Meine Augen sind hier oben. Laura Zimmermann
die körperliche und seelische Bereitschaft, die psychische Reife und eine Menge anderer Dinge, die keinen Menschen etwas angehen. Es gibt auch eine Liste von Sachen, die man seine Ärztin fragen soll. Wenn ich wirklich mehr über die Operation erfahren will, sollte ich mich dazu überwinden, das ist mir klar. Obwohl ich es vorziehen würde, ihr keine dieser Fragen zu stellen. Als Mom und ich also, bevor die Schule wieder anfing, zu meiner Routineuntersuchung gegangen sind, habe ich beschlossen, die Frage »Greer, möchtest du, dass deine Mutter den Raum verlässt, während ich dich untersuche?« mit Ja zu beantworten.
Ich hatte bis dahin mit keinem Menschen über meine Brüste gesprochen, geschweige denn darüber, wie es mir mit ihnen geht, und es würde auch nicht einfach sein, mit Dr. Garcia zu reden. Aber wenigstens würde unser Gespräch vertraulich sein. Bestimmt haben andere Patientinnen schon viel seltsamere Sachen mit ihr besprochen. Ich hatte vor, total profimäßig damit umzugehen. Dann würde sie wissen, dass ich die »psychische Reife« besaß, die man haben sollte, wenn man als Fünfzehnjährige über eine OP nachdenkt, weil man mit Brüsten rumläuft, die die Größe von Seekälbern haben. (Wenn man als Erwachsener plastische Chirurgie in Anspruch nehmen will, muss man anscheinend keine »psychische Reife« besitzen. Nur genug Geld.) Sobald meine Mutter den Raum verlassen würde, würde ich sagen: »Ich habe recherchiert, welche chirurgischen Möglichkeiten es im Hinblick auf Brustverkleinerungen gibt, und möchte für mich alle möglichen Wege prüfen.« Sie würde einen Stuhl heranziehen, meine Fragen beantworten und keine von uns würde stottern oder rot werden, überhaupt nicht. Vielleicht würde sie mir sogar ein Faltblatt mit folgender Überschrift aushändigen: Geheime, kostenlose Brustverkleinerung, die man im Zeitrahmen von einer Unterrichtsstunde machen lassen kann.
Ich saß da, versuchte meine verschwitzten Hände an diesem Papier abzuwischen, mit dem sie die Untersuchungsliege abdecken, als Dr. Garcia nach ihrem Stethoskop griff. Ich dachte schon, sie würde vergessen zu fragen und ich müsste Mom selbst bitten zu gehen. Aber dann, in letzter Minute, fragte sie: »Greer, möchtest du, dass deine Mutter den Raum verlässt, während ich dich untersuche?« Mein Herz schlug wie wild. Anstatt mich durch das Gesundheitsportal zu klicken und die Erfahrungsberichte von ein paar YouBoobies zu sehen, würde ich dieses Gespräch mit einem echten Menschen führen. Ich wollte unbedingt und gleichzeitig auf keinen Fall mit ihr darüber sprechen.
Nur muss ich vergessen haben, wer meine Mutter ist, denn bevor ich antworten konnte, sagte die: »Ach, stimmt ja! Ich habe vergessen, dass Sie das fragen. Greer, möchtest du dieses Mal irgendetwas Persönliches mit Dr. Garcia besprechen?« Sie schaute mich an, als wäre sie modern und unterstützend und würde meine Privatsphäre respektieren, aber weder machte sie Anstalten, ihr Handy zurück in ihre Handtasche zu tun, noch, ihre Jacke zu nehmen. Sie sagte es so, als wüsste sie schon die Antwort, und die Antwort war, natürlich: »Natürlich nicht.« Dr. Garcia schaute mich jedoch weiter an, und alles, was mir durch den Kopf ging, war: Deswegen verhüten Leute nicht, die eigentlich verhüten sollten. Weil im Grunde schon die Bitte an deine Mutter, den Raum zu verlassen, ihr alles sagt, was sie nicht wissen soll. Ich schüttelte den Kopf. Und wenn ich recht darüber nachdenke: Wenn es mir schon so schwerfällt, meiner Mutter zu sagen, sie soll abhauen, damit ich die Ärztin fragen kann, ob ich reif genug bin, mir die Brüste abhacken zu lassen, wie soll ich dann die nächsten sechzehn Fragerunden mit Krankenschwestern, Chirurgen, Versicherungen, Krankenhauspersonal, meinem Dad und um Himmels willen mit Tyler überleben?
Mom blieb im Raum. Ich hielt still. Dr. Garcia sagte, mein Herz und meine Lungen seien gesund, ich solle den Sonnenschutz nicht vergessen und ich hätte im letzten Jahr zwei Kilo zugenommen. (Mindestens die Hälfte davon ist bestimmt Brustgewebe.) Und dann druckte sie das Genehmigungsformular aus, das man an unserer Schule für Sport braucht. Ja. Genau.
