Der Wächter der goldenen Schale. Alexander Lombardi

Der Wächter der goldenen Schale - Alexander Lombardi


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auf eine der Bänke am Rand und redeten.

      Zu Antonias Überraschung verging die Zeit wie im Flug, und auf einmal klingelte ihr Handy – ihre Mutter war dran.

      »Hallo, Mama, seid ihr gleich da?«, fragte Antonia.

      »Schatz, wir müssen doch noch mal zum Baumarkt fahren und kommen auf dem Rückweg leider nicht bei euch vorbei. Könntet ihr die Zwillinge bitte zur Seeburg begleiten?«

      »Och Mensch, muss das sein?«, jammerte Antonia. »Wir haben echt noch was vor!«

      »Ich weiß und es tut mir auch leid. Aber es ist doch nicht weit. Und wenn ihr dort seid, könnt ihr auch bestimmt gleich weiterfahren.«

      Missmutig stimmte Antonia zu und tippte auf Gespräch beenden.

      »Wir sollen die beiden zur Seeburg bringen!«, rief sie ihren Freunden zu. »Wir können also leider noch nicht gleich loslegen.«

      »Ist doch nicht schlimm«, sagte Franky. »Dann fahren wir halt erst mal zu Burg.«

      Sina aber beschwerte sich. »Ich bin müde, ich will nicht laufen! Warum kann uns Mama denn nicht abholen?«

      »Weil sie noch mal woandershin müssen«, erwiderte Antonia genervt. »Und wir laufen ja jetzt bergab, da dauert es nicht so lange, bis wir zu Hause sind.«

      »Ich will aber nicht!«, trotzte ihre Schwester und setzte sich demonstrativ auf den Boden. »Ich bleibe hier und warte auf Mama!«

      »Sina, jetzt komm einfach«, seufzte Antonia. »Wir sind auch schnell zu Hause, versprochen.«

      »Weißt du was?«, sagte Jaron, der schon sein Fahrrad aufgeschlossen und zu ihnen geschoben hatte. »Ich nehme dich hinten drauf und wir fahren runter. Dann geht es wirklich ganz schnell!«

      »Au ja!«, freute sich Sina und kletterte zufrieden auf den Gepäckträger, während Jaron das Rad sorgfältig festhielt.

      »Danke!«, sagte Antonia zutiefst erleichtert. »Gar nicht so einfach, es diesen beiden recht zu machen.«

      Nicht zufrieden war allerdings nun Sinas Zwillingsbruder. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und schob beleidigt die Unterlippe vor. »Warum darf Sina mitfahren und ich nicht?«, fragte er. »Ich will auch nicht laufen.«

      Antonia stöhnte auf. »Ihr könnt einem echt auf den Keks gehen! Jetzt fängst du auch noch an!«

      »Alles gut«, meinte Emma. »Dann kommst du eben auf mein Rad.«

      »Nicht auf deins. Ich will auch zu Jaron«, forderte Lukas.

      »Aber ihr könnt nicht beide zu ihm«, wandte Emma ein.

      »Doch, das kriegen wir hin«, sagte Jaron. »Ich nehme dich einfach auf meine Stange, Lukas.«

      »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Antonia zweifelnd. Einerseits war sie für seine Hilfe dankbar, andererseits hoffte sie, dass ihre Mutter nicht mitbekommen würde, wie die drei auf Jarons Rad zur Seeburg gelangten.

      »Ja, klar, mach dir mal nicht ins Hemd«, antwortete Jaron lässig.

      »Na, wie du meinst«, erwiderte Antonia schnippisch. »Aber sei vorsichtig!«

      »Ja, ja.«

      Den Vorschlag fand der Achtjährige natürlich supercool. Geduldig wartete er, bis Jaron aufgestiegen war, dann kletterte er mit seiner Hilfe auf die Stange. Etwas wackelig setzte sich das schwer beladene Gefährt in Bewegung, die anderen drei Räder folgten.

      Sie bogen auf die Straße zum Seeufer ein, die sich bergab durch den Wald schlängelte. Jaron fuhr voraus, und Antonia konnte beobachten, dass er behutsam lenkte und dabei mit Lukas scherzte, der sich in seine Arme kuschelte. Sina saß glücklich lächelnd auf dem Gepäckträger und hielt Jarons Rumpf mit beiden Armen umschlossen.

      Jaron lachte über etwas, das Lukas sagte, und begann, Schlangenlinien zu fahren. Die Zwillinge kreischten vor Vergnügen.

