Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui


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Flüssigkeit auslief. Er hob den Tragekorb hoch und hielt ihn ihr hin, damit sie ihn leichter schultern konnte, doch er wartete nicht ab, dass sie sich danach wieder umdrehte, fürchtete die Bewegung ihres Mundes, lief davon, als fliehe er, und beim Weglaufen biss sich diese Wut in seinen Bauch, diese maßlose Wut, von der er meinte, er hätte sie längst besiegt.

      Der Marktplatz liegt verwaist. Einzig ein kleines Mädchen schlittert vergnügt in der Spurrille eines Fuhrwerks, ein Vierbeiner pinkelt gegen eine Hauswand und hinterlässt ein strohfarbenes Bächle, ein Kaufmann streut Asche vor seinem Laden. Die Locken, die dem Mann unter seiner Kopfbedeckung bis fast auf die Schultern fallen, wippen im Takt. Wenn die Temperaturen weiter anziehen und es über Nacht gefriert, wird auch er morgen früh, statt zu kehren, die Hauptstraße mit Asche bestreuen, damit sich niemand den Hals bricht. Er schaut zum Himmel, noch ist es hell. Er könnte jetzt zum Gürtelmacher gehen und dort die Werkstatt sauber machen. Der Mann hat ihn vor ein paar Tagen darum gebeten.

      Da sieht er auf der Morgenabendstraße im streng geschnittenen farbigen Rock, mit glitzernden Litzen und einem langen Waffenmesser an der Seite, einen der Wächtermänner des Großen Herrn daherkommen. Von Weitem erkennt er ihn nicht, aber beim Näherkommen und dann, als der Buntrock an ihm vorbeigeht, weiß er, wer es ist.

      Der Mann beachtet ihn nicht, er scheint es eilig zu haben. Im Übrigen hat der Buntrock ihn noch nie beachtet. Warum sollte er auch? Wer ist er denn schon mit seinen Anderohren und seinem Andermund? Er trägt auch keinen schmucken Hut und keine blank geputzte Waffe, keine Schärpe um den Bauch und keine geknöpften Beinkleider über seinen ausgelatschten Tretern.

      Er schaut dem Buntrock nach, der in Richtung Abendtor geht.

      Wenn er ihn so beobachtet, den Gang, die aufrechte Haltung, kann er seine Beschützerin aus Kindertagen verstehen. Er ist ein schöner Mann. Frauen sehen gern schöne Männer, schauen ihnen heimlich hinterher. Schöne Männer scheinen etwas Anziehendes an sich zu haben. Er hat noch nie bemerkt, dass Frauen sich nach ihm umdrehen.

      Seit der schöne Buntrock bei den Nachbarn einquartiert war, strahlte das Gesicht seiner Beschützerin wie die Sonne an warmen Tagen. Er hat sich gefreut für sie. Doch dann ging der Schöne weg, und sie veränderte sich, hörte auf zu lachen, floh aus sich heraus. Ein verletztes Tier.

      Er erfasste das Geschehen erst an jenem Morgen vor zwei Monden, als eine Menschentraube vor ihrem Haus die Gasse unpassierbar machte. Als die Hausweiber, aufgescheucht wie Federvieh, herausgeschossen und wieder hineingerannt sind. Als die Frau gelaufen kam, die gerufen wird, wenn in der Umgebung ein Kind zur Welt kommt. Als die Mutter seiner Beschützerin sich die Haare raufte und nicht aufhören konnte, mit den Händen zu fuchteln. Bald danach erschienen Männer in gewichtiger Robe, verschwanden im Haus, und als sie nach langer Zeit wieder herauskamen, führten sie seine Beschützerin mit sich. Einer trug das in ein Tuch gewickelte Kind. Ein Ärmchen hing an der Seite herab, als ob es nicht zum Körper gehörte. In dem Moment, in dem die junge Frau von einem Grobian von Mensch wie ein Stück Vieh an ihm vorbeigetrieben wurde, blickte sie auf. Sah ihn an. Warum hast du mir nicht geholfen?, verstand er, tu doch was, tu doch endlich was!

      Der Buntrock ist nur wenige Schritte vor ihm.

      Er könnte ihm jetzt von hinten ein Messer zwischen die Rippen stoßen.

      Er hat kein Messer.

      Aber packen könnte er ihn. Würgen. Erschlagen mit einem Knüppel. Sie hat ihr Kind erschlagen, er würde ihn erschlagen. Tu’s doch!

      Am Brunnenhaus biegt der schöne Buntrock in die gegenüberliegende Gasse ein, die wie alle von der Hauptstraße abgehenden Querstraßen auf den weiten Platz der prächtigen Häuser mündet, wo das Hohe Haus aufragt und sich zu beiden Seiten die Wohnräume des Großen Herrn und dessen Diener anschließen. Er muss rennen, um den Mann nicht aus den Augen zu verlieren. Kommt an die Ecke, linst vorsichtig in die schmale Gasse. Es beginnt schon zu dämmern. Außer dem Buntrock ist niemand mehr unterwegs.

