Meine Augen sind hier oben. Laura Zimmermann
Hinten waren nur zwei Haken (meiner hat vier) und die Träger sahen aus wie dünne rosa Schleifen, die man einem Baby um den Kopf binden würde, um zu zeigen, dass es ein Mädchen ist. Aber die Körbchen waren wie zwei Rührschüsseln. So als würde man die Segel von einem Piratenschiff nehmen und daraus einen Bikini machen.
Ich öffnete den Verschluss und schob meine Arme durch die Träger. Zum Glück gefiel mir das Karomuster so gut, denn davon gab es eine Menge – genug, um den größten Teil von Donna und Doria zu bedecken ohne überquellende Reste an der Seite. Er passte! Sozusagen.
Zumindest bis ich mich bückte, um den zartlila Bralette aufzuheben, der auf den Boden gefallen war, und beide Brüste aus den Körbchen rutschten. Ich richtete mich auf und stopfte sie wieder rein. Also kein BH, in dem ich einen Handstand machen konnte. Aber das war sowieso nicht mein Ding. Er war weder bequem noch billig noch verlieh er optimalen Halt. Aber er war etwas, das eine Fünfzehnjährige und keine Oma tragen würde, und das war genug.
Ich lehnte mich ein wenig nach vorne. Sie blieben drin.
Noch ein bisschen weiter. Noch immer drin!
Ich lehnte mich so weit nach vorne wie nötig, um jemandem Geld auszuhändigen. Plutsch! Doria entkam. »Was geht hier draußen vor?«, fragte sie.
Wenn ich vollkommen stillhielt und ganz gerade stand, dann hatte Dessous Du! also recht – der übergroße BH passte über meinen übergroßen Busen. Aber die dünnen Träger schnitten schon jetzt in meine Schultern ein und selbst beim kleinsten Hüpfer sprangen D & D durch die Gegend wie eine Matratze auf dem Dach eines VW-Busses.
Im Grunde wurde hier einfach eine größere Version des süßen BHs hergestellt, ohne dabei die physikalischen Gesetze zu beachten, die eine Brust wie meine mit sich bringt. Das ist wie einen Schneemann nicht aus drei, sondern aus dreißig Schneekugeln zu bauen und zu erwarten, dass er genauso stabil ist wie ein durchschnittlicher Schneemann. Oder wie die Matratze auf dem VW-Bus mit einem Freundschaftsarmband zu befestigen.
Ich starrte mein kariertes Selbst im Spiegel an.
Dieser BH hob, hielt und half gar nicht und Donna und Doria hingen beunruhigend nah an meinem Bauchnabel. Du, Dessous, das war nix.
Aber zum ersten Mal seit meinen D-Körbchen-Tagen trug ich etwas Hübsches.
»Alles gefunden?«, fragte die Verkäuferin, die aufgehört hatte, Unterwäsche auszuzeichnen, und stattdessen mit ihrem Handy spielte.
Ich kaufte den nutzlosen karierten BH und die dazu passenden Boxershorts. Keine Ahnung, warum. Sie liegen hinten in meiner Schlafanzugschublade, die Preisschilder hängen noch dran und dort werden sie für immer bleiben.
14
»Tyler muss zum Friseur.«
»Ich auch. Ich nehme ihn mit.«
»Er braucht keinen Fünfzig-Dollar-Haarschnitt.« Damit meint Mom, dass Dad ebenso wenig einen Fünfzig-Dollar-Haarschnitt braucht. Er hat schöne Haare, welliger und dunkler und dicker als die der anderen Väter, aber es ist nicht irgendwie ein komplizierter Schnitt oder so.
»Soll ich ihm die Haare ein bisschen im Badezimmer schneiden?« Dad grinst. Als Tyler klein war, hat er ihm auch einmal »ein bisschen« die Haare im Badezimmer geschnitten, was letztendlich dazu führte, dass er ihm eine Glatze scheren musste. Alle haben dann gedacht, dass er derjenige war, der die Läuse in die Vorschule eingeschleppt hat, und wir ihm deswegen den Kopf rasieren mussten. Für Mom eine Schmach. Ty hat nur gesagt, dass seine Ohren frieren.
Die Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, fünfzig Dollar für Haare auszugeben, die sowieso meistens unter einer Mütze leben, geht eine Weile hin und her. Aber Mom knickt ein, als Dad sie daran erinnert, dass Ty auch eine gründliche Haarwäsche bekommen wird, die der Junge dringend braucht und bei einem billigen Friseur nicht bekommen würde.
