Der Wächter der goldenen Schale. Alexander Lombardi

Der Wächter der goldenen Schale - Alexander Lombardi


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steckte Ludwig sie ein. Er freute sich schon darauf, sie bei besserem Licht zu studieren.

      »Komm schon, lass uns gehen«, forderte er seinen Freund auf. »Hier gibt es wohl nichts Interessantes mehr zu entdecken.«

      »Ich will erst noch die Tür wieder einsetzen«, meinte Michi und schaffte es auch tatsächlich, das herausgelöste kleine Brett wieder am richtigen Platz zu verstauen. Dann ging er seinem Freund hinterher.

      Als sie bei dem Regal mit den alten Jagdwaffen vorbeikamen, blieb er jedoch stehen und griff noch einmal in ein Fach. »Schau mal, Luggi, die ist besonders schön.« Er hob mit beiden Händen eine Armbrust hoch, deren Griff und Schaft mit metallenen Ornamenten verziert waren. Er legte sie auf einen Arm und beugte den Kopf darüber.

      Mit einem leisen Pfeifen schwenkte er die Waffe in Richtung Ludwig. Der sah ihm dabei zu und lächelte nur.

      Dann drückte Michi den Abzug.

      Brennender Schmerz durchzuckte Ludwigs Kopf. Im selben Moment ertönte hinter ihm ein Klirren, als ob eine Vase in tausend Scherben zersplittert sei.

      Er schrie auf und griff sich über dem rechten Ohr an seinen Kopf. Als er die Hand zurückzog, war sie voller Blut.

      Michi hatte die Armbrust fallen lassen und war mit zwei Schritten bei seinem Freund. »Luggi«, rief er erschrocken. »Was ist denn jetzt passiert?«

      »Die Armbrust war geladen, du Idiot!«, schrie Ludwig ihn an. Tränen stiegen in seine Augen, und er hatte das Gefühl, dass Blut in den Kragen seiner Lodenjacke tropfte.

      Auch in Michis Augen standen Tränen. »Das wusste ich nicht! Es tut mir so leid, Luggi. Lass mal sehen.«

      »Lass mich!«, fauchte Ludwig verärgert. Die Stelle, wo ihn der Bolzen gestreift hatte, brannte heftig. Er fühlte, dass ihm ein wenig schwindelig wurde.

      Schnell drehte er sich um und ging zu der Falltür zurück, durch die sie auf den Dachboden geklettert waren.

      Michi folgte ihm schweigend.

       [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

      Kapitel 1:

      Der Phönix

      Am Starnberger See, Frühjahr 2019 – ein paar Tage vorher

      »Aaah! Solo una canzone!«, sang Franky und übertönte damit sogar die voll aufgedrehte Box, die er im alten Heinrich installiert hatte. Weil er nur etwa jeden zweiten Ton korrekt traf und den Rest einfach improvisierte, klang diese Mischung äußerst schrill.

      Jaron, die Hand an der Außenklinke des ausgemusterten Zirkuswagens, drehte sich zu Antonia um und sah sie stirnrunzelnd an. »Hat noch keiner von uns herausgefunden, wo er diese blöde Box versteckt hat, mit der er uns immer karaoke-foltert?«

      Antonia seufzte. »Nein, wie du unschwer hören kannst, hat das noch niemand geschafft. Keine Ahnung, wie Franky das hinkriegt.«

      Der Wagen, auf dem das Logo eines Zirkus Heinrich langsam verblasste, war der Treffpunkt der vier Freunde, wo sie in Ruhe neue Abenteuer planen konnten. Und Die vier vom See, wie sie sich nannten, hatten in den vergangenen Monaten schon so einige davon bestanden.

      Plötzlich wäre Jaron beinahe die Tür an die Stirn geprallt, so schnell wurde sie von innen aufgestoßen.

      Dann stapfte Emma sichtlich genervt die Stufen hinunter und knallte die Tür hinter sich zu. »Er feiert«, schnaubte sie, »und behauptet, das mache man in Italien so. Wenn das stimmt, will ich da nie hin.«

      »Also feiern wir heute nicht nur seinen Geburtstag, sondern er hat den Gips tatsächlich ab?«, fragte Jaron.

      Emma nickte. »Ja, das hat geklappt. Er ist ihn los.«

      Franky hatte sich vor etwa zwei Monaten bei einem Fußballspiel den Ellbogen verletzt. Die Heilung hatte sich aus verschiedenen Gründen in die Länge gezogen, sodass er den Arm eine ganze Weile in Gips gehabt hatte. Das war für den begabten Programmierer und Hacker eine echte Einschränkung gewesen.

