Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui


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Morgen die Gesichter der Weiber auf dem Richtplatz sehen sollen«, unterbrach Hänsle Pfeiffer das Geplänkel der beiden. »Mann, sind die verschrocken, herrlich.«

      »Nur verschrocken?«, meldete sich Georg Frühauf. »Eine Lehre fürs Leben sollte es ihnen sein.« Er hob seine Stimme, als stünde er auf der Kanzel. »Was diese Würbsin gemacht hat, ist doch wider Gott und die Natur. Diese Teufelinnen bringen ihre eigenen Kinder um und behaupten hinterher noch, dass der Satan es ihnen befohlen hat.« Geringschätzig zog er die Luft durch die Nase.

      Der rote Friedrich nickte. »Die Würbsin hat auch vom Satan geredet«, posaunte er in die Runde. »Nur dass bei ihr der Böse ein kleines schwarzes Männle im grünen Rock gewesen ist. Es hat ihr angeblich eingeflüstert, sie soll das Kind noch vor dem ersten Hahnschrei mit der Rübe erschlagen.«

      Lauer glotzte ihn ungläubig an. »Woher weißt du das?«

      »Von einem der Hofräte, der beim Verhör im Oberamt mit dabei war. Ich kenne ihn gut, verkehre manchmal bei ihm zu Hause«, prahlte Friedrich, rief Johanna und hielt ihr den schon wieder leeren Krug entgegen.

      »Du willst uns wohl verdursten lassen?«

      Er zwickte sie in die Wange. »Zur Strafe bekomm ich einen Kuss und dann: allez hopp, mein liebes Kind, Wein und Karten, aber schnell, wenn ich bitten darf.«

      »Karten und Wein sofort. Zum Küssen komm ich, wenn ich Zeit hab, sonsch lohnt sich’s ja net.« Sie wedelte ihm mit der Schürze vor dem Gesicht herum, und alle außer Simon johlten vergnügt, der rote Friedrich schlug sich wiehernd auf die Schenkel.

      »War das erschlagene Kind eigentlich ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte Heinrich Abele in das Gegröle hinein.

      »Ein Mädchen.« Der rote Friedrich schien alles zu wissen. Aber Simon reichte es jetzt. Dieser Lackel von Friedrich, der immer den Possenreißer spielen musste, und dann der Klugscheißer Abele. Den hatte er besonders gefressen. Aufgebracht leerte Simon sein Glas Wein und goss sich sofort nach. Satan, Rübe, Mädchen, Junge. Was sollte dieses ganze Gewäsch? Die Sache war zu Ende, warum schon wieder davon anfangen? Ja, gut, er hatte die kleine Würbsin gekannt. Das blieb bei einer Einquartierung nicht aus, dass man den Töchtern des Hauses begegnete und, wenn man nicht gerade ein Stoffel war, hin und wieder ein paar freundliche Worte mit den jungen Dingern wechselte. Hätte jeder andere genauso getan. Ihre Eltern hatten es ihm ja auch leicht gemacht. Jeden Sonntag Arme Ritter und andere süße Küchle von der Mutter, und der Vater hatte ihn zu Branntwein oder Obschtler eingeladen, manchmal auch zu beidem. Daheim in Landeck gab es so was Gutes nicht, da gab’s nur Topinambur, der einem die Löcher im Hemd zusammenzog und den Magen umdrehte. Ein Gesöff wie Medizin. Aber selbst damit hatte der Vater gegeizt. Und dann war das Maidli ja auch nicht das hässlichste gewesen. Nur die Zahnlücke, oben in der Mitte, wenn Catharina den Mund aufmachte, da klaffte immer ein schwarzes Loch. Aber nachts in der dunklen Kammer sah man das ja nicht.

      Und es war ja auch lustig gewesen mit ihr. Eine Zeit lang wenigstens, bis sie ihm diesen Bams unterjubelte. Zuerst den einen, der Gott sei Dank sofort starb, und dann gleich darauf den zweiten. Da hörte für ihn der Spaß aber auf. Die wollte ihn nur krallen. Von wem auch immer dieses Balg war, von ihm nicht. Das konnte gar nicht sein. Denn wenn sein Bruder auch ein Blödian war, eines hatte der ihm beigebracht: Wie man aufpassen musste bei den Weibern. Kurz vor dem entscheidenden Schuss sozusagen geordnet den Rückzug antreten. Und dieses Manöver beherrschte er perfekt.