Ich will, dass Dad und Tyler endlich gehen, denn ich muss unbedingt mit Mom reden und sie irgendwie davon überzeugen, einen BH von einer Website zu kaufen, die aussieht wie eine ukrainische Betrugsmasche. Und ich will wirklich, wirklich nicht, dass Dad bei diesem Gespräch dabei ist. Einmal musste ich Binden kaufen, als er den Einkaufswagen schob, und habe mich dann die ganze Zeit gefragt, wann Mom ihm wohl erzählt hat, dass ich meine Tage bekommen habe, denn ich habe das ganz bestimmt nicht getan.
Als die Männer weg sind, setze ich mich neben Mom. Sie hockt vor ihrem Laptop und liest Bewertungen über Feng-Shui-Anbieter, die sie in den Ordner packen will.
Sie schaut von ihrem Computer auf. »Ich muss einen Feng-Shui-Fachmann finden, aber das sind alles weiße Frauen mittleren Alters.« Das sagt sie so, als wäre sie selbst nicht eine weiße Frau mittleren Alters.
Über ihre Schulter gucke ich mir die Tabs an. Alle Anbieter haben Namen wie Die Reichtümer der vier Winde oder Wege zum Frieden und Das Chi’-cago Zentrum. »Ich will die Empfehlungen im Ordner diverser gestalten, weißt du?«
»Was ist das für ein Bewertungsportal?«
»Nachbarsleute.«
»Sind nicht alle auf Nachbarsleute weiße Frauen mittleren Alters?« Gewöhnlich beklagt sich Mom über die Nachbarschafts-App, weil sie sie als Konkurrenz betrachtet, aber vielleicht wildert sie auch nur in den Informationen der Schwarmintelligenz.
Sie seufzt. »Deswegen verwende ich sie auch nicht gerne«, sagt sie und verwendet sie weiter. Sie klickt auf ein Foto von einer Frau mit einem langen grauen Zopf und einem Vogel auf der Schulter: Pamela Holly Desrosiers.
»Ich überlege, in der Volleyballmannschaft mitzuspielen«, fange ich an.
Sie schaut nicht vom Bildschirm auf. »Volleyball? Kannst du denn Volleyball spielen?«
»Wir haben es im Sportunterricht gespielt und ich war ziemlich gut.«
Sie nickt und schreibt etwas in ihr Notizbuch. »Das tut dir bestimmt gut. Du solltest mehr unternehmen.« Ich weiß, dass Mom enttäuscht darüber ist, dass ich nicht mehr »unternehme«. Sie ist ein »unternehmerischer« Mensch.
»Ich hätte jeden Tag nach der Schule Training.«
»Vielleicht sollten wir hier bei uns mal einen von denen ausprobieren«, sagt sie und schaut sich um. Die Fünf-kleine-Häuser-Bewertung, die Pamela Holly Desrosiers erhalten hat, muss sie inspiriert haben. Was Pam wohl zu dem Haufen Zeug von Tyler sagen würde, über den man jedes Mal klettern muss, um überhaupt ins Haus zu kommen? Für unseren Energiefluss ist das bestimmt nicht von Vorteil.
Ich versuche das Gespräch auf den BH zurückzubringen. »Also, wegen Volleyball und allem brauche ich einen neuen Sport-BH.«
»Okay. Dann gehen wir dieses Wochenende zu Master’s.« Master’s ist ein großes Sport- und Freizeitgeschäft an der Autobahn. Man kann da alles vom Golf-T-Shirt und No-Show-Socken bis hin zu Jurten und Jagdgewehren kaufen. Es ist Tylers Lieblingsort.
»Eigentlich …«, fange ich an.
»Oh! Der hier sieht chinesisch aus!« Sie schreibt seinen Namen in ihr Notizbuch und ist dabei genauso aufgeregt, wie wenn sie Ballerinas von Tory Burch in Größe 39 im Ausverkauf findet. Ein gutes Angebot für Designerschuhe = der Anschein kultureller Kompetenz. Ich bin froh, dass Richard Lin nicht hier ist, um diesem Gespräch zu lauschen.
»Eigentlich«, fange ich noch einmal an, »habe ich schon einen im Internet gefunden. Er hat wirklich gute Bewertungen.«
»Solltest du ihn nicht vorher anprobieren?«
»Ich habe die bei Master’s angehabt. Keiner passt richtig. Aber der im Internet ist extra für Frauen mit, ähm, also die mehr Stütze brauchen.« Über dieses Thema reden auch Mom und ich nicht wirklich.
»In Ordnung. Willst du ihn mir zeigen?«, sagt sie und schiebt mir den Laptop hin.
Ich rufe die Website auf und finde die Seite mit dem Stabilisator. Mir ist dabei bewusst, wie schrecklich die Seite aussieht, und ich überlege kurz, ob ich nicht einfach zu Master’s gehen, mir irgendeinen BH kaufen