      »Mensch, Jaron, sei vorsichtig! Mach nicht so einen Quatsch!«, mahnte Antonia.

      »Warum denn? Das ist doch voll cool«, rief Sina zurück.

      »Chill mal«, fügte Jaron hinzu. »Ich pass schon auf!«

      Antonia verdrehte die Augen, sagte aber nichts mehr.

      Die Straße wurde steiler, ihre Räder wurden schneller. Dann kam eine scharfe Rechtskurve.

      Jaron bremste stärker und versuchte, seinen Lenker einzuschlagen. Aber durch das ungewohnte Gewicht, das sein Rad jetzt hatte, und weil Lukas sich am Lenker festhielt, unterschätzte er die Biegung und kam von der Fahrbahn ab. Im nächsten Moment holperte das Rad über den Waldboden am Straßenrand.

      Sina hatte sich offenbar nicht gut genug festgehalten, denn sie schrie auf und purzelte vom Gepäckträger.

      Gleichzeitig stieß das Vorderrad an einen liegenden Ast, worauf Jaron und Lukas mit dem Rad umkippten und ebenfalls auf dem Boden landeten – direkt auf Sina.

      Antonia legte eine Vollbremsung hin, ließ ihr Rad einfach fallen und rannte, so schnell sie konnte, zu den dreien, die am Boden lagen.

      Sina schrie erbärmlich und Lukas heulte mit aller Kraft. Die Zwillinge waren unter dem Rad eingeklemmt, und auch Jaron konnte sich nicht aufrichten, weil sein linkes Bein unter der Stange lag.

      Emma und Franky waren ebenfalls herbeigeeilt, gemeinsam zogen sie das Rad weg.

      Antonia packte Lukas, der sich jammernd an ihre Arme hängte. »Tut’s dir irgendwo weh?«, fragte sie, als er endlich auf den eigenen Füßen stand.

      »Mein Arm tut weh!«, jammerte er.

      Schnell schob sie seinen Ärmel hoch, konnte aber nicht viel erkennen. »Ich sehe keine Verletzung. Kannst du die Hand bewegen?«

      Er nickte schniefend und wackelte mit den Fingern.

      »Das ist super. Und sonst tut dir nichts weh?«

      Stumm schüttelte er den Kopf und wischte sich übers Gesicht, wo sich Tränen und Erde zu braunen Streifen vermischten.

      Nun wandte sich Antonia ihrer Schwester zu. Emma und Franky hatten sie bereits vorsichtig aufgesetzt und versucht, sie auf die Beine zu ziehen. Sina aber brüllte immer nur: »Nicht aufstehen, mein Bein! Mein Bein!«

      Ihre Jeans hatte am rechten Bein ein großes Loch – offenbar war sie hier vom Pedal des Fahrrads getroffen worden. Sie weigerte sich hartnäckig aufzustehen, hielt stattdessen ihren rechten Unterschenkel und weinte.

      Emma kniete sich neben sie, legte einen Arm um ihre Schulter und redete beruhigend auf sie ein: »Ist schon gut, Sina, es wird gleich besser!« Sie blickte zu Antonia auf und meinte: »Ich glaube, wir müssen Hilfe holen, Antonia. Sie kann nicht mehr laufen.«

      Antonia nickte. Ihr Herz raste und ihr war ein bisschen schwindelig. So ein Mist, dachte sie, was werden nur meine Eltern sagen!

      »Ich mach das«, sprang Franky ein und zückte sein Smartphone. Er wählte den Notruf.

      Während er telefonierte, versuchte Emma, Sina von ihrem verletzten Bein abzulenken.

      »Vielleicht sollten wir ihr den Schuh ausziehen«, schlug Antonia vor. Sie fühlte sich elend und wünschte, sie könnte ihrer Schwester helfen.

      Aber die Idee mit dem Schuh versetzte Sina in Panik, und sie schrie so laut »Nein, nein, nein!«, dass Antonia erschrak und beschwichtigend die Hände hob. »Keine Angst, wir lassen das Bein schon in Ruhe«, sagte sie.

      Emma hatte sich neben Sina in den Dreck gesetzt und streichelte ihren Kopf.

      Antonia atmete tief durch, um die Übelkeit, die sie erfasste, zurückzudrängen. Sie merkte selbst, dass sie unter Schock stand.

      Da fiel ihr Blick auf Jaron, der sich inzwischen aufgerichtet hatte, und ihr Schreck verwandelte sich in Wut.


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