Der Wächter der goldenen Schale. Alexander Lombardi

Der Wächter der goldenen Schale - Alexander Lombardi


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sollte die Brosche – sobald sie komplett war – zum Versteck einer wertvollen goldenen Schale führen, die aus dem Tempel in Jerusalem stammte.

      Die fehlenden beiden Steine, die neben dem Bernstein in die Broschenfassung hineinpassten, hatten die Freunde inzwischen auch tatsächlich gefunden. Doch immer noch hatten sie keine Ahnung, was sie mit dem Schmuckstück anfangen sollten.

      Außer ihnen schienen noch zwei weitere Personen von der Existenz der Schale zu wissen: der Antiquitätenhändler Richard Weixlhammer – und Hans Bernwieser, ein älterer Fischer, der in einer Hütte direkt am See wohnte und für Antonia sozusagen ein Ersatz-Opa war. Beide Männer hatten ihnen schon gelegentlich gute Tipps gegeben und sie sogar aus gefährlichen Situationen gerettet.

      Allerdings verhielten sich die beiden Männer manchmal auch ziemlich merkwürdig, sodass die Freunde nicht wussten, ob sie ihnen trauen sollten.

      Emma seufzte zufrieden und schob ihre Pizzaschachtel von sich. »Ja, wir sollten weitersuchen. Aber ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wie wir das anstellen sollen. Noch mal Weixlhammer fragen? Oder Opa Hans? Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre.«

      Jaron zuckte mit den Schultern, und auch Antonia sah ratlos aus.

      »Jetzt bleibt mal ganz locker und lasst das Onkel Franky machen.« Vergnügt stopfte Franky sich den letzten Bissen in den Mund und wischte sich seine Hände an der Hose ab.

      »Ja, klar, und wie willst du weiter vorgehen, ›Onkel Franky‹?«, meinte Antonia schnippisch.

      »Lasst uns doch einfach noch mal in Ruhe über alles nachdenken und zusammentragen, was wir bisher schon herausgefunden haben.«

      »Na, wenn du meinst, dass das mit dem Denken bei dir klappt«, foppte Jaron seinen besten Freund.

      »Lasst den Meister nur machen«, gab Franky selbstsicher zurück, worauf Antonia schnaubte und Emma kicherte.

      Der Computerspezialist griff nach seinem Tablet. »Also, auf dem letzten Stein, den wir an der Zährenborn-Quelle gefunden haben, war ein Vogel abgebildet, richtig?«

      »Richtig«, sagte Antonia.

      »Hol den Stein doch mal her.«

      »Aber natürlich, großer Meister, ich tue alles, was du sagst«, erwiderte sie ironisch und stand auf.

      Emma stapelte inzwischen alle Kartons aufeinander und räumte den Tisch ab.

      Antonia holte die Brosche aus ihrem Versteck und legte sie auf die Tischplatte. Die runde Broschenfassung war etwa so groß wie eine Mandarine. Auf der Rückseite war unter der Nadel ein lateinischer Spruch eingeritzt: Et absterget Deus omnem lacrimam ab oculis – Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, ein Spruch aus der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel.

      Die einzelnen Bestandteile dieses Spruchs fanden sich auch auf den drei Steinen, die sich in die Fassung einsetzen ließen.

      In einen sichelförmigen Bernstein war außerdem ein Kreuz eingearbeitet; es hatte sie zu einem Baum geführt, dessen zwei Stämme kreuzförmig übereinandergewachsen waren.

      Dort hatten sie den zweiten Stein entdeckt, einen Mondstein in der Form eines Fisches. Die Tränen oder Wassertropfen darauf hatten auf das Versteck des dritten Steins hingewiesen: eine längst versiegte Quelle namens Zährenborn.

      Der dritte Stein, eine Koralle, den sie dort gefunden hatten, war wieder sichelförmig. Auf ihm war ein Vogel zu sehen. Er saß auf einem Ast, reckte den langen Hals und breitete die Flügel aus.

      Dieser letzte Stein, so hofften die Freunde, würde sie nun endlich zum Versteck der goldenen Schale führen.

      »Okay, wir hatten uns geeinigt, dass dieses Vogelvieh ein Phönix sein könnte«, meinte Jaron.

      »Ja, nachdem ich tagelang im Internet nach allen möglichen Vogelbildern geforscht habe«, ergänzte Franky.

      »Das war ja für den großen Meister kein Problem, oder – Onkel Franky?« Antonia zog die Augenbrauen hoch.