6
»Eine meiner Kundinnen kommt gleich vorbei. Räum mal dein Zeug vom Tisch.«
Tyler wirft einen Blick auf den Esszimmertisch. Darauf stehen eine skandinavische Holzschale und etwa zwölf Kubikmeter von seinem Zeug: Bücher, Hausaufgaben, Elektrokram, Papierfußbälle, leere Verpackungen, Socken und halb leere Wasserflaschen. Er geht in die Küche.
Er öffnet den Kühlschrank, holt eine weitere Wasserflasche raus, bleibt davor stehen und starrt hinein, als würde er darauf warten, dass ein Paket im Gemüsefach auftaucht. Ich sitze an der Kücheninsel, beobachte das Ganze und sage mir, dass ich hier nicht zuständig bin. Es ist Moms Problem, dass Tyler ein Trottel ist, nicht meins. Ich habe versucht, ihr das zu sagen, als sie ihn vor dreizehn Jahren aus dem Krankenhaus mit nach Hause gebracht hat.
Okay, ich halte es nicht aus: »Mom hat gesagt, du sollst dein Zeug wegräumen.«
Tyler wirft einen Blick über seine Schulter auf den Esstisch.
»Das ist nicht alles meins.«
»Doch, ist es.«
»Nein, ist es nicht.«
Ich schiebe meinen Hocker zurück und gehe zum Esstisch. Tyler schlendert herbei und stellt sich neben mich.
»Was davon gehört nicht dir?«
Er wirft einen kritischen Blick auf alles, was über den Tisch verteilt ist. »Das da gehört nicht mir.«
Ja. Stimmt. Die Kjerstønagsrud-Holzschale, die Mom für 175 Dollar im Museumsshop gekauft hat, gehört nicht Tyler.
»Ich glaube, das da gehört dir«, versucht er es und winkt mit einer Hand Richtung Tisch, während er mit der anderen durch die Stories seiner Freunde scrollt.
»Das soll meins sein?« Ich will das Ding noch nicht einmal anfassen. Ich lasse meine Finger nur darüber schweben.
»Nicht?« Er guckt noch immer auf sein Handy.
»Du meinst wirklich, das ist meins?«
»Äh, ja, dachte ich?«
»Tyler, das ist ein Eierbecher. Eine Plastikschale, die man sich in die Sporthose steckt, um die Hoden zu schützen.«
Er schaut endlich hoch und kräuselt die Nase: »Mmh, und?«
»Und du glaubst noch immer, der gehört mir? Wenn man bedenkt, dass ich keinen Hodenschutz trage, weil ich keinen Hoden habe? Und wenn man bedenkt, dass ich, selbst wenn ich einen hätte, sowieso keinen Sport treibe? Und wenn man bedenkt, dass ich kein Schwein bin, das verschwitzte Plastiksachen, die in meiner Unterhose waren, auf einem Tisch liegen lasse, an dem Menschen essen?«
Meine Stimme wird höher und schärfer und Tyler und ich hören beide, dass ich wie Mom klinge.
»Oder vielleicht denkst du auch, ich könnte einen Hodenschutz gebrauchen, wenn ich Hausaufgaben mache, falls mir das Mathebuch in den Schoß fällt und meinen imaginären Hoden zerquetscht. Es ist ein sehr schweres Buch. Es könnte einigen Schaden anrichten. Bietest du mir das deswegen an? Wirklich sehr süß von dir, Tyler.«
Und dann steht Jackson Oates im Durchgang zum Esszimmer und winkt verlegen. Er begrüßt mich mit einem zweisilbigen »Hi-hey« und bestätigt damit, dass er ein sehr seltsames Gespräch unterbrochen hat. Na toll. Er wird denken, dass Ty und ich den ganzen Tag lang unsere Hoden vergleichen. Genau der Eindruck, den ich vermitteln will.
»Oh! Hallo! Meine Mom hat gesagt, dass deine Mom vorbeischauen will – ich wusste nicht, dass du auch mitkommst.«
»Wir holen meinen Dad vom Flughafen ab. Tut mir leid, dass ich hier so hereinplatze.« Jackson schiebt seine Hände so tief in die Hosentaschen, dass seine Schultern noch breiter aussehen als sowieso schon. Ich frage mich, ob er Schwimmer ist oder Baseballspieler oder so.
»Alles gut. Tyler und ich überlegen gerade, wo wir seinen Eierbecher am besten aufbewahren: mitten auf dem Esstisch oder gleich im Kühlschrank.« Tyler stößt mich mit dem Ellbogen in die Seite. Es ist ihm nicht peinlich, seinen Penisschutz einfach so rumliegen zu lassen, aber er möchte nicht, dass ich mich vor anderen über ihn lustig mache. Wenigstens hat er einen Funken Anstand.
»Vielleicht wäre eine Kristallvase das Richtige?«, sagt Jackson mit überschwänglicher Geste.
»Wie soll das