      Natürlich hatte er Mitleid mit ihr gehabt, er war ja kein Unmensch, und in einer schwachen Stunde hatte er Catharina tatsächlich das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Es wurde ihm jetzt noch blümerant, wenn er nur daran dachte. Das hatte wohl am alten Würbs seinem Branntwein gelegen. Wie hatte er sich nur so breitschlagen lassen können! Heiraten! Aber Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, sein Vorgesetzter hatte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt, nachdem er von dem Malheur erfuhr. »Was glaubt Er denn, wer Er ist?«, hatte der Major ihn zusammengestaucht, dass ihm Hören und Sehen verging. »Glaubt Er denn, unser durchlauchtigster Fürst macht bei Ihm eine Ausnahme? Nein und noch mal nein! Der markgräflich-badische Soldat setzt seine Manneskraft in der Schlacht ein. Ausschließlich in der Schlacht. Dass Er sich das gefälligst hinter die Ohren schreibt, und wenn es Ihn noch so sehr sonst wo juckt, hat Er verstanden?«

      Es juckte ihn ständig, jeden Tag, aber er schwieg, stand stramm, ließ die Tirade über sich ergehen, Major von Sandberg war sein Retter. So hatte er sich also überwunden und schweren Herzens zehn Batzen von seinem mageren Sold abgezwackt, damit die doofe Kuh ihren dicken Bauch aus der Welt schaffte. Und was hatte die gemacht? Nichts, rein gar nichts. Weitergejammert und sich wahrscheinlich bei einem dieser welschen Händler, diesen raffinierten Bauchladenkrämern, ein Seidentüchlein gekauft. Selbst schuld, dass sie nimmer lebt.

      »Hört endlich auf, ihr tratscht wie die Marktweiber«, schimpfte er mit schwerer Zunge, »ich hab gedacht, wir wollten spielen«, und er feuerte das Kartenblatt, das Johanna gebracht hatte, über den Tisch. Schwungvoll fächerte sich der Stapel auf.

      »Apropos Markt.« Heinrich Abele musterte ihn abschätzend. »Die Katze kann das Mausen nicht lassen, gell? Da hab ich dich doch neulich auf dem Markt schon wieder mit so ’nem Madämchen schöntun sehen.«

      Simon fuhr hoch, krachend fiel sein Stuhl um. Was spionierte dieser neunmalkluge Professor hinter ihm her? Nur weil der arrogante Pinsel Bücher las, hielt er sich für was Besseres. Einen Augenblick schwankte Simon, musste sich an der Tischplatte festhalten. Dann stürzte er sich auf den Herausforderer.

      »Du Sauhund …«

      Seine Faust traf Abeles Nase. Er zog den Degen, fühlte sich aber sofort bei den Armen gepackt. Doch er riss sich los und drosch umso erbitterter auf den Lackaff ein, Stühle kippten, Johanna kam gelaufen, kreischte, zeterte, bis der Wirt endlich einen Kübel Abwaschwasser über die Streithähne schüttete.

      Mit dem Uniformärmel wischte sich Heinrich Abele das Blut aus dem Gesicht, kroch auf allen vieren zum Tisch, um sich daran hochzuziehen, und ließ sich dann auf die Bank fallen. Johanna legte ihm einen nassen Lappen in den Nacken.

      »Das wirst du mir büßen, Freundchen«, murmelte Abele und spuckte einen Zahn aus. »Ich schwör’s dir, das wirst du mir büßen.«

      7

      Freitag, den 24ten Januarij 1772

      Kein Auge hatte Madeleine in den Nächten seit jenem unseligen Freitag vor einer Woche, als das bedauernswerte Mädchen aus dem Dörfle hingerichtet worden war, zugemacht. Auch jetzt drehte sie sich wieder in ihrer Bettlade ruhelos von einer Seite zur anderen, und natürlich wachte prompt der pëchit Fraïre neben ihr auf und fing zu greinen an. Plärrkind! Seufzend erhob sie sich, drehte ein Stück Leinen zum Nuckel, tunkte ihn in Honigwasser und schob ihn dem Brüderchen in den Mund. Gierig begann der Junge zu schmatzen, ein paarmal noch schluchzte er tief auf, dann verlor er das Schnullertuch und schlief wieder ein, ohne dass die Maïre und die Geschwister aufgewacht wären. Aufatmend kroch Madeleine zurück unter die Decke. Sie rieb ihre Eisklotzfüße aneinander, starrte zum Plafond und horchte in sich hinein. Ab wann merkte man, dass man ein Kind im Leib trug? Wen sollte sie fragen? Jeanne? Aber die Freundin würde es womöglich weitererzählen, und dann könnte es der Maïre und der Nonno zu Ohren kommen.

      Die Medicinalratswitwe!, fiel Madeleine plötzlich ein. Warum nicht? Frau Wilde hatte ihrer vorherigen Magd helfen wollen, vielleicht konnte auch sie sich ihr anvertrauen.

      Sie zog sich die Wolldecke bis zur Nasenspitze und linste durchs Fenster nach draußen in die Düsternis. Zwei volle Markttage hatte sie wegen des Wetters ausfallen lassen müssen, der Weg wäre zu gefährlich gewesen. Aber seit gestern war die Straße wieder frei, heute würde sie gehen.

      Es war noch stockfinster, als sie kurz nach vier vor die Haustür trat. Bis zum Abzweig, wo links der Weg hinunter nach Ettlingen führte, schloss sich ihr, unentwegt schwatzend, die Bariol vom Nebenhaus an. Madeleine achtete nicht auf sie, gab nur hin und wieder ein Sì oder No von sich, einmal ganz in Gedanken ein französisches Oui, dachte an die arme Magd der Medicinalrätin, an die tote Catharina Würbsin und an Jeanne, die nun ein Kind hatte und einen Vater dazu, doch sie bezweifelte,


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