      Franky grinste. »Ich lese mal vor, was wir über diesen komischen Phönix schon alles rausgefunden haben.« Er öffnete Wikipedia und las:

      »Der Phönix (…) ist ein mythischer Vogel, der am Ende seines Lebenszyklus verbrennt oder stirbt, um aus dem verwesenden Leib oder aus seiner Asche wieder neu zu erstehen. Diese Vorstellung findet sich heute noch in der Redewendung ›wie Phönix aus der Asche‹ für etwas, das schon verloren geglaubt war, aber in neuem Glanz wieder erscheint … Bei den Christen galt er als Sinnbild der Auferstehung.«

      »Schon krass«, kommentierte Jaron, als Franky fertig war.

      »Okay, so viel zum Phönix. Was haben wir noch?«, fragte Emma.

      Antonia begann aufzuzählen: »Wir haben es mit drei verschiedenen Symbolen zu tun, jedes bezieht sich auf den Bibelspruch auf der Brosche. Et absterget Deus bedeutet ›Gott wird abwischen‹.« Sie betrachtete die Brosche, die sie in der Hand hielt.

      »Dem Anfang des Spruchs können wir das Kreuz auf dem Bernstein zuordnen. Es ist das Zeichen für Jesus – also Gottes Sohn«, stellte Jaron fest. »Und der zweite Stein mit der Inschrift omnem lacrimam – ›alle Tränen‹ – hatte Tränen eingraviert.«

      »Dass dies zusammenpasst, ist offensichtlich. Vermutlich soll der dritte Stein mit der Inschrift ab oculis – ›von ihren Augen‹ – auf eine Erneuerung hinweisen. Der Phönix als Symbol der Auferstehung lässt sich damit gut vereinbaren«, überlegte Franky, während er weiter konzentriert auf sein Tablet starrte. »Der ganze Spruch steht in der Offenbarung, also dem Buch der Bibel, das sich mit der Wiederkunft von Jesus beschäftigt. Wenn Jesus wiederkommt, wird er alle Tränen abwischen, er wird alles neu machen und wir werden auferstehen.«

      »Mag ja alles stimmen«, warf Jaron ein, »klingt alles logisch. Aber was ich nicht verstehe: Auf welchen Ort weist denn nun der Phönix hin? Von dem Kreuz und den Tränen konnten wir die Verstecke der beiden fehlenden Steine herleiten. Aber worauf bezieht sich dieses Federvieh – auf einen Hühnerstall vielleicht?«

      Die anderen drei lachten.

      »Hühnerstall ist gut«, prustete Franky. »Und die Schale als Osternest – passt doch.«

      »Jetzt aber mal ernsthaft: Was sollen wir mit dem Phönix anfangen – habt ihr eine Ahnung?«, fragte Jaron.

      »Nein, keinen Schimmer«, gab Emma zu.

      Auch Antonia und Franky schüttelten den Kopf.

      »Und was sollen wir dann jetzt machen?«

      »Vielleicht gehen wir einfach noch mal an den Anfang unserer Suche zurück«, schlug Franky vor. »Damals haben wir bei Weixlhammer doch dieses Buch über die Legenden vom Starnberger See gesehen, wisst ihr noch? Inzwischen habe ich es nicht nur online gelesen, sondern mir sogar ein Exemplar der Printausgabe besorgt. Und ratet mal, wie die Autorin heißt.«

      »Keine Ahnung, sag schon«, erwiderte Jaron ungeduldig.

      Franky griff in seinen Rucksack, holte ein abgegriffenes kleines Büchlein mit verblasstem grünem Leineneinband hervor und streckte es den anderen hin. »Die Autorin heißt Martha Weixlhammer.«

      »Gibt’s ja nicht!«, rief Emma.

      »Krass«, ergänzte Jaron. »Ist die mit unserem Antiquitätenhändler verwandt?«

      »Könnte schon sein«, meinte Antonia.

      »Vielleicht macht es doch Sinn, dass wir noch mal mit Weixlhammer reden.« Franky blickte in die Runde.

      Antonia verzog das Gesicht. »Oh, nee, bitte nicht, ich trau diesem schrägen Vogel nicht über den Weg.«

      »Ja klar, du willst bestimmt zu Opa Hans gehen, oder?«, sagte Franky etwas gereizt.

      »Genau, das will ich! Der scheint nämlich mehr zu wissen, als er uns bisher erzählt hat.«


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