber darunter stand in kleiner Schrift: Ausgewählte Modelle in 26AA bis 40G. Wenn es den süßen BH auch in großen Größen gab und die großen Größen auch groß genug für meinen großen Busen waren, dann bedeutete das, dass auch ich einen süßen, karierten BH haben könnte anstatt ein beiges Anstaltsmodell.

      Ich wollte ihn nicht anprobieren, während die anderen Mädchen dabei waren. Aber gleich am nächsten Tag ließ ich mich von Mom ins Einkaufszentrum fahren. (Sie dachte, ich müsse ein Geburtstagsgeschenk für Maggie besorgen.) Ich war in dem Laden, sobald er aufmachte, während die Rentner noch ihre Morgenrunden drehten und die Kundinnen von Dessous Du! noch in ihren Spitzenhemdchen und den dazu passenden Schlafshorts schliefen.

      »Wennde was brauchst, sag Bescheid«, murmelte die Dessous Du! Verkäuferin, ohne von den Mädchen-Tangas aufzuschauen, die sie gerade sortierte.

      Erst habe ich nicht kapiert, wo die großen Größen sein sollten, aber unter den ausgestellten BHs im hinteren Teil des Ladens waren Schubladen mit zusätzlicher Unterwäsche, BH neben BH wie seidige Matroschkas. Körbchen von A bis B bis C und D und E bis hin zu J! Und da war er, der BH de résistance: rosa- und orange- und cremefarbenes Karo mit passenden Boxershorts in (fast, vielleicht?) meiner Größe. Ich nahm noch einen spitzenbesetzten Bralette in Zartlila mit, den man über den Kopf ziehen musste, weil mich das Mädchen auf dem Plakat und der karierte BH so optimistisch gestimmt hatten, dass ich wie von Sinnen war.

      Ich ging mit den Teilen in die Umkleidekabine. Dort hing ein Schild, auf dem stand: Bei Dessous Du! findest DU die ideale Passform! Auf einer Zeichnung darunter nahm eine freundliche Verkäuferin mit einer eleganten Intellektuellenbrille Maß bei einer freudestrahlenden Kundin, die den Körperumfang einer Zahnbürste hatte. Nein, danke.

      Ich probierte den Bralette zuerst an, weil er so bequem aussah.

      Wenn bequem bedeutet, dass man ein kratziges Unterhemd trägt, das aus alten Laken und Dornen


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