      Also schon irgendwie verständlich, dass ihm zum Feiern zumute ist, dachte Jaron und grinste in sich hinein. Und dann ist auch noch sein Geburtstag – eine bessere Gelegenheit gibt es nicht.

      Die Tür des Zirkuswagens wurde erneut aufgerissen und Franky breitete die Arme aus. »Amici!«, rief er. »Kommt doch rein, hier ist Party! Ich habe Pizza dabei – Zeit zu feiern!«

      Aus der offenen Tür drang die Popmusik nun so laut, dass Jaron ihn kaum verstehen konnte. Gleichzeitig roch er einen verlockenden Duft und merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Frankys Vater servierte in seiner Pizzeria am Sportplatz die beste Pizza der ganzen Gegend.

      »Gerne. Aber nur, wenn du den Lärm runterfährst«, rief Antonia.

      »Lärm? Welchen Lärm?«, erwiderte Franky.

      »Mach dieses Gejaule aus!«, brüllte sie und trat näher.

      Beschwichtigend hob er die Hände. »Jo, chill mal. Ihr habt einfach keine Ahnung von guter Musik.«

      »Jetzt mach leiser!«

      »Ja, ja, keine Sorge.« Mit diesen Worten drehte Franky sich um und verschwand im Wagen.

      Jaron, Emma und Antonia folgten ihm.

      Nachdem Franky die Musik mithilfe seines Handys auf ein erträgliches Maß reduziert hatte, winkte er seinen Freunden, sich zu setzen. Auf dem kleinen Tisch am Fenster standen vier offene Pizzaschachteln neben einer Flasche Limonade und Gläsern.

      Obwohl Jaron es kaum erwarten konnte, mit dem Essen anzufangen, folgte er dieser Aufforderung nicht sofort. Etwas anderes kam zuerst. »Hey, zeig mal her!«, sagte er zu seinem Freund.

      Daraufhin schob Franky strahlend einen Ärmel hoch und streckte ihm seinen Arm entgegen. Der war sichtlich dünn geworden, die Haut war völlig bleich und ein wenig verschrumpelt. »Das hat so dermaßen gestunken, als sie den Gips abgemacht haben«, berichtete er geradezu triumphierend. »Und eine ganze Schicht Haut konnte ich abrubbeln.«

      »Igitt!«, sagte Emma. »Wenn du so eklige Sachen erzählst, kannst du deine Pizza gleich allein essen.«

      »O super«, freute er sich. »Da gibt es noch was viel Ekligeres, wisst ihr, als ich …«

      »Stopp!«, sagte Jaron. »Ich hab Hunger, lasst uns essen.«

      Alle setzten sich an den Tisch. Antonia sprach ein kurzes Dankgebet, dann griffen alle herzhaft zu. Franky hatte jedermanns Lieblingspizza besorgt – für Emma mit Pilzen, Antonia liebte Pizza Hawaii und Jaron Salami.

      Franky selbst hatte seine ganz eigenen Vorstellungen von gutem Geschmack: Er kombinierte am liebsten Sardellen mit Peperoniwurst.

      »Erzähl doch mal, was du zum Geburtstag gekriegt hast«, forderte Jaron ihn auf, während er in sein erstes Stück Pizza biss.

      »O Mann, ihr werdet es nicht glauben: Meine Eltern haben einen 3-D-Drucker springen lassen!«

      »Echt? Wahnsinn«, kommentierte Emma kauend, »so was hätte ich auch gerne. Dann kannst du jetzt alles ausdrucken, was du brauchst?«

      Franky nickte. »Nur Pizza funktioniert leider nicht.«

      Alle lachten.

      Franky griff schon nach dem zweiten Stück. »Jetzt, wo ich wieder ganz fit bin, könnten wir doch eigentlich einen neuen Versuch starten. Was unsere Suche nach der Schale angeht, meine ich.«

      Seit dem vergangenen Sommer bemühten sich die vier Freunde, ein großes Rätsel zu lösen: Franky war im Internet auf eine Legende gestoßen, die besagte, dass am Starnberger See ein geheimnisvoller Schatz versteckt sei. Unter der nah gelegenen Sankt-Valentins-Kapelle hatten die Freunde durch Zufall eine Gruft entdeckt, die mehrere Hinweise enthalten


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