      Ein Holzprügel ragt aus dem Schnee heraus. Als er sich danach bückt, schwingt vor ihm ein Hoftor auf. Zwei Männer in grober Arbeitskleidung schieben einen mit Fässern beladenen Wagen heraus. Er muss sie vorbeifahren lassen. Als er wieder freie Sicht hat, ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Das Grundstück neben dem Fässerwagenhaus ist eine Brache, eine öde, vermüllte Baulücke.

      Missmutig wirft er das Holz fort. Geht trotzdem weiter. Langsam. Prüft unauffällig aus den Augenwinkeln heraus die Hauseingänge. Wohnt der Mann jetzt irgendwo hier? In einem Fenster brennt Licht. Sein Zimmer? Er will die Torklinke herunterdrücken, um zu sehen, ob sie nachgibt. Da kommt ihm vom Platz der prächtigen Häuser eine in einen langen Umhang gehüllte Gestalt entgegen, und er zieht seine Hand zurück.

      Die Person, von der Statur her ein Mann, hinkt, nicht sehr, nur ein bisschen, vielleicht aus Angst, im Schnee auszurutschen. Als sie beide auf gleicher Höhe sind, mustert der Unbekannte ihn kurz, wendet aber sofort den Kopf ab.

      Er passiert ein Haus und noch eines, bevor er sich nach dem Hinkenden umdreht.

      Der hat die Einfahrt erreicht, aus der der Fasswagen herausgefahren ist, bleibt jetzt stehen und dreht sich ebenfalls um. Einen Atemzug lang fixieren sie sich gegenseitig. Aber die Entfernung ist groß, das Licht schummrig. Er kann nicht erkennen, wer die Person ist.

      Kurz vor dem weiten Platz schaut er sich ein zweites Mal um.

      Er hat es geahnt: Die hinkende Gestalt ist den Weg wieder zurückgelaufen, nur ein kurzes Stück, und hält jetzt vor dem unbebauten Grundstück neben dem Fasswagenhaus, zögert und verschwindet auf dem Gelände.

      6

      Sie waren schnell fertig. Zu Simons Erleichterung schien der Neue ein schweigsamer Zeitgenosse zu sein, nicht so ein neugieriger Bursche wie der letzte, der Wunder weiß was alles wissen wollte und ihm Löcher in den Bauch fragte. Von woher er sei, wie es sich lebe im markgräflichen Regiment, was er dabei verdiene, ob er schon mal im Schloss gewesen sei und es stimme, dass die Frau Markgräfin Bücher sammle und so schön male, wie es die Leute erzählten, ob der Bauplatz hier ihm gehöre und er bauen wolle, ob er ihn nicht mal auf einen seiner Streifzüge mitnehmen könne? Ein Plagegeist, dieser Bengel, er hatte sich krampfhaft überlegt, wie er ihn loswerden könnte. Vor ein paar Tagen erfuhr er dann, dass der Bursche seinen Brotherrn beklaut habe und mit dessen Geld stiften gegangen sei. Sehr gut. Damit hatte sich das Problem erledigt. Der Nachfolger würde hoffentlich nicht seine Nase in alles hineinstecken.

      Er reichte dem Neuen den Sack, den er wie immer schon vorbereitet hatte, und ohne sich für den Inhalt zu interessieren, verstaute dieser ihn unter seinem weiten Umhang.

      »Ich wollt, ich wär schon wieder zurück«, brummte der Mann, »bei so einer Kälte schickt man doch keinen Hund vor die Tür. Ob sie die Hinrichtung heute Morgen verschoben hätten, wenn sie gewusst hätten, dass es schneien wird?«

      Simon gab keine Antwort. Der Bote hatte wohl auch keine erwartet, er trat aus dem Schatten der Hausmauer und schaute in den schwarzen Himmel. Dann schweifte sein Blick über das Gelände, das rechts und links von niedrigen zweistöckigen Wohnhäuschen eingeschlossen war. Nach hinten begrenzte ein Lattenzaun das Areal.

      »Warum baut hier keiner?«, wunderte sich der Mann. »Das ist doch beste Lage. Feine Umgebung, noble Herrschaften, das Schloss in nächster Nähe. Oder ist hier ’ne Leiche verbuddelt, die um Mitternacht aufwacht und herumspukt?« Er keckerte provozierend. Als im Haus gegenüber ein Hund zu kläffen begann, senkte er die Stimme. »Man sollte zugreifen, bevor es zu spät ist. Noch ist der Boden in Carlsruhe billig. Aber die Preise werden anziehen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

      Halt doch deinen Rand, lag es Simon auf der Zunge. Aber er hielt sich zurück, ballte die Fäuste, um nicht ausfällig zu werden. Er hatte sich wohl getäuscht, der Neue war genauso ein Schwätzer wie der alte. Schade. Er würde auf der Hut sein müssen. Aber recht hatte der Kerl schon. Die Lage des Grundstücks war hervorragend, besser ging es gar nicht. Und der Markgraf gewährte Bauhilfen. Natürlich nur denen, die es ohnehin dicke hatten. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Er als kleiner Soldat konnte da nicht mithalten, egal wie günstig die Preise waren.

      